Fairness im Recruiting gilt als eine der Schwachstellen in der Personalbeschaffung. Welche Schritte eignen sich zur Anonymisierung und welche Möglichkeiten gibt es?
Faires Recruiting bedeutet, dass jedes Bewerber bei gleichwertiger Qualifikation auch dieselbe Chance hat, für eine Stellenausschreibung in Frage zu kommen. Migrationshintergrund, Alter, Religion oder Geschlecht sollten keine Rolle spielen. Doch Studien zeigen, dass es bestimmte Personengruppen nach wie vor schwer haben, am Arbeitsmarkt Fuß zu fassen. Wenn beispielsweise am Lebenslauf des Bewerbers ersichtlich ist, dass das Herkunftsland ein fremdes ist, der Name unvertraut klingt, sie eine Mutter von kleinen Kindern ist, führt das oft automatisch zu einer Absage. Eine Idee, wie hier Abhilfe geschaffen werden kann, ist es, einzelne Prozessschritte zu anonymisieren.
Résumé whitening
Résumé whitening ist ein Begriff aus dem amerikanischen Raum. Hierbei werden von Bewerbern gewisse Angaben am Lebenslauf »geweißt«, im Sinne von kaschiert bzw. bewusst weggelassen, die Rückschlüsse auf die Herkunft, die Rasse oder beispielsweise die Religion zulassen könnten. Untersuchungen zeigen, dass Bewerber, die Angaben zur Herkunft am Lebenslauf weglassen, zu mehr Vorstellungsgesprächen eingeladen werden. Insbesondere für Personen mit Migrationshintergrund, Frauen mit Kindern oder älteren Bewerbern stellt dies eine erfolgversprechende Taktik dar, um die erste Selektionsrunde im Recruitingprozess, dem Screening von Lebensläufen und Bewerbungsschreiben, zu passieren und in die nächste Runde zu kommen.
Blinding
Eine ähnliche Vorgehensweise, nun auf Unternehmensseite, wird im amerikanischen Raum als Blinding bezeichnet. Hierbei werden dem Hiring Manager, beispielsweise durch ein System oder durch Vorarbeit eines anderen Mitarbeiters, bestimmte Informationen, wie etwa ein Name oder die Herkunft, für den Entscheidungsprozess vorenthalten. Untersuchungen zeigen, dass die Chancen für Minderheiten in die nächste Runde zu kommen, durch diese Maßnahme steigen. Es gibt Unternehmen, die bereits Richtlinien einsetzen, die eine solche Vorgehensweise eines anonymisierten Prozessschrittes vorschreiben. Noch erfolgversprechender ist es laut einer Studie sogar, wenn anstelle einer Richtlinie die Hiring Manager gefragt werden, welche Bewerber-Informationen sie ihrer Meinung nach sehen sollten, um fair über die Eignung eines Kandidaten zu entscheiden. Hierbei zeigt sich, dass Hiring Manager von sich aus auf Foto und Namen verzichten. Entscheidend ist, dass keine Vorgabe festlegt, ob Name und Foto angeführt werden, sondern dass das Hiring Manager selbst die Entscheidung darüber trifft, ob es diese benötigt, um zu einem fairen Ergebnis zu gelangen. Es kann auch bereits helfen, wenn die Reihenfolge, in der Informationen angezeigt werden, geändert wird.
Algorithmische Systeme
Ein algorithmisches System setzt sich aus einem oder mehreren Algorithmen zusammen, wird in eine Software implementiert und in Programmiersprache übersetzt. Ein Beispiel für ein algorithmisches System im Kontext Recruiting stellt eine Bewerbersoftwaredatenbank dar, die digital erhaltene Bewerbungen nach festgelegten Kriterien (z. B. Schlüsselkompetenzen) durchsucht und eine erste Selektion bzw. Reihung vornimmt. Algorithmische Systeme werden bereits in vielen Bereichen genutzt, beispielsweise auch, um Vorhersagen über künftige Arbeitsleistung zu machen. Ziel ist es, Fehlurteile von Menschen, die durch bewusste oder unbewusste Biases (Verzerrungen) entstehen, zu vermeiden. Doch auch durch den Einsatz von algorithmischen Systemen können Verzerrungen passieren und soziale Ungleichheit sogar noch verstärkt werden. So kann es laut einer Studie zu nicht repräsentativen Stichproben im Testverfahren oder zu falscher Kennzeichnung der Ergebnisse im Testverfahren kommen. Dies kann beispielsweise auftreten, wenn ein Mitarbeiter fälschlicherweise als leistungsschwach eingestuft wird, obwohl es von einer Führungskraft diskriminiert wird. Sind die Programmierer bereits voreingenommen, verschärft sich die Ungleichbehandlung in weiterer Folge sogar. Nutzt das System die Daten zu erfolgreich durchgeführten Einstellungen der letzten Jahre, in denen hauptsächlich nur weiße, männliche Führungskräfte ausgewählt wurden, wird das System in weiterer Folge verstärkt nur nach dieser Zielgruppe suchen.
Gruppeninterviews
Eine Möglichkeit, um unbewusste Voreingenommenheit von einzelnen Personen zu reduzieren, ist es, ein Jobinterview mit mehr als einem Interviewer zu führen. Durch die Beobachtung und Bewertung durch mehrere Interviewer erhöhen sich die Chancen, dass Verzerrungen aufgedeckt werden, es zu einer demokratischen Entscheidung kommt und somit wiederum bessere Ergebnisse erzielt werden. Doch auch Gruppeninterviews sind nicht frei von Verzerrungen. Ein bekanntes Phänomen ist Gruppendenken, ein Verhalten, bei dem sich einzelne Personen der Meinung der Mehrheit anschließen, obwohl sie eigentlich anderer Meinung wären. Um dies zu verhindern, empfiehlt es sich, dass in einem ersten Schritt jedes Interviewer für sich eine Bewertung durchführt und Argumente für und gegen eine Einstellung notiert. Die Einzelbewertungen und Begründungen können durch eine weitere Person gesammelt werden und der Mittelwert errechnet werden. Erst danach sollen Vergleiche über die Bewertungen und Diskussionen geführt werden. Dadurch bleiben Interviewer eher bei ihrer eigenen Meinung und lassen sich weniger leicht beeinflussen. Eine Untersuchung bei Google zeigt, dass es durch die Mittelwertbildung von Gruppenbewertungen zu besseren Vorhersagen bezüglich des Erfolges von Einstellungen kam, als durch die Bewertung nur eines Interviewers.
Fazit
Bereits die Vorauswahl im Recruitingprozess zu anonymisieren, erhöht die Chancen auf faire Behandlung. In diesem Stadium der ersten Selektion von Bewerbungen empfiehlt es sich, bestimmte Informationen über Personen durch z. B. Blinding zu verbergen und erst später sichtbar zu machen. Der Einsatz von algorithmischen Systemen soll Fehlurteile von Menschen verhindern. Für den Prozessschritt des persönlichen Interviews empfiehlt sich eine Durchführung mit mehreren Interviewern, die auch wiederum erst anonym ihre Bewertung abgeben. Dadurch kann Verzerrungen vorgebeugt werden.