Das Führen ohne offizielle Vorgesetztenfunktion ist ein aktuelles Thema. TRAiNiNG hat darüber mit dem Führungsexperten und Trainer Wolfgang Halapier gesprochen.
Warum ist das Thema »Führen ohne Vorgesetztenfunktion« heute aktueller denn je?
Dieses Thema – die Kompetenz, Menschen ohne hierarchische Machtmittel zu führen – war schon immer aktuell. Zumindest seit Menschen für bestimmte Aufgaben wie zum Beispiel das Jagen kooperieren mussten. Aktueller wirkt es heute wegen des Kontrasts von hierarchischen Machtverhältnissen zu egalitärer Kooperation. Genauer gesagt, wegen der Schärfe des Kontrasts. Wir verbringen viel Lebenszeit in Gruppen: Familie, Kindergarten, Schule, Arbeitsteam, Gesangschor, Fußballteam. Die meisten davon sind hierarchisch gestaltet. Das heißt, wir haben uns lange Zeit hindurch an das Leben in zum Teil hochstrukturierten, hierarchischen Machtstrukturen mit mehr oder weniger klar verteilten Rollen und Regeln gewöhnt. Und wie Sie wissen, quartieren sich Gewohnheiten ein, ins Verhalten und in das Mindset. Und das hartnäckig und nachhaltig. Im Zuge der technologischen und wirtschaftlichen Entwicklungen und der gesellschaftlichen Veränderungen sind schon im vorigen Jahrhundert in der Arbeitswelt neue Notwendigkeiten aufgetaucht. Projektgruppen, matrixartige Organisationsstrukturen, Arbeitsnetzwerke, aber vor allem auch Initiative, Kreativität und Selbstmotivation auf Seiten der Mitarbeitenden. Um dem gerecht zu werden, brauchten und suchten wir neue Führungsmethoden im Widerspruch dazu, wie wir Führen oder Anführen bisher verstanden und oft erlebt haben. Auf den Punkt gebracht geht es heute in der Mitarbeiter-Führung vor allem darum, die Menschen dazu zu bringen, dass sie das, was sie tun sollen, tun wollen. Und das Wollen können Sie niemandem anordnen. Du musst wollen! Das funktioniert nicht. Wollen Sie mir jetzt die nächste Frage stellen? (Lacht.)
Ja gerne! Welche Probleme haben Personen, die in eine Führungsrolle gedrängt werden und diese nicht formell innehaben?
Diese Personen haben bisher hauptsächlich direktive Führungshandlungen in hierarchischen Systemen erlebt. Plötzlich sollen sie ohne diese Machtmöglichkeiten führen. Wie soll das gehen? Die Teammitglieder werden sich nicht unterordnen. Ich bin ja nicht vorgesetzt. Die werden sich von mir nichts anschaffen lassen. Sie sehen schon am Wording, dass die Einstellung zur Führungsfunktion, zur eigenen Rolle und zu den Kollegen einer Erweiterung bzw. einer Neuinterpretation bedarf. Zusätzlich – Sie haben es realistisch formuliert – werden viele in diese Rolle gedrängt. Gedrängt! Diese Problematik erfordert großes Verständnis, Widersprüche und Gegensätze zuzulassen. Bei sich, bei den anderen und im Unternehmen.
Welche Tipps können Sie Personen geben, die ohne Vorgesetztenfunktion führen (müssen)?
Bereiten Sie sich vor. Überprüfen Sie Ihre Haltung zur Aufgabe der Menschenführung. Erhöhen Sie Ihren Kreativitätslevel. Beginnen Sie, regelmäßig Ihre Komfortzone zu verlassen. Stärken Sie Ihre Experimentierfreude. Hören Sie öfter und intensiver anderen zu. Entdecken Sie die Faszination, mit Ihrer Persönlichkeit andere zu überzeugen. Agieren Sie mit Ihren individuellen Stärken und Talenten. Bleiben Sie authentisch.
Sie bieten zu diesem Thema ein Seminar an. Was wird dort genau gelehrt?
Exakt das Führen ohne offizielle Führungsfunktion. Und zwar auf unterschiedlichen Ebenen. Sie reflektieren Gewohnheiten, innere Einstellungen und Vermutungen, lernen Tools und neue Führungsmethoden anzuwenden, machen Situationsanalysen aus der Praxis und aktivieren Ihre individuellen Stärken.
Wer ist Zielgruppe dieses Seminars?
Im Grunde ist es für alle Führungskräfte interessant. Auch für »offizielle«, um die Führungskompetenzen zu erweitern. Und für alle Personen, die Projekte leiten und steuern sowie für Menschen in Schlüsselpositionen, die abteilungsübergreifend agieren.