Interview mit Martin Röhsner über die Verschmelzung von KI und menschlichem Lernen, wobei soziale Nachhaltigkeit und individuelle Bildungswege im Fokus stehen.
Herr Röhsner, welche aktuellen Entwicklungen prägen Ihrer Meinung nach den Bereich der beruflichen Weiterbildung für Erwachsene?
In der Landschaft der beruflichen Erwachsenenbildung sind gegenwärtig mehrere Schlüsseltrends zu beobachten, die sich bereits seit 2022 abzeichnen. Ein Hauptinteresse der Branche liegt derzeit in der Integration Künstlicher Intelligenz sowohl in Bildungsprozesse als auch in Coaching-Methoden. Parallel dazu erleben wir eine verstärkte Hinwendung zu digitalem Lernen, wobei der Fokus auf kompakteren Lerneinheiten und Werkzeugen liegt. Dieser Trend zum »Mikrolernen« wird durch den Einsatz kleinerer, zielgerichteter Module ermöglicht. Im Kontrast dazu steht das wieder auflebende Interesse an Präsenztrainings, das ich als eine Art Renaissance interpretiere. Hier besteht insbesondere ein Nachholbedarf, der durch die Einschränkungen der Corona-Pandemie entstanden ist und nun Raum für persönlichere, interaktive Lernerfahrungen bietet.
Welche digitalen Lernansätze halten Sie gegenwärtig für besonders richtungsweisend?
Die Dynamik im Bereich digitaler Lernformate hat sich spürbar verändert. Webinare als solche scheinen an Innovationskraft verloren zu haben; der Begriff selbst ist mittlerweile etabliert und nicht mehr repräsentativ für neuartige Ansätze. Stattdessen beobachten wir, wie oben kurz erwähnt, eine klare Verschiebung hin zu prägnanteren, kurzformatigen Online-Lerneinheiten. Diese »Lern-Nuggets« lassen sich bequemer in den Alltag integrieren und kommen dem Bedürfnis vieler Beschäftigten nach größerer zeitlicher Flexibilität entgegen. Üblicherweise werden diese Einheiten aufgezeichnet angeboten, um die Möglichkeit zu bieten, Lerninhalte nach eigenem Zeitplan zu konsumieren. Aus meiner Sicht bietet ein Live-Format in diesem Zusammenhang auch keinen zusätzlichen Vorteil, da die Flexibilität und Zugänglichkeit, die diese selbstgesteuerten Module bieten, im Vordergrund stehen.«
Können Sie uns ein spezifischeres Bild davon geben, wie diese kompakten Lerneinheiten gestaltet sein könnten?
In der Praxis gestalten sich diese kompakten Lerneinheiten als eigenständige, in sich abgeschlossene Module, die sich jeweils auf ein spezifisches Ziel oder Thema konzentrieren. Ähnlich wie ein Coaching-Prozess ein übergeordnetes Ziel sowie spezifische Ziele für jede Sitzung hat, wird der Lernprozess in »Mikro-Lerneinheiten« unterteilt. Jede dieser Einheiten ist eine eigenständige »Portion«, die ein bestimmtes Wissenselement oder eine Fähigkeit vermittelt. Das ermöglicht den Lernenden eine persönlichere und flexiblere Herangehensweise an ihre Weiterbildung zu wählen. Sie können die für sie relevanten Module auswählen, basierend auf ihren individuellen Lernbedürfnissen und -zielen, ohne sich an eine lineare Struktur halten zu müssen. Diese Methode fördert eine gezielte, bedarfsorientierte Weiterbildung, bei der die Teilnehmer aktiv ihren Lernweg gestalten und so das Meiste aus den angebotenen Inhalten herausholen.
Wie schätzen Sie die zukünftige Rolle von Präsenzseminaren im Bildungssektor ein?
Die Rückbesinnung auf Präsenzseminare, die wir aktuell beobachten, zeigt, dass diese Lernform keineswegs veraltet ist, sondern sich vielmehr einer erneuten Wertschätzung erfreut. Es gibt ein fundamentales Bedürfnis nach dem »menschlichen Faktor«, der in digitalen Formaten oft fehlt. Insbesondere eignen sich Präsenzseminare für eine Reihe von Lerninhalten und -methoden, die eine intensive soziale Interaktion und persönliche Kommunikation erfordern, wie beispielsweise Rollenspiele, tiefer gehende Diskussionen oder gruppendynamische Übungen.
Welche Rolle sehen Sie für Künstliche Intelligenz in der zukünftigen Landschaft der Erwachsenenbildung?
Künstliche Intelligenz wird in der Erwachsenenbildung eine wachsende Rolle spielen, insbesondere bei der Schaffung personalisierter Lernerfahrungen und der Erhöhung der Professionalität von Lehrmethoden. KI-Systeme ermöglichen eine rasche und maßgeschneiderte Reaktion auf die Bedürfnisse des Einzelnen, wodurch ein individuelleres und effektiveres Lernerlebnis gewährleistet wird. Dies steigert den Lernerfolg und -transfer signifikant, da Inhalte spezifisch auf einzelne Lernende zugeschnitten werden können, ohne dass dafür notwendigerweise jeweils persönliche Trainer erforderlich sind. Allerdings hängt die Eignung dieser Methoden teilweise von der Zielgruppe ab und es besteht ein Generationenunterschied. Während einige Lernende die Betreuung durch einen digitalen KI-Tutor begrüßen, werden andere die Interaktion mit menschlichen Trainern bevorzugen. Entscheidend für Bildungsanbieter wird es sein, diese Diversität zu erkennen und eine Wahlmöglichkeit anzubieten. Diese Flexibilität wird zentral sein, um ein inklusives und umfassendes Bildungsangebot für alle Generationen zu schaffen.«
Wie sehen Sie die Zukunft von Sprachtrainings angesichts der Entwicklungen mit der KI?
Die Nachfrage nach Sprachtrainings scheint, zumindest in unserem Kontext, konstant hoch zu bleiben. Es stimmt, KI hat bemerkenswerte Fortschritte im Bereich der Sprachübersetzung und -verarbeitung gemacht, insbesondere für Anwender, die eine funktionale, schriftliche Übersetzung benötigen. Allerdings gibt es eine wesentliche Schicht von Lernenden, deren Motivation zum Spracherwerb über pragmatische Bedürfnisse hinausgeht. Sie streben danach, sich tiefgreifend mit der Kultur, den Nuancen und den Menschen einer anderen Sprachgemeinschaft zu verbinden. Für diese Personen ist das Erlernen einer Sprache ein ganzheitlicher Prozess, der auch kulturelles Verständnis und zwischenmenschliche Kommunikation umfasst.
Welche Themengebiete erkennen Sie als zunehmend relevant?
Aktuell beobachten wir eine Renaissance der Bedeutung »weicher Faktoren« in der beruflichen Weiterbildung. Insbesondere rücken Persönlichkeitstrainings wieder in den Fokus, die sich auf Kernkompetenzen wie Kommunikation, Teamentwicklung, Führungsqualitäten, Resilienz, Stressbewältigung und Konfliktmanagement konzentrieren. Diese Entwicklung spiegelt die wachsenden Herausforderungen wider, denen sich Mitarbeiter und Führungskräfte gegenübersehen, oft bedingt durch die rasanten Veränderungen und Unsicherheiten in der Arbeitswelt.
Welche Bedeutung messen Sie Qualifizierungen und offiziellen Zertifikaten in der beruflichen Aus- und Weiterbildung bei?
Die Relevanz von Qualifizierungen und anerkannten Zertifikaten variiert, ist jedoch insbesondere in einem umkämpften Arbeitsmarkt von erheblicher Bedeutung. Momentan erleben wir in verschiedenen Branchen einen Arbeitnehmermarkt, aber diese Dynamik kann sich ändern. Sollten wir wieder in eine Situation mit einem höheren Anteil an Arbeitssuchenden geraten, werden formelle Nachweise von Qualifikationen wieder an Bedeutung gewinnen, da sie für Arbeitgeber eine klare Bestätigung der Fähigkeiten und des Wissens eines Bewerbers darstellen.
Sehen Sie aktuelle Trends auf dem Arbeitsmarkt, insbesondere im Kontext von »New Work«?
»New« Work ist nicht mehr so »new«. Was wir jedoch beobachten, ist eine Diversifizierung der Arbeitsstile, die eine Reflexion über persönliche Präferenzen bei der Arbeit hervorgerufen hat. Nicht alle fühlen sich in flexiblen, offenen Arbeitsstrukturen wohl, einige bevorzugen tatsächlich die Struktur eines persönlichen Schreibtischs und eines festen Büroumfelds. Diese Erkenntnis hat einige Unternehmen dazu veranlasst, zu traditionelleren Arbeitsmodellen zurückzukehren. In Bezug auf zukünftige Trends zeichnet sich ab, dass wir eine Phase des »New-Work-Floating« erleben werden, ein Verschmelzen von beruflichen und privaten Lebensbereichen, das eine hohe Selbstverantwortung und Selbstregulierung erfordert. In der Zukunft könnten Menschen die Autonomie haben, eigenständige Entscheidungen darüber zu treffen, wie sie arbeiten möchten, basierend auf ihren individuellen Bedürfnissen und Lebensumständen.
Erkennen Sie eine Bewegung in Richtung nachhaltigerer Lernmethoden?
Output-orientierter Erkenntnisgewinn aus Weiterbildungen und Lerneinheiten hat die letzten 15 Jahre geprägt und wird auch fixer Bestandteil bleiben. Neu ist hingegen der Trend zum sozial nachhaltigen Lernen und damit verbunden zur sozialen Verantwortung. Dieses Paradigma betont die Schaffung einer inklusiven Lerngesellschaft, die darauf ausgerichtet ist, niemanden zurückzulassen, indem sie alle entsprechend ihrer aktuellen Fähigkeiten und ihres sozialen Umfelds unterstützt.