Es geht auch anders

Viele Unternehmen sind – obwohl es vorhersehbar war – von der erzwungenen Digitalisierungswelle der letzten Monate überrascht worden. In diesem Artikel lesen Sie, was Digitalisierung im HR bedeutet, was dabei wichtig ist und welche Bereiche besser analog bleiben sollten.

Die Corona-Krise hat den gesamten HR-Bereich in Punkto Digitalisierung etwas unsanft  wachgerüttelt. Unternehmen, die schon in den letzten Jahren in die Digitalisierung investiert hatten und entsprechend gut aufgestellt waren, hatten es natürlich leichter, in kürzester Zeit auf Home-Office umzustellen und dennoch den Zugriff auf benötigte Daten zu ermöglichen. »Corona als Brandbeschleuniger« wird häufig genannt. Unternehmen haben tatsächlich einen wahren Digitalisierungsschub erfahren (müssen). Viele HR-Abteilungen erkennen jetzt das Gute daran und sehen die Vorteile, die sie beispielsweise durch eine digitale Personalakte oder ein modernes Lernmanagementsystem haben. Nach den ersten Wochen der Schockstarre, in der viele (HR-)Mitarbeiter willkürlich agiert haben, da kaum ein Notfallplan vorhanden war, herrscht nun etwas mehr Klarheit über die Situation. HR muss in der modernen Welt ankommen – das hat Corona deutlich gemacht. Die Zeiten, in denen von 9 bis 17 Uhr im Büro gearbeitet wird, waren zwar schon lange vorbei. Dennoch war und ist das bei etlichen Unternehmen auch heute noch üblich. Dank Corona haben Unternehmen viel Erfahrung mit Home-Office gesammelt. Sowohl die Arbeitgeber als auch die Arbeitnehmer haben gelernt, damit umzugehen. Sie wissen nun, was sie wollen, was sie nicht wollen, je nach Persönlichkeits- und Organisationsstruktur. Eine Arbeitsgruppe der Regierung arbeitet gerade an neuen Gesetzen zu Home-Office (Details dazu in dieser Ausgabe ab Seite 52). ­TRAiNiNG hat bei Experten nachgefragt, was die Corona-Krise ganz konkret in HR-Abteilungen verändert und wie sie die Digitalisierung vorangetrieben hat.

Angelika Brändle (Lektorin und Fachbereichsleiterin FH BFI Wien): »Viele Organisationen haben bereits mit Mobile Working, flexiblen Arbeitsformen und technischen Möglichkeiten zur Kollaboration, zum Lernen und zur Automatisierung experimentiert. Diese wurden in unterschiedlichen Bereichen, teilweise noch zurückhaltend und vorsichtig abwartend, für spezifische Mitarbeitergruppen eingesetzt. Die Notwendigkeit, buchstäblich von einem Tag auf den anderen so viele Mitarbeiter wie möglich auf Mobile Working umzustellen, wirkte wie ein Digitalisierungsturbo für die Zusammenarbeit, für Interviews und Onboarding, für digitale Lernformate sowie weitere Unternehmensprozesse. Die Gestaltung der Rahmenbedingungen und Strukturen im Arbeitsalltag bekam eine neue Dimension: im Wohnzimmer, dem Kinderzimmer oder idealerweise am Arbeitsort der Wahl – manchmal auch am Ort der häufigen Unterbrechungen – hat alle gefordert und auch gezeigt, was auf Knopfdruck alles möglich ist. Wie viel vom beruflichen Arbeitsalltag digital und virtuell gelöst werden kann, war in vielen Bereichen ein ›AHA-Effekt‹ mit hoffentlich langfristiger Wirkung in punkto Flexibilität – idealerweise für alle Beteiligten. Andererseits wirkte diese schnelle Umstellung auch wie eine Lupe und hat Grenzen der virtuellen Zusammenarbeit aufgezeigt: Kollaboration, Diskussionen und Austausch zu konkreten Inhalten waren virtuell möglich, allerdings durchaus leichter bei bereits bestehenden Teams.«

Die digitale Transformation im Kontext HR umfasst allen voran die Veränderung der Denkweise, des Herangehens und der Vorstellung davon, WIE Arbeit stattzufinden hat. Stichworte hierfür sind Agilität, Prozessorientierung, Kommunikation und Kultur.

Thomas Olbrich (Chief Culture Officer bei ­karriere.at): »Viele HR-Manager und Geschäftsführer haben uns die Erkenntnis ›Es geht auch anders‹ als wichtigste in den vergangenen Monaten geschildert. Unternehmensweites Home Working, Bewerbungsgespräche und Onboardings per Video – das hätten wohl viele vor Corona für unmöglich gehalten. Dahingehend hat HR vor allem durch den Lockdown sicherlich einen großen Digitalisierungsschub erfahren. Das betrifft auch die entsprechende Infrastruktur. Gleichzeitig war diese Extremsituation sicherlich ein ›Moment of Truth‹ für die Unternehmenskultur: Wie führen wir Mitarbeiter durch die Krise? Können wir den Teamzusammenhalt trotz räumlicher Distanz aufrecht halten? Wie kommunizieren wir Kurzarbeit und Gehaltseinbußen? Unsere Studie ›Jobsuche in Zeiten von Corona‹ hat bestätigt, dass eine gute Unternehmenskultur essenziell ist, damit in Krisenzeiten alle an einem Strang ziehen und gute Mitarbeiter nicht ›das sinkende Schiff‹ verlassen.«

Beim Digitalisieren von (HR-)Prozessen stehen Unternehmen häufig vor großen Herausforderungen. Das ist der (nachvollziehbare) Grund, warum in den letzten Jahren wenig passiert ist. Durch Corona mussten viele Unternehmen die Organisation umstellen, doch das bedarf auch einer Einstellungsänderung der Mitarbeiter.
Johannes Kreiner (Geschäftsführer Sage DPW): »Wer in Zeiten der Digitalisierung Erfolg haben will, muss agil sein und agil handeln. Das stellt Unternehmer vor die Aufgabe, vorhandene Abläufe auf den Prüfstand zu stellen, um die eigene interne Organisation noch flexibler zu gestalten und weiter an die Anforderungen des digitalen Zeitalters anzupassen. Dazu gehört auch eine Bestandsaufnahme der HR-Prozesse.«

Digitales Personalmanagement

Digitales Personalmanagement bedeutet, dass Bereiche des HR durch digitale Technologien abgelöst, bzw. unterstützt werden. Wenn wir von einer digitalen Transformation sprechen, geht es dabei nicht um das Anreichern diverser Abläufe mit digitalen Werkzeugen, sondern um die fundamentale Umstrukturierung der HR-Abteilung. Zu den Tools zählen unter anderem Instrumente zur Messung der Aktivitäten in sozialen Netzwerken (Monitoring-Tools), Kandidatensuche oder das Bewerbermanagement. Tools finden sich in sozialen Netzwerken, Onlineservices, Softwareprodukten, Apps oder Browser-Erweiterungen. Weiters fällt unter die Digitalisierung im HR der Aufbau eines digitalen Bewerberpools, die Optimierung der Google-Ergebnisse aus Bewerbersicht, E-Learning, digitale und mobile HR-Admin-Lösungen wie die digitale Personalakte und einige mehr.
Thomas Olbrich berichtet aus seiner HR-Praxis, was die wichtigsten Tools für ihn sind: »Ein gutes Bewerbermanagementsystem, ein digitaler Personalakt und ein Kommunikationstool, mit dem das gesamte Team in Echtzeit über Neuigkeiten informiert werden kann, das aber auch den direkten Austausch der Mitarbeiter untereinander fördert. Bei Bewerbermanagementsystemen kommt es ganz auf die Anforderungen des jeweiligen Unternehmens an. Am wichtigsten ist aus unserer Sicht aber immer, dass digitale Tools selbsterklärend sind, also ohne lange Einschulung von jedem benützt werden können.«

Johannes Kreiner: »13 % der Teilnehmer einer Befragung zum HR-Report 2018 von Hays gaben an, dass im Personalwesen bereits jetzt agil gearbeitet werde. Damit liegt die HR-Abteilung an zweiter Stelle. Ein Grund für diese erfolgreiche Entwicklung ist der zunehmende Einsatz zeitgemäßer IT-Lösungen im HR-Bereich, die es den Personalverantwortlichen erlauben, in zunehmendem Maße flexibel, schnell und sicher zu agieren. Hierzu gehört auch ein modernes Dokumentenmanagement – beispielsweise in Form der digitalen Personalakte, die als internes Kontrollsystem Verantwortliche im HR-Bereich bei ihren täglichen Arbeiten rund um das Thema Personal unterstützt. So besteht durch Schnittstellen zu anderen Systemen die Möglichkeit, Daten aus der Personalverrechnung zu importieren.«

Angelika Brändle erzählt über digitales Lernen: »Bei der Gestaltung digitaler Lernformate sollten Unternehmen besonders darauf achten, die Neugier anzufachen: beispielsweise mit ›Gaming Elementen‹ und Möglichkeiten zur Interaktion und Kollaboration, eine entspannte und anregende Lernatmosphäre zu gestalten. Da Vernetzung, Austausch und Begeisterung für ähnliche Themen das Lernengagement erheblich steigern, ist es besonders wichtig, analoge Treffen mit Zeit für Austausch vor Ort und virtuelle Module gut miteinander zu verbinden.«

Gegenwart und Zukunft im HR

Zur Zeit kann die Digitalisierung so manchem HR-Verantwortlichen gar nicht schnell genug gehen. Dennoch sehen sich viele Unternehmen in einem Spagat zwischen der Belegschaft von Morgen und den Mitarbeitern der Gegenwart. Die einen erwarten einen digital organisierten Arbeitsplatz, die anderen sind überfordert, wenn es mit der Digitalisierung zu schnell geht und kommen bei der Bedienung des umgestalteten Arbeitsplatzes nicht mehr mit.
Thomas Olbrich: »Vermutlich wird es in Zukunft weniger Widerstand gegen die Einführung digitaler Tools geben. Die Angst vor dem Umgang damit haben viele Menschen in den vergangenen Monaten – gezwungenermaßen – verloren. Das ist der Eindruck, den wir aktuell haben und es wäre wünschenswert, wenn das so bleibt.«

Angelika Brändle: »Eine große Herausforderung derzeit ist die Frage nach dem Sinn, der Struktur und der Orientierung. Dies gemeinsam herauszufinden, diese Spielregeln (neu) zu definieren, motivierend zu kommunizieren und mit Leben zu füllen, ist und bleibt eine wichtige HR-Herausforderung für die nächsten Jahre. Eine weitere Herausforderung der Zukunft ist es, die Flut an Daten sinnvoll auszuwerten, um beispielsweise Kompetenzen sichtbar zu machen, Experten zu vernetzen oder organisationale Veränderungsprozesse evidenzbasiert zu gestalten. Daher wird in Zukunft People Analytics im HR-Bereich eine weitere Professionalisierung ermöglichen. Die aktive Gestaltung von Arbeitswelten – egal ob im Büro, zu Hause, unterwegs oder virtuell – wird noch an Bedeutung zunehmen. Eine Lern-, Vertrauens- und Ergebniskultur wertschätzend, kollaborativ und inklusiv zu gestalten die auch Vereinbarkeit von Beruf und Familie sowie unterschiedliche Lebensentwürfe ermöglicht, wird auch in Zukunft eine spannende und herausfordernde Aufgabe bleiben.«

Kompetenzen der HR-Manager

Wie sieht der Job als HR-Manager in Zukunft aus? Was muss ein Personalist können? Was muss er tun? Digitale Bildung bedeutet neben technischen Fertigkeiten auch, digitale Medien kompetent und reflektiert nutzen zu können – eine Schlüsselqualifikation für HR-Manager. Denn die Technik soll Personal-Managern das Leben einfacher machen. Manchen erscheint es derzeit jedoch mehr ein Zeitfresser zu sein.

Johannes Kreiner: »Mit der Automatisierung von Standardprozessen bleibt für die Verantwortlichen im HR-Department mehr Zeit für entscheidende Aufgaben wie Recruiting und Talent Management. Statt sich in Routinetätigkeiten zu verzetteln, kann Human Resources seine Kompetenzen nutzbringend einsetzen.«

Thomas Olbrich: »Die Kernkompetenzen von HR-Managern werden in Zukunft nicht anders sein als jetzt: Man muss Neues kennenlernen wollen – seien es neue Menschen, Arbeits- und Denkweisen oder eben Tools – klar und wertschätzend kommunizieren können und viel Empathie besitzen, um die Anforderungen und Bedürfnisse sowohl des Arbeitgebers beziehungsweise der Führungskräfte und Teams als auch der jeweiligen Bewerber und Mitarbeiter zu verstehen.«

Angelika Brändle: »Neben den Digital Skills benötigen HR-Manager Interesse und Neugier an der Zusammenarbeit mit Menschen, bestenfalls die Fähigkeit, Werte, Motivationen und Interessen von Mitarbeitern sowie internen und externen Partnern zu verstehen und zu gemeinsamen Lösungen zu verbinden. Außerdem Flexibilität, um unterschiedliche Formen der Kollaboration zu fördern.«

Analoge HR-Bereiche

Alle Bereiche, in denen es um menschliche Interaktion geht, werden vermutlich auch in Zukunft analog besser funktionieren – zumindest aus heutiger Sicht.

Thomas Olbrich: »Remote Bewerbungsgespräche beispielsweise sind geeignet für einen ersten Eindruck, aber nichts ersetzt das persönliche Kennenlernen ›in real life‹. Das gilt für die gesamte Unternehmenskultur. Videochats können das Miteinander im Arbeitsalltag einfach nicht ersetzen. Das charakteristische Arbeitsklima einer Firma, sein Teamspirit, dieses identitätsstiftende ›Wir-Gefühl‹, geht bei dauerhaftem Remote Work verloren.«

Angelika Brändle: »Die Grenzen der virtuellen Welt wurden in den letzten Monaten klar ersichtlich: Gemeinsame Erlebnisse, gegenseitige Inspiration und gemeinsames Erarbeiten von Themen, aktive Diskussion und informelle Abstimmungen, Austausch und Beziehungen zu Kollegen lassen sich auch virtuell bewusst geplant organisieren, haben allerdings eine andere Qualität.«

Fazit
Die Welt wird digitaler. Sich dagegen zu wehren, ist zwecklos. Die digitale Transformation hilft Unternehmen, sich wieder auf ihre Kernprozesse zu konzentrieren – das gilt natürlich auch für das HR-Management. Die Personalisten der Zukunft werden wieder Zeit haben für »echte« Personalarbeit, wie Werte und Kultur im Unternehmen umzusetzen. Personalisten müssen sich regelmäßig über neue Tools informieren. Denn die Veränderung geht schnell voran. Denn Sie wissen ja: Wer nicht mit der Zeit geht, muss mit der Zeit gehen.

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