Digital statt Präsenz

Online-Konfliktberatungen sind nicht grundsätzlich »besser« oder »schlechter« als Präsenz-Beratungen – sie erfordern jedoch ein anderes Vorgehen.

»Konflikte klärt man persönlich.« Diesen Ratschlag kennen Sie vermutlich. Doch gilt er auch im digitalen Zeitalter? Immer mehr Berufstätige arbeiten heutzutage in Teams, in denen sich die Mitglieder entweder nie oder nur selten persönlich treffen. In Fällen von akuten Konflikten, die dringend einer Lösung bedürfen, muss die Konfliktklärung oder -lösung manchmal digital erfolgen, besonders, wenn das nächste persönliche Treffen noch weit entfernt ist. Ein Missverständnis oder ein ungelöster Konflikt kann mit der Zeit immer mehr Energie kosten und die Gefahr einer Eskalation erhöhen. Deshalb ist es wichtig, solche Konflikte schnellstmöglich zu klären, auch wenn dies digital geschehen muss.
Bei der digitalen Zusammenarbeit haben viele Personen und Organisationen für den Umgang mit mehr oder minder großen Ärgernissen im Arbeitsalltag jedoch noch keine Routinen entwickelt. Sie wissen zudem nicht:

  • Worauf sollten wir bei online geführten Konfliktgesprächen achten? Und:
  • Wie können wir dafür sorgen, dass mittelfristig in unserem Team eine konstruktive Konfliktkultur entsteht – auch bei der virtuellen oder hybriden Zusammenarbeit?

Bei der Beantwortung solcher Fragen können Trainer, Berater und Coaches unterstützen.

Besonderheiten von Online-Konfliktgesprächen

Das setzt selbstverständlich voraus, dass sie mit den Besonderheiten der digitalen Zusammenarbeit und Konfliktberatung vertraut sind.

1. Kanalreduktion. In einer Präsenz-Konfliktberatung oder -moderation befinden sich alle Konfliktparteien im selben Raum und können diesen – im Gegensatz zur Online-Beratung – nicht einfach jederzeit verlassen, indem sie beispielsweise die Kamera ausschalten. Durch ihre körperliche Präsenz werden sie gezwungen, sich physisch zu den anderen Konfliktparteien zu positionieren.
Alle Anwesenden müssen selbst entscheiden,

  • an welcher Stelle des Raumes sie stehen oder sitzen
  • welche Körperhaltung sie einnehmen
  • worauf sie ihren Blick richten und
  • wie sie den anderen durch Gesten oder Mimik ihre aktuellen Gefühle zeigen.

Diese Kanalreduktion kann, richtig genutzt, für eine Konfliktklärung auch Vorteile beinhalten. Medienpsychologische Erkenntnisse weisen auf eine erhöhte Bereitschaft zur Selbstoffenbarung bei einer virtuellen Kommunikation hin. Mit dem Online-Setting vertraute Berater diskutieren auch nicht, inwieweit die Online-Kommunikation »besser« oder »schlechter«, sondern inwiefern sie schlicht »anders« sei und man sich auf sie einstellen kann und sollte.
Aus der Forschung ist zudem bekannt, dass sich Menschen im Internet auch sicherer fühlen, da sie nicht in einen persönlichen Kontakt mit dem Gegenüber treten müssen. Auch so kann ein geschützter Raum entstehen und die Hemmschwelle für Konflikt-Beratungen sinken.

2. Digitalkompetenz ist nötig. Viele Berater haben mittlerweile ausreichend Erfahrungen mit dem Online-Beraten und -Coachen gesammelt. Dabei ist ihnen aufgefallen, dass aufgrund der unterschiedlichen Rahmenbedingungen bei Online-Beratungsprozessen auch teilweise ein andersartiges Vorgehen als bei Präsenz-Settings erforderlich ist.

  • Faire Ausgangssituation schaffen. Beim Online-Beraten darf nicht einfach vorausgesetzt werden, dass alle Beteiligten die Spezifika eines videobasierten Gesprächs kennen – also zum Beispiel wissen, welche Auswirkungen die Positionierung der Kamera hat und welche technischen Schwierigkeiten auftauchen können. Hier ist eine Vorabinformation nötig.
  • Vertrauen braucht Sichtbarkeit. Hierfür ist unter anderem die Positionierung vor der Kamera wichtig. Zeigt das Kamerabild zum Beispiel auch die Hände der Teilnehmer, sehen die anderen, dass die betreffende Person parallel nicht mit anderen Aktivitäten beschäftigt ist. Dies wird als Zeichen der uneingeschränkten Aufmerksamkeit wertgeschätzt. Deshalb sollte man im Vorfeld über die Nutzung der Kamera sprechen und in den Sitzungen auf eine gute Positionierung und Beleuchtung der Konfliktparteien achten.
  • Online-Konfliktberatung braucht geeignete Tools. Diese sind zum Beispiel nötig, um komplexe Sachverhalte zu analysieren, (Wirk-) Zusammenhänge aufzuzeigen oder Feedback einzuholen. Ihr professioneller Einsatz bedarf einer gewissen Übung und Routine.

3. Aktive Moderation. Für Gespräche im digitalen Raum ist eine stärkere Strukturierung erforderlich. Es ist auch wichtig, darauf zu achten, dass alle Konfliktparteien ähnliche Redeanteile haben. Es ist nur möglich, Vielredner zu unterbrechen und die stillen Teilnehmer optimal einzubeziehen, wenn eine aktive Moderation stattfindet. Moderatoren sollten auf Folgendes achten:
ob sich jemand auffällig zurückzieht,
ob wechselseitig auf Themen und Statements eingegangen wird und
wie die Gesprächspartner mit Emotionen umgehen.

Grenzen des digitalen Konfliktmanagements

Beim Gestalten künftiger Konfliktberatungsprozesse geht es nicht um ein »Entweder-oder«, sondern ein »Sowohl-als-Auch«. Dabei gilt der Grundsatz: Je komplexer und emotionaler ein Thema ist, umso eher sollte ein persönliches Gespräch im Präsenzraum stattfinden. Für eine erfolgreiche Konfliktlösung ist es grundsätzlich erforderlich, dass alle beteiligten Parteien ein ehrliches Interesse an einer Lösung haben, unabhängig davon, ob der Konflikt im physischen oder digitalen Kontext auftritt.

Fazit
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die Digitalisierung auch im Bereich des Konfliktmanagements neue Möglichkeiten eröffnet hat. Online-Konfliktberatungen und -moderationen bieten Flexibilität, erfordern jedoch auch eine professionelle Planung und Gestaltung. Entscheidend ist, die Besonderheiten des digitalen Mediums zu berücksichtigen und ein strukturiertes Vorgehen zu gewährleisten, um eine erfolgreiche und konstruktive Konfliktlösung zu ermöglichen. Wenn alle Konfliktparteien ein ehrliches Interesse an einer Lösung haben, kann eine Online-Konfliktberatung genauso erfolgreich sein wie eine Präsenz-Beratung.

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prohaska

Gastautor
Sabine Prohaska
ist Inhaber1 des Weiterbildungsinsituts seminar consult prohaska, das u. a. Online-Trainer und Konfliktberater ausbildet. Sie ist Mitglied des Vorstands der Vereinigung der Businesstrainer Österreich (VBT).
www.seminarconsult.at