Als Konzernpersonalchef bei BP ist Helmut Schuster wohl in einer der höchsten HR-Positionen, die man überhaupt bekleiden kann. Wir haben mit ihm ein wunderbares Gespräch über die Aufgaben von HR geführt.
Wie wird ein Bursche aus Bad Vöslau Group HR Director und Executive Vice President bei BP?
Ein bisschen Talent, sehr viel harte Arbeit und das Glück, zur richtigen Zeit am richtigen Ort zu sein.
Zum richtigen Zeitpunkt am richtigen Ort zu sein – das ist aber nicht nur Glück?
Wenn sich im Leben Türen öffnen, ist es deine Entscheidung, ob du durchschreitest oder nicht. Das Einzige, was das Leben macht, ist Türen öffnen. Der Unterschied zwischen Erfolg und weniger Erfolg ist, den Mut zu haben, durch Türen zu schreiten, die sich geöffnet haben, auch wenn man nicht weiß, was dahinter ist. Bei jedem Job, den ich angenommen habe, hatte ich wenig Ahnung, was mich erwartet, bei den meisten Jobs dachte ich, das könnte in 2 Jahren mein letzter Job in der BP sein. Es war dann aber nie der letzte Job. Manchmal habe ich Karriere-Entscheidungen getroffen, zu denen andere gesagt haben: Wie kannst du nur? Die waren für mich einfach emotional interessant. Ich habe nie wirklich darauf geschaut, wie ich hierarchisch weiterkommen könnte, sondern darauf geachtet, dass der Job mich fasziniert und schwierig ist. Das ist mein Tipp an alle: Take the tough jobs! And never look back!
Wie wichtig ist es, dass HR im höchsten Führungsgremium vertreten ist?
Die Kernfrage ist: Hat HR einen »seat at the table« im Executive-Level oder sollte HR angegliedert sein an Funktionen oder an den CFO? In sehr vielen Unternehmen, auch in unserer Branche, hat HR nach wie vor keinen »seat at the table«. Generationen von Personalisten haben über das Thema gestritten. Das eigentliche Thema ist aber: Wenn ich einen »seat at the table« habe, was mache ich damit? Personalisten müssten besser darauf vorbereitet sein. Es ist das eine, am Tisch zu sitzen, das andere ist, etwas Vernünftiges daraus zu machen.
Es spricht viel für HR im Executive-Vorstand: Erstens hat man direkten Zugang zu allen Entscheidungsträgern. Zweitens hat man dann auch Zugang zum Aufsichtsrat, was vor allem in Großbritannien und den USA sehr wichtig ist. Und drittens kann man nur vernünftige Personalpolitik machen, wenn man versteht, wie sich das Unternehmen strategisch positionieren will – und vor allem auch die Chancen und Risiken sehr gut versteht.
Man muss dann mit den anderen Personen im Executive-Level vereinbaren, was die längerfristigen Ziele sind. Im Endeffekt bestimmen meiner Meinung nach zwei Dinge den Erfolg des Unternehmens: Technology and People. Das eine existiert nicht ohne das andere. Personalisten auf dieser Ebene haben das Privileg, längerfristig denken zu können und zu dürfen – und das wird auch erwartet. In börsennotierten Unternehmen sind andere Mitglieder doch sehr unter kurz- und mittelfristigem Performancedruck. Daher ist es so wichtig, dass HR am Tisch sitzt, um diese längerfristige Dimension proaktiv einzubringen. Ich bin zum Glück in einer Branche, in der wir alle auch langfristig denken müssen.
Was soll man also machen, wenn man diesen Sitz hat?
Zuerst muss man sich fragen, ob man vorbereitet ist. Bin ich die richtige Person? Was heißt richtig? Was ist die Rolle von HR?
Der Personalbereich ist im Gegensatz zu anderen Bereichen wenig kodifiziert. Für Anwälte gibt es eine Zugangskontrolle, gibt es klare Richtlinien. Das Gleiche gilt für den Finanzbereich. Was HR macht, ist hingegen sehr wenig kodifiziert und hat viele verschiedene Unterfunktionen: Auf der einen Seite ist das Recruitment. Das liegt nahe am Marketing. Dazu braucht es Branding und die attraktive Gestaltung von Arbeitsplätzen, das Unternehmen und die Jobs müssen vermarktet werden. Dafür muss man eine Marketing-Person sein. Auf der anderen Seite des Spektrums liegt das Gehaltswesen: Dazu braucht es Wissen über die Steuern, Equity Plans, Regulierungen. Wenn Gehälter leistungsbasiert sind, muss man genau wissen, wie KPIs funktionieren [Anm.: Key Performance Indicator]. Dafür sollte man also eine Finanz-fokussierte Person sein. HR besteht also aus ganz unterschiedlichen Funktionen und daher ist es so schwierig, HR zu kodifizieren.
Wenn man HR leitet, muss man erkennen, welche Menschen man in welchen Subfunktionen braucht. In meinem eigenen Management-Team habe ich Reward-Personen, Ressourcing-Personen, Learning & Training-Personen, IT-Personen usw. Man muss sich in all diesen Bereichen sehr gut auskennen. Ich mag es daher gar nicht, wenn jemand auf die Frage, warum er gerne in HR arbeitet, antwortet: »Because I like to work with people.« Das ist definitiv kein Erfolgsfaktor, mehr eine nette Zugabe. Man muss mit Zahlen gut umgehen können, man muss das Business-Modell sehr gut verstehen, man muss gut im Marketing sein. Das braucht es im HR-Bereich. Nett zu Leuten zu sein, ist niemals genug.
All die aufgezählten Skills, die für HR notwendig sind – wie eignet man sich diese an?
Der ideale Personalist ist für mich jemand, der in einem Kontext aufwächst, in dem Ambition wichtig ist und für den kontinuierliche Weiterbildung selbstverständlich ist. Es braucht Menschen, die »cultural fluent« sind, die sich in Krisensituationen bewährt haben und die dann ein Studium einschlagen, das ihnen nicht nur Soft Skills, sondern auch technisches und/oder finanzielles Know-how vermittelt. Ideal im Lebenslauf sind für mich z. B. ein Auslandsaustausch, sich in schwierigen Situationen in einem anderen Land bewährt zu haben. Es ist auch sehr gut, eine technische Affinität zu haben – und dann aber ein Wirtschaftsstudium abzuschließen. Ideal ist jemand, der in verschiedenen Bereichen sozialen Kontakt mit verschiedenen Schichten sucht. Besonders wichtig ist auch ein gewisses Maß an Bescheidenheit. Als HR-Person wird man nie im Rampenlicht stehen, und soll das auch nicht wollen. Und man sollte auch neugierig und empathisch sein. Das sind also insgesamt schon sehr hohe Ansprüche. Ich glaube, dass die HR-Funktion in den nächsten 5, 10, 20 Jahren immer mehr an Bedeutung gewinnen wird. Die Verantwortung wird größer werden. Ich befürchte aber, dass es zu wenige HR-Leute gibt, die diesen Ansprüchen gerecht werden können, und sich dadurch die Funktion nicht so schnell weiter entwickeln wird, wie sie es sollte.
Es gibt ja in Österreich spezielle HR-Studienrichtungen. Wenn jemand im HR-Bereich tätig werden will, ist es also nicht der richtige Weg, nach der Matura ein solches Studium zu beginnen?
Ich würde das nicht machen. Ich kenne aber viele Menschen, die einen Technik- oder Wirtschafts-Bachelor und dann einen HR-Post-Graduate gemacht haben, wie z. B. den HR-Master in Cornell, der einen hervorragenden Ruf hat. Das ist schon ein guter Weg: einen Bachelor für die Hard Facts und dann einen Master in HR-Management. Das muss aber ein gutes Programm sein.
Wenn man diesen »seat at the table« hat und dann mit den anderen Executives spricht – z. B. darüber, was für das Unternehmen für das Erreichen der Ziele und Zahlen wichtig ist – das muss man ja auch verstehen. Braucht man dafür eine Ausbildung? Weil innerhalb des HR lernt man das ja nicht unbedingt.
Man muss ein Balance Sheet lesen können. Man muss den Unterschied zwischen Cashflow und Profit verstehen. Es ist ganz einfach: Man muss eine Business-Person sein, die sich um die Personalagenden kümmert. Wenn man keine Business-Person ist, die langfristig und nachhaltig Wertkreation für das Unternehmen anstrebt, dann sollte man auch nicht im HR sein.
In der Position der HR-Leitung?
Generell, wenn man eine Karriere als HR-Generalist machen will, ist es sehr gut, einen Business-Hintergrund zu haben. Es ist extrem wichtig, das Business sehr gut zu verstehen. Das ist oft das Problem mit HR: Dass es sich isoliert und dass es Lösungen schafft, die viel zu komplex sind. Viele der Dinge, die wir im HR haben, sind nicht wertsteigernd und nicht immer hilfreich. Was wir im HR dringend brauchen, ist Hausverstand. Und Hausverstand ist auch, was ich von allen HR-Leuten erwarte. Ich glaube, dass das HR-Wesen in den letzten 20 Jahren sehr viele Instrumente erfunden hat, die Komplexität und Strukturen kreieren, die heute nicht mehr sinnvoll sind. Die Rolle von HR in der Zukunft ist es, den Unternehmen zu helfen, simpler zu sein, das Risiko nicht zu erhöhen. Im Endeffekt geht es im HR um eine Aufgabe, die alles andere in den Schatten stellt: sicher zu stellen, dass nur die Besten ins Unternehmen gelassen werden und dass in Folge die Richtigen befördert werden.
Das Recruiting hat also einen hohen Stellenwert?
Ja. Und alles, was damit zu tun hat. Das Wichtigste ist: »Get the right people in and get the right people promoted.«
Wie wählt man im Recruiting die Besten aus?
IQ – EQ – Drive. Darum geht es. Menschen müssen gut denken können. Immer wichtiger werden die soziale Kompetenz und die intrinsische Motivation, Dinge besser zu machen. Wenn diese drei Faktoren gleichermaßen ausgeprägt sind, dann kann das ein sehr guter Mitarbeiter werden.
Wie kann man IQ, EQ und Drive im Recruiting feststellen?
Ich glaube sehr stark an biografische Erfahrungen, die Vergangenheit ist ein sehr guter Indikator dafür. Bei BP verwenden wir auch Informationen aus Tests und externen Interviews. Dabei arbeiten wir mit einigen Unternehmen zusammen, die psychometrische Tests mit sehr detaillierten Interviews einsetzen. Gekoppelt mit den eigenen Erfahrungen und den Referenzen ergibt das ein sehr gutes, valides Gesamtbild. Viele Unternehmen investieren einfach nicht genügend Zeit für den Prozess. Oft sendet man viel zu schnell Jobofferte aus. Interne Beförderungen sind in meiner Erfahrung meist besser als das externe Nachbesetzen. Ich würde jedem Unternehmen raten, ein System zu etablieren, das Talente intern pflegt und fördert – und diese sehr restriktiv mit externem Talent zu komplimentieren. Meiner Meinung nach sollten 80 % intern besetzt werden. Erstens kann man intern das Risiko viel besser abschätzen als das Risiko durch externes Rekrutieren. Zweitens weiß ich, welche Stärken und Schwächen die Person hat. Drittens versteht sie das Unternehmen weit aus besser. Und viertens ist es für Mitarbeiter sehr motivierend, zu sehen, dass innerhalb des Unternehmens tolle Karrieren möglich sind. Aber jedes Unternehmen muss das für sich richtige Modell finden.
Ganz generell muss HR schnell sein. Aber wenn es um das Rekrutieren für eine wichtige Position geht, dann muss das meine Nummer-1-Priorität sein und dafür muss ich mir Zeit nehmen. HR verbringt zu viel Zeit mit Administration. Das lässt sich Gott sei Dank bald mit HR-Systemen abdecken – hoch entwickelte Systeme, die mit den Daten arbeiten und viele Prozesse automatisieren. Die Aufgabe von Personalisten ist es, dafür zu sorgen, dass so viel wie möglich von diesen Systemen erledigt wird, damit mehr Zeit für das Wichtigste bleibt: Die richtigen Menschen in den richtigen Jobs zur richtigen Zeit. Das ist das Einzige, was zählt.
Was macht man mit Mitarbeitern, die nicht »die besten« sind?
Wenn man erkennt, dass jemand nicht gut für das Unternehmen ist, dann muss man eine Änderung herbeiführen. Man muss den Mut haben, sich auch von langjährigen Mitarbeitern zu trennen. Ab und zu heißt das, dass man Menschen sagen muss: Das ist das Ende des gemeinsamen Wegs. Das muss immer mit Respekt geschehen und unter Berücksichtigung sozialer Abwägungen.
Aber was bedeutet das für die Gesellschaft? Wenn die Welt der Unternehmen voll von perfekten Recruitern ist, dann bekommen ja »Under-Performer« überhaupt keinen Job mehr?
Verschiedene Unternehmen erwarten verschiedene Dinge. Wenn man einen aggressiveren Hochrisiko-Ansatz hat, den man z. B. in Hedgefonds und Start-ups finden kann, braucht man Menschen, die für einen Konzern wie der BP ganz falsch wären. Bei uns haben wir Sicherheit als oberste Priorität, mit langfristigen Projekten, die von der ersten Idee bis zur Fertigstellung und Erfolg sehr, sehr lange dauern können. Jede Person hat ein Talent. Die große logistische Aufgabe ist es, am Arbeitsmarkt Angebot und Nachfrage richtig zusammenzuführen. Das ist der heilige Gral des HR: Wie kann ich Angebot und Nachfrage optimal zusammenbringen? Das müssen sich HR-Verantwortliche und auch andere Führungskräfte in unserer Gesellschaft überlegen und daran müssen sie arbeiten: Künstliche Intelligenz und die Daten über Menschen so einsetzen, dass sie die für sie richtigen Talente-Pools identifizieren und aus ihnen schöpfen können. »Cultural fit« ist dabei genau so wichtig wie technische Skills.
Wie gut sind eigentlich HR-Directors großer Konzerne miteinander vernetzt? Wie viel Kontakt besteht da?
Austausch ist wichtig. Und es gibt eine Vielzahl von Netzwerken, die sehr professionell organisiert sind, innerhalb und außerhalb der Branche. Ich persönlich versuche, möglichst viel von anderen Branchen zu lernen. Vor allem die Technologiebranche hat einige sehr gut Ansätze.
Informelle Treffen gibt es auch?
Innerhalb der Branche eher wenig, sehr wohl aber mit anderen HR-Direktoren. Ich kenne viele in England und natürlich auch in den USA. Da gibt es immer einen Austausch, weil man aus anderen Branchen sehr viel lernen kann und auch von Fehlern hört, die man dann selbst vermeiden kann. Dieser Erfahrungsaustausch ist sehr wichtig. Zum Beispiel mit meinem Gegenüber bei IBM. Die sind einerseits für uns ein Technologie-Lieferant, mit dem wir viel zusammenarbeiten und andererseits haben sie tolle Ansätze, z. B. mit ihrem »Watson« in Richtung Voraussage-Analysen. Da können wir wirklich sehr viel lernen.
IBM nutzt »Watson« für die eigene HR-Arbeit?
Ja, und dadurch haben sie die Möglichkeit, Führungskräfte sehr effizient zu unterstützen. IBM ist eine Firma, von der ich persönlich viel in den Bereichen Technologie und »predictive analysis« lernen kann. Ich ermutige auch mein Team, immer wieder, sich extern zu orientieren.
Personalisten teilen die Menschen gerne in Generationen ein und sagen dann, Millenials täten dies und andere täten jenes. Ist das sinnvoll?
Es gibt gewisse Dinge, die generationsspezifisch sind, aber die meisten sind es nicht, sondern haben einfach damit zu tun, dass wir Menschen in verschiedenen Stadien unseres Lebens sind. D. h. wenn heutzutage die Millenials oder die Generation Z bestimmte Dinge tun, dann ist das, weil sie 20 Jahre alt sind, noch keine Kinder und noch keine Familie haben. Wenn man älter wird, ändern sich die Bedürfnisse. Personalisten müssen erkennen, in welchen Lebensabschnittsphasen die Menschen sind. Es kann durchaus sein, dass manche 50-, 60,- und 70-Jährige in ihrem Verhalten und in ihrem Beitrag zum Unternehmenserfolg jünger sind als Mittdreißiger, die gerade ihr drittes Kind bekommen und daher schlaflose Nächte haben. Da muss man also weitaus differenzierter sein und darf nicht in Generationen-Boxen denken.
Warum machen das aber manche Personalisten trotzdem? Man liest und hört ja viel davon.
Weil das für gute Schlagzeilen sorgt. Es ist ein gutes Thema. Es entspricht unserer menschlichen Psyche, Dinge in Schachteln zu tun. So denken wir gerne. So sind wir erzogen worden. Richtig und falsch. Schwarz und weiß. Männlich und weiblich. Straight und gay. Die Wirklichkeit ist anders. Es ist schön, dass in den westlichen Gesellschaften neue Denkweisen erlaubt sind, gefördert werden und immer mehr im Mainstream ankommen.
Wenn man sich ansieht, was Millenials wollen und was sie nicht wollen, dann erkennt man, dass auf diesen Listen die gleichen Dinge stehen, die vor 20, 30 Jahren auch schon für junge Menschen gegolten haben. Auch damals konnten sich junge Menschen nicht vorstellen, lange Zeit für dieselbe Firma zu arbeiten, auch damals waren ihnen Karriere-Chancen und Gehalt wichtig. Auch die Zufriedenheit mit dem Job, »passion« and »purpose« waren damals von großer Bedeutung für die Jungen.
Das heißt aber, dass Personalverantwortliche, die diesem Generationen-Denken anheim fallen und daher z. B. Millenials auf eine bestimmte Art und Weise behandeln, schwere Fehler in ihrer Personalarbeit machen?
Ich würde sagen, dass dadurch eine grobe Simplifizierung stattfindet, die das Unternehmen weniger wettbewerbsfähig macht. Personalisten suchen oft zu jedem Problem, das sie haben, eine Richtlinie und einen Prozess, anstatt die organische Natur des Unternehmens anzuerkennen – und damit erschaffen sie Probleme. Flexibilität, Agilität und »operating in the white space« werden in Zukunft immer wichtiger werden. Alle binären Dinge werden künftig von Computern und künstlicher Intelligenz weitaus besser erledigt werden. Wir als Menschen müssen uns in der Personalpolitik und -arbeit darauf konzentrieren, Mitarbeiter nicht aufgrund ihres Fachwissens, sondern aufgrund bestimmter Qualitäten einzustellen, Qualitäten wie Agilität, Lernfähigkeit, Positivismus und die Fähigkeit, andere zu inspirieren. Darauf legen unsere aktuellen Prozesse viel zu wenig Wert. Unsere Prozesse sind viel zu linear und viel zu binär. Die großartigen Unternehmen der Zukunft werden das besser managen.
Welche Dinge sind sehr wohl generationsspezifisch?
Die Menschen der jungen Generation sind weitaus offener dafür, verschiedene Sprachen zu sprechen, weil sie viel früher mit diesen konfrontiert werden. Englisch wird immer mehr zur weltweiten Sprache. Für die neue Generation ist auch ein intuitives Technologieverständnis typisch.
Früher waren die Jungen eher geneigt, sich Hierarchien ungefragt unterzuordnen. Millenials erwarten sich heute, dass ihnen Führungskräfte auf Augenhöhe begegnen – und gleichzeitig ihre Führungsrolle klar wahrnehmen. Was auch neu ist, ist das Bedürfnis nach kontinuierlichem Feedback. Das hat auch wieder mit der Technologie zu tun: Alles passiert sofort und dauernd. Ad-hoc-Feedback wird gewünscht. Zweimal im Jahr ein Mitarbeitergespräch zu haben, das funktioniert einfach nicht mehr. Auch das Lernen wird sich dadurch ändern. Ich nenne das »Just-in-time-Learning«. Wenn ich morgen bestimmtes Wissen benötige, stellt mir die Firma heute den nötigen Content zur Verfügung. Das ist typisch für die nächste Generation.
Kontinuierliches Feedback bedeutet für die Führungskraft aber einen stark erhöhten Aufwand?
Das macht einfach gute Führungsarbeit aus. Mit den meisten Mitarbeitern sollte man zumindest einmal in der Woche sprechen. Oft sind dabei subtile Fragen weitaus wirkungsvoller als direktes Feedback. Zum Beispiel: Wie lange haben Sie sich auf diese Präsentation vorbereitet? Wie viel Zeit haben Sie für diese Unterlagen aufgewendet? Feedback muss auch immer aus dem Respekt der Person gegenüber herauskommen.
Das Schlimmste, was eine Führungskraft tun kann, ist, das Potenzial ihrer Mitarbeiter zu vergeuden. Das kenne ich bereits aus meiner Zeit als Leistungsschwimmer: Der Trainer muss alles tun, um den Athleten besser zu machen. Daran besteht im Sport überhaupt kein Zweifel! Leider wird das im Berufsleben nicht immer so gehandhabt. Eine Führungskraft ist dazu da, die Menschen besser zu machen. Und auch eine Schulter zum Anlehnen zu sein, wenn es ihnen einmal schlechter geht, jemand der sich kümmert, ein Sicherheitsnetz. Das alles ist im Prinzip genau so wichtig wie es früher auch schon war, aber die Erwartungshaltung bezüglich Feedback hat sich geändert.
Früher konnte man zwischen beruflichen und privaten Aktivitäten besser unterscheiden. Man kann nicht kontrollieren, ob die Mitarbeiter das Internet gerade beruflich oder privat nutzen, das geht einfach nicht. Auf der anderen Seite sieht man viele Mitarbeiter am Wochenende arbeiten. Die gesetzlichen Entwicklungen hinken der Realität 15 bis 20 Jahre hintennach. Das ist eine Herausforderung für die Personalabteilung, die Lösungen für diese Diskrepanzen finden muss.
Wie sieht es bei den Millenials mit dem Wunsch nach einer besseren Work-Life-Balance aus?
Dass Millenials eine sehr gute Work-Life-Balance fordern, stimmt erstens nicht generell und zweitens zum Teil nur, weil das Personalverantwortliche in Interviews und auf Konferenzen immer wieder behaupten und so die Millenials aus den Medien lernen, dass sie mehr fordern können. Das ist eine »self-fulfilling prophecy«. Man muss Erwartungen sehr bewusst managen, klar artikulieren, was realistisch ist und was nicht. Man will einfach keine Mitarbeiter, die überzogene Erwartungen haben und mehr auf sich als auf das Team und das Unternehmen achten.
Wenn man im Unternehmen jemanden hat, der unterdurchschnittliche Leistung erbringt, aber hohe Erwartungen hat – ist das dann die Folge eines schweren Fehlers im Recruitment?
Recruiting-Fehler können passieren. Aber diese Fehler müssen dann schnell ausgebessert werden. Die meisten Unternehmen haben Schwierigkeiten damit, den Fehler zu erkennen oder zuzugeben – und können ihn daher auch nicht korrigieren. Wir leben in einer Welt, in der Fehler nicht erlaubt sind. Als Führungskraft gibt man das dann nicht gerne zu und versucht oft, zu beweisen, dass es doch kein Fehler war. Das ist ein ganz wichtiges Thema: Wir müssen Fehler zulassen, darüber reden und sie dann schnell ausbessern. Das ist ein Thema der Unternehmenskultur. Viele Unternehmen sind nach wie vor hierarchisch, mit »Superheroes«. Es ist eine große Herausforderung, diese Strukturen aufzulösen und agiler zu werden. Ich glaube das haben wir bei BP ganz gut gemacht – wir nennen das den One-Team-Zugang.
Ist beim Umgang mit Fehlern ein kultureller Unterschied festzustellen, z. B. zwischen England und Österreich, oder liegen die Differenzen eher in der Corporate Culture begründet?
In manchen Kulturen ist es viel einfacher, Menschen zu kündigen. Das liegt teilweise am Arbeitsrecht. Es ist kein Wunder, dass in Europa die großen Produktivitätsschübe jeweils mit Veränderungen im Arbeitsrecht kamen. Es sollte leichter sein, Menschen einzustellen und auch wieder zu kündigen. Wenn man in einem Umfeld tätig ist, in dem es fast unmöglich ist, Recruiting-Fehler wieder wettzumachen, dann ist das für die Produktivität natürlich sehr schlecht. Das haben zwar die Politiker bereits erkannt, eine Veränderung ist aber politisch schwer umzusetzen. Man kann allerdings als Unternehmen auch innerhalb des bestehenden Regulativs sehr viel machen, z. B. in Zusammenarbeit mit dem Betriebsrat. Wenn die Arbeitnehmervertretung aus den richtigen Menschen besteht, die das gleiche Ziel haben – nämlich langfristige Arbeitsplätze und ein erfolgreiches Unternehmen –, dann kann das ein konstruktives Verhältnis sein, wirklich sehr konstruktiv, ich habe das selbst erlebt.
Aber inwieweit hat ein Unternehmen darauf Einfluss, wie gut und konstruktiv die Arbeitnehmervertreter sind?
Ich glaube, dass man darauf sehr wohl einen Einfluss hat. Erstens hängt das von der Unternehmenskultur ab. Wenn die Mitarbeiter erkennen, dass wir alle im gleichen Boot sitzen, ist das ein wichtiger Schritt. Zweitens darf man die Arbeitnehmervertretung nicht bekämpfen – im Gegenteil, man sollte ganz klar kommunizieren: Wir wollen mit euch arbeiten. Bitte schaut drauf, dass ihr jemanden wählt, der die erforderlichen Qualitäten mitbringt. In meiner gesamten Karriere hatte ich stets das Glück, mit konstruktiven Arbeitnehmervertretern zusammenzuarbeiten. So kann man die Unternehmen natürlich weitaus besser gestalten. Aber wenn das in machomäßige Machtkämpfe ausartet und sich Fronten bilden, wird das nie funktionieren.
»Machomäßig« ist ein gutes Stichwort. Ist die Arbeitnehmervertretung immer noch männlich dominiert?
Ja, das ist sie. Ich sehe allerdings schon ein Problembewusstsein und eine Veränderung. Aber das wird Jahre dauern, genauso wie es Jahre dauern wird, bis sich generell ein ausgeglichenes Geschlechterverhältnis etabliert haben wird. Man muss aber sagen, dass das alles schon viel besser wird.
Sind Quoten auf dem Weg dorthin hilfreich und gut?
Von einer Quote, die legal bindend ist, halte ich nicht sehr viel. Denn eine solche führt oft zu falschen Entscheidungen und nicht gewünschten Nebenwirkungen. Ich bin kein Fan von populistischen Quoten. Ich weiß nicht, ob gesetzliche Quoten für Aufsichtsräte und Non-Executives effektiv sind. Das geht am Kernproblem vorbei. Besser wäre es, wenn Unternehmen dazu verpflichtet werden, ihre 30 oder 50 Top-Jobs zu benennen und dann über Jahre den Nachweis erbringen müssen, dass sich das Geschlechter-Verhältnis in diesen Jobs verbessert. Und auch Pläne und Maßnahmen präsentieren müssen, wie sie das zu erreichen gedenken. Eine solche Verpflichtung der Unternehmen fände ich zielführender.
Eine gute »Gender Balance« ist wichtig, das Grundprinzip muss aber das leistungsorientierte Besetzen der Stellen sein. Dieses Prinzip darf niemals kompromittiert werden. So wie wir im Moment Leistung definieren, werden allerdings in vielen Fällen Männer bevorzugt. Man muss Leistung also neu definieren. Wenn man an nachhaltiger Leistung und Wertschöpfung interessiert ist, dann erkennt man in der Diversität automatisch einen Wert. Diversity ist generell ein schwieriges Thema. Es geht dabei um Evolution und nicht um Revolution. Unternehmen haben Verantwortung, die sollen sie wahrnehmen und dazu können sie auch verpflichtet werden. Das funktioniert vor allem langfristig. Kurzfristig Erfolge zu erzwingen, wird zu unerwünschten Nebenwirkungen führen.
Seit wann sind Diversity und Gender Balance bei BP ein Thema?
Schon lange, seit Ende der Neunziger. Wir setzen uns seit langer Zeit mit diesem Thema auseinander. Wir haben Fehler gemacht, daraus gelernt und haben jetzt einen guten Ansatz. Wir machen Fortschritte. Ich finde das so wichtig und engagiere mich dafür auch persönlich gerne. In den letzten Jahren haben wir unsere Führungsquote von Frauen jährlich um 1 % verbessert. Wir haben tolle weibliche Führungskräfte. Ein gutes Beispiel ist BPs Country President in Österreich.
Jährlich 1 % Verbesserung des Verhältnisses – im gesamten Konzern oder unter den Führungskräften?
Unter den Top 400. Wir haben eine Riege von Top 400, das sind unsere Top-Executives. Wir haben da keine Quote festgesetzt und trotzdem klar gemacht, dass im Jahr 2020 25 % unserer Top 400 weiblich sein sollen. Es geht aber nicht nur um Gender Diversity. Es gibt so viele andere Formen der Diversität, in Österreich z. B. mit Minderheiten und Menschen, die nicht deutschsprachig aufgewachsen sind. Das sind Themen, die genau so wichtig sind.
Sind Religionen ein Thema im BP Konzern?
Wir haben einen »Code of Conduct«, in dem wir Religion nicht spezifisch anführen. Natürlich ist es ein Thema, aber man kann nicht alle Themen auf einmal angehen. Wir müssen Prioritäten setzen. Bei uns ist das Gender, da sind wir jetzt schon gut unterwegs. Wobei es da noch sehr viel zu tun gibt. Man kann das ja nicht einfach als erledigt abhaken, da muss man über viele Jahre dranbleiben. Weitere Diversity-Bereiche, an denen wir im Moment arbeiten, sind Ethnien, Behinderungen und LGBT [Anmerkung: Lesben, Schwule, Bisexuelle und Transgender]. Man kann aber immer nur eine bestimmte Anzahl an Dingen gleichzeitig machen. Wir haben daher eine andere Herangehensweise gewählt und festgelegt, dass es bei alldem um »Inclusion« geht. Wenn es gelingt, ein »truly inclusive« Arbeitsumfeld zu schaffen, ergibt sich alles andere von selbst. Dabei sind unbewusste Vorurteile oft ein Thema. Dagegen kann man mit Trainings sehr viel machen. Interkulturelles Lernen und »cultural fluency« sind unglaublich wichtig.
Und solche Trainings finden bei BP statt?
Ja, »Unconscious Biases« ist ein wichtiges Thema, das für uns besondere Bedeutung hat. Das Feedback zu diesem Training ist sehr, sehr gut. »Das habe ich wirklich nicht gewusst!«, »Das war mir nicht klar!« – solche Aussagen hören wir oft von Teilnehmern.
Hat sich bei den Instrumenten, die HR zur Verfügung stehen, in den letzten Jahren viel getan?
Da hat sich wahnsinnig viel getan, gerade im Personalbereich, für den gibt es die innovativsten Tools. Man hat keine Ausrede mehr, kann nicht mehr behaupten, man habe nicht genügend Informationen, man könne den Bereich nicht strategisch steuern. Natürlich ist das Implementieren von Systemen mühselig und auch mit zum Teil erheblichen Investitionen verbunden. Es ist teilweise auch schmerzhaft, Prozesse richtig aufzusetzen. Aber Unternehmen müssen in diesen sauren Apfel beißen, sonst werden sie in 5 Jahren erkennen, dass sie zurückgefallen sind.
Als Abschlussfrage und zusammenfassend: Worum geht es im HR wirklich?
Im Endeffekt geht es nur um eines: Get the right people in and get the right people promoted! Lass nur die richtigen Menschen ins Unternehmen und befördere nur die richtigen! Das ist das, wofür HR verantwortlich ist. Alles andere dient nur zur Unterstützung dieses Zieles. Alles, was wir im HR tun, jede Maßnahme, jeder Prozess dient nur dazu, die richtigen Menschen in den richtigen Positionen zu haben. Manchmal vergessen wir das und entwickeln Prozesse um der Prozesse willen. Das klingt vielleicht jetzt ein bisschen negativ, ich möchte aber dazusagen, dass HR sehr stolz sein kann, da wir uns in den letzten 10 Jahren enorm weiterentwickelt haben.
Und für das Recruiting: IQ – EQ – Drive, in gleicher Ausprägung. Ein guter Kopf, soziale Kompetenz/gutes Verhalten und intrinsische Motivation. Wenn eine dieser drei Komponenten nicht passt, ist es immer ein Kompromiss. Diesen Kompromiss muss man bewusst in Kauf nehmen – oder eben nicht. Und manchmal ist es besser, im Recruiting die Dinge langsam anzugehen. Lieber keine Recruiting-Entscheidung treffen, als die falsche.