In der Selbstwahrnehmung haben auch Unternehmen ihren »blinden Fleck«. Ein »Spiegel« durch Feedback hilft, Stärken und Verbesserungspotenziale zu erkennen. Doch wie wirksam sind die gebräuchlichen Methoden noch? Ein Interview mit Mario Filoxenidis.
Mitarbeiter nach ihrer Meinung zu befragen, ist seit den 90er-Jahren ein häufig eingesetztes Instrument der Personal- und Organisationsentwicklung. Wie ist die klassische Mitarbeiterbefragung derzeit positioniert?
Mario Filoxenidis: Neben anderen klassischen Feedbacksystemen wie strukturiertem Mitarbeitergespräch, 360-Grad-Feedback, Potenzialanalysen, Förder-Assessments etc. stellt die klassische Form der Mitarbeiterbefragung eine stichtagsbezogene, strukturierte – meist anonyme – Erhebung der Mitarbeitermeinung dar. Was dabei gefragt wird, ist jedenfalls im Unternehmenskontext zu betrachten. Strategische Mitarbeiterbefragungen werden dann eingesetzt, wenn man durch die Einbindung der Mitarbeiter Stärken ausloten und Verbesserungspotenziale identifizieren will. Das hilft, den Erfolg des Unternehmens abzusichern oder zu steigern. Meist werden Mitarbeiterbefragungen von externen Partnern begleitet, was eine methodisch hochwertige Durchführung und die Anonymität sicherstellt. Die klassische Mitarbeiterbefragung ist jedenfalls zu einem aktiv genutzten Feedbackinstrument geworden. Nach unserer Erfahrung wird sie sowohl von Führungskräften als auch von Mitarbeitern ohne Führungsfunktion aber auch Betriebsräten als Bereicherung und Basis für Erkenntnisse und gute Entscheidungsgrundlage für Organisationsentwicklung gesehen.
Wieso wird überhaupt Mitarbeiterzufriedenheit erfragt? Und kann Zufriedenheit nicht auch Stillstand bedeuten?
Zufriedene Mitarbeiter haben entscheidenden Einfluss auf die Kundenzufriedenheit. Und Kundenzufriedenheit gilt vielfach als Schlüsselindikator für nachhaltigen wirtschaftlichen Erfolg eines Unternehmens. Dieser Zusammenhang alleine macht es schon sinnvoll, das Thema Mitarbeiterzufriedenheit nicht unter den Tisch fallen zu lassen. Mitarbeitende suchen zunehmend neben »Hard Facts« Sinn, Wertschätzung sowie Weiterentwicklung in ihrer Tätigkeit und wollen sich entfalten können. Und Arbeitgeber wollen engagierte, motivierte Mitarbeiter, die für das Unternehmen 100 % Einsatz geben. Beides sind zwei Seiten der gleichen Medaille. (De-)Motivationsfaktoren zu kennen, ist also ein entscheidender Wettbewerbsvorteil, nicht nur das Thema Employer Branding betreffend, sondern auch für die gesamte Unternehmensqualität. Bei unseren Mitarbeiterbefragungen wenden wir eine Methode an, in der sowohl der Nutzen für eine Personengruppe als auch für die Organisation als Ganzes in die Betrachtung einbezogen wird. Zufriedenheit ist Basis für Engagement, aber Engagement ist noch mehr und zeigt sich auch in Form des Beitrages, den jemand zum Erfolg eines Unternehmens gerne leistet. Es geht also nicht darum, es sich am Arbeitsplatz so richtig bequem zu machen, sondern darum, gerne produktiv sein und einen besonderen Einsatz für das Unternehmen leisten zu wollen.
Es gibt Stimmen, die meinen, dass jede Mitarbeiterbefragung schon alleine durch die Fragestellung das Ergebnis beeinflusst. Stimmt das? Beziehungsweise was kann man dagegen tun?
Selbstverständlich beeinflusst beispielsweise die Formulierung die Antwort, selbst wenn sie klar und eindeutig ist. Eine der wichtigsten Voraussetzungen ist beispielsweise auch, dass der Befragte die Frage richtig versteht. Das hat Einfluss auf Datenqualität und spätere Datenanalyse. Daher sollten solche Befragungen von Spezialisten umgesetzt werden. Und deshalb ist es auch vorteilhaft, für die Organisation maßgeschneiderte, eindeutige Formulierungen einzusetzen, in die möglichst wenig hineininterpretiert werden kann. Daneben hat die Art der Fragestellung aber auch eine Transportfunktion. Der Auftraggeber einer Mitarbeiterbefragung kann durch die Art der Fragestellung bzw. die Durchführung bewusst Wertschätzung kommunizieren und darlegen, dass jede Meinung wichtig für die positive Weiterentwicklung des Unternehmens ist. Jede Antwort zählt und hilft, die Entscheidungen zu wichtigen Weichenstellungen partizipativ zu treffen. Mitarbeiterbefragungen müssen wirken und bereits als positive Intervention verstanden werden.
Werfen wir nun einen Blick in die Zukunft. Was sind allgemeine Trends bzw. Einflussfaktoren im Bereich Feedbacksysteme und wie wird sich das auswirken?
Feedbacksysteme werden sowohl in der Personal- als auch in der Organisationsentwicklung eingesetzt. Es geht entweder darum, durch Feedback die Potenziale einer einzelnen Person zu erkennen und zu fördern, oder aber Erfolgsfaktoren wie Unternehmenskultur, Unternehmensqualität, Innovationskraft oder Agilität durch gute Zusammenarbeit und gute Entscheidungen strategisch in Organisationen zu entwickeln. Durch die soziodemografische Entwicklung der letzten Jahre sind beide Bereiche beeinflusst und so müssen selbstverständlich auch die Systeme und Instrumente entsprechend angepasst werden.
Was ist hier genau mit der soziodemografischen Entwicklung gemeint?
Das betrifft zu einem großen Teil vor allem das Thema Diversität in unterschiedlichen Bereichen. Unterschiedliche Lebensalter und Generationen im Arbeitsprozess bedingen unterschiedliche Ansprüche an die Geschwindigkeit, Transparenz, Häufigkeit und Qualität von Feedback. Die Generation Z ist die erste, die komplett in einer digitalen Welt aufgewachsen ist. Das prägt auch das Kommunikationsverhalten. Es wird permanent über Instagram, Twitter und WhatsApp kommuniziert. Es wird gepostet, geliked und kommentiert, allerdings nur digital und selten persönlich. Von klein auf sind sie an ständiges Feedback gewöhnt. Und das wird auch das Kommunikationsverhalten im Job verändern. Mitarbeiter der selbstbewussten Generation Y fordern permanent Feedback sofort ein, wollen aber ihre Freiräume behalten. Die Generation X gilt als zielorientiert und leistungswillig und erwartet regelmäßiges Feedback. Und die Babyboomer haben wieder andere Erwartungen, beispielsweise an Mentoring und alterssensibles Führen. Das sagen uns zumindest verschiedene Studien. Es gibt also offensichtlich Unterschiede zwischen den Generationen, die starken Einfluss auf Führung und Feedback-Instrumente der Zukunft haben werden. Es ist auch derzeit bereits ein gewisser Spagat, den unterschiedlichen Anforderungen gerecht zu werden, das erfordert individuelle Maßnahmen und flexible Instrumente. Die Stellung von Frauen in Unternehmen ist ebenfalls im Wandel. Auch hier muss man die Rahmenbedingungen beachten und berücksichtigen, dass unterschiedliche Perspektiven neue Wege erfordern. Und nicht zuletzt stellen wir fest, dass heute in einem Unternehmen mit hoher Wahrscheinlichkeit Menschen unterschiedlicher kultureller und länderspezifischer Herkunft zusammenarbeiten. Das hat möglicherweise auch unterschiedliche Werthaltungen zur Folge, hat vielleicht Einfluss auf die Verständlichkeit von Instrumenten und bedarf höherer Sensibilität und interkultureller Fähigkeit der Beteiligten.
Was hat das Schlagwort »Digitalisierung« hier für einen Einfluss? Beeinflusst das nicht ebenfalls periodisch durchgeführte Mitarbeiterbefragungen?
Im Kommunikationsverhalten der Generationen Y und Z sehen wir es wie erwähnt schon sehr gut: Durch die Digitalisierung werden viele Prozesse schneller und präziser, möglicherweise aber auch komplexer. Manche Prozesse werden von Maschinen übernommen, man muss aber die Komplexität im Griff haben und den Überblick behalten. Mit Hilfe künstlicher Intelligenz wird ja in anderen Bereichen, wie der Messung von Beschwerdeverhalten und Kundenzufriedenheit, bereits mit Methoden der Textauswertung operiert, um den Grad der Zufriedenheit zu ermitteln, ohne dass Personen überhaupt direkt befragt werden. Wie das geht? Im Rahmen von Big Data kann die gesamte Korrespondenz ausgewertet werden, also E-Mail-Verkehr, Social Media-Verhalten, Spuren im Netz wie Telebanking, Bestellungen bei Amazon etc. Ob das auch auf den Bereich Mitarbeiterbefragungen mittelfristig einen Einfluss haben wird, ist noch zu beobachten. Wir sehen aber auch einen enormen Wandel in der Anpassung von Organisationsstrukturen und Entscheidungsträgern, d. h. Veränderungsprozesse in Unternehmen finden ebenfalls immer rascher, parallel und massiver statt. Für die stichtagsbezogene periodisch durchgeführte Mitarbeiterbefragung heißt das, dass die Projektlaufzeiten von Planung bis Ergebnisbekanntgabe stark verkürzt werden müssen. Sonst können Ergebnisse nicht mehr wirksam für den Verbesserungsprozess genutzt werden, wenn beispielsweise während der Projektlaufzeit das Unternehmen massiv umstrukturiert wurde, Mitarbeiter von Auswertungseinheiten anderen Bereichen zugeordnet wurden etc. Denn schließlich sollen auf eine strategische Mitarbeiterbefragung immer Maßnahmen folgen. Wenn sich hier die Verantwortungsbereiche in der Zwischenzeit komplett verändert haben, ist das nicht mehr sinnvoll. Das Format der Befragung ist ebenfalls durch die Digitalisierung beeinflusst. Papierfragebögen genießen derzeit immer noch eine Daseinsberechtigung, wo die Mitarbeiter beispielsweise in der Fertigung oder die klassische Supermarkt-Kassiererin keinen eigenen E-Mail-Zugang haben. Sie werden aber in naher Zukunft durch digitale Fragebögen (durchgängig für die gesamte Belegschaft) abgelöst werden. Ergänzt, aber nicht ersetzt, wird zukünftig die Feedback-Einholung bei Bedarf mittels digitaler Quick-Check-Systeme erfolgen.
Warum soll dann in Zukunft bei diesen Voraussetzungen überhaupt noch eine stichtagsbezogene Befragung durchgeführt werden?
Bei zentral organisierten periodischen Mitarbeiterbefragungen wird gewährleistet, dass jeder Befragte genau eine Stimme hat nach dem demokratischen Prinzip. Die quantitativ erhobene Meinung aller Mitarbeiter steht dabei im Vordergrund, da auch jene Meinungen Relevanz erhalten, die im Alltag verhallen. Die Scheuklappen von Führungskräften und Betriebsräten werden damit überwunden und das Unternehmen erhält ein objektives Spiegelbild der Meinungen in der gesamten Organisation. Auf strategischer Ebene lässt sich beobachten, wie sich die Wertelandschaft, die Führungs- und Unternehmenskultur und die Themenstellungen für produktive Arbeitsumgebungen entwickeln. Und auf operativer Ebene erhalten Führungskräfte gute Hinweise für Wirkungshebel zum Erreichen guter Team-Leistungen. Das rechnet sich dann, wenn der Maßnahmenableitungs- und Umsetzungsprozess lückenlos vom obersten Management unterstützt bzw. gefördert wird.
Was wird sich nun konkret schon bald im Bereich Mitarbeiterbefragungen verändern?
Der Zug fährt wie schon beschrieben eindeutig in Richtung digitaler Befragung ab. Außerdem wollen viele Führungskräfte nicht mehr warten, bis die nächste zentral organisierte Mitarbeiterbefragung stattfindet. Sie wollen Feedback on Demand (Quick-Checks) für raschere Grundlagen von Entscheidungen gerade dann, wenn sie es brauchen – beispielsweise in laufenden Veränderungsprozessen oder komplexen Projekten. Anonymität bei quantitativen Befragungen ist aber nach wie vor ein wichtiges Kriterium. Daher ist auch starkes Augenmerk darauf zu legen, wer Zugang zu Rohdaten hat, um Anonymität weiterhin zu gewährleisten. Das wird aus meiner Sicht auch bei allen Überlegungen zu Big Data eine Rolle spielen. Es gibt allerdings auch Bereiche, die nicht digitalisierbar sind, wie zum Beispiel Vertrauen in der Zusammenarbeit. Der menschliche Faktor wird nach wie vor eine Rolle spielen. Es ist auch in Zukunft ein wichtiges Führungsthema, zu filtern und sich im Informations-Overflow auf das Wesentliche zu konzentrieren.
Können Quick-Checks die klassische Mitarbeiterbefragung ganz ablösen? Und was ist sozusagen Ihr Fazit bei all diesen Entwicklungen?
In einigen Fällen mag das gelingen, wenn beispielsweise nur schnelle Richtungsentscheidungen innerhalb eines Teams notwendig sind. Der stichtagsbezogenen Mitarbeiterbefragung, die sich meist auch an die Gesamtheit der Belegschaft richtet, wird ein höherer strategischer Wert zugeordnet. Organisationen, die die Pionierphase bereits überschritten haben, können mit Quick-Checks alleine schwer einen strategischen Nutzen erzielen. Ich persönlich glaube nicht an ein Entweder-Oder, sondern an ein Sowohl-als-Auch. Zentral und formal gesteuerte periodische Befragungen sollten meiner Ansicht nach mit Feedback-on-Demand-Systemen kombiniert werden. Quick-Checks sind beispielsweise gut geeignet für kurze Überprüfung von Maßnahmen in der Umsetzungsphase. NACH einer periodischen Mitarbeiterbefragung ist es wichtig, auf solche Methoden zurückzugreifen, die den Umsetzungsprozess unterstützen. So können einerseits Verbesserungsmaßnahmen digital dokumentiert und ausgewertet werden, andererseits kann die Bereichsführungskraft auch die Wirkung von Maßnahmen eigenverantwortlich überprüfen.