Führung hat ein Ziel: Vorbild sein

Menschen verhalten sich meist so, bewusst oder unbewusst, wie sie es beobachten. Kaum so, wie es von ihnen erwartet wird. Daher ist es für jede Führungskraft ratsam, über ihre Wirkung auf die Mitarbeiter nachzudenken.

Was gute Trainer und Lehrer sowie natürlich Eltern schon längst wissen, ist bei einigen Führungskräften noch nicht angekommen. Nämlich: Gesehenes wirkt stärker als Gesagtes. Wenn der Arzt meint, dass sein Patient das Rauchen lieber lassen solle, aus seiner Brusttasche jedoch das Zigarettenpackerl hervorragt, wird die Glaubwürdigkeit holprig sein.
Ein Beispiel aus einer völlig anderen Branche: Die Tauchausbildungen nach dem amerikanischen Tauchverband PADI gehören didaktisch zu den besten Ausbildungssystemen, die es gibt. In mehreren Schritten werden die zukünftigen Unterwasser-Fans zu den Inhalten geleitet. Dabei wird den Tauchlehrern in ihrer Ausbildung immer wieder eingetrichtert und vorgelebt, wie wichtig ihre Vorbildfunktion ist. Dass sie Multiplikatoren sind. Wenn ein Tauchlehrer im Kursraum erklärt, wie wichtig der Schutz der Meere ist, und dann während eines Tauchgangs Korallen abbricht oder Haie anlockt, wird das kaum dazu beitragen, sich nachhaltig verhaltende Taucher heranzubilden. Wenn er seine Zigarettenstummel vom Boot ins Meer wirft, werden das sicher einige Schüler nachmachen. Und sich dem damit verbundenen Problem nicht bewusst sein. Auch Eltern kennen dieses Phänomen. Wenn Mama und Papa dem Kind erklären, es solle doch immer brav grüßen und die Worte »bitte« und »danke« verwenden, selbst aber rücksichtslos mit den Mitmenschen umgehen, wird die Erziehung nur wenig von Erfolg gekrönt sein.

Führung hat sich in den letzten Jahrhunderten stark verändert. Von Druck und Hierarchie im Taylorismus, wo Flexibilität und selbstständiges Denken der Mitarbeiter von den Führungskräften weitgehend bewusst unterdrückt wurde, hin zu einer fordernden und fördernden Führungskultur. Das liegt natürlich auch daran, dass sich die Welt verändert hat und immer größere Herausforderungen an Führungskräfte und Mitarbeiter stellt. Daher ist es auch nicht verwunderlich, dass in der Weiterbildungsstudie 2019 der Plattform für berufsbezogene Erwachsenenbildung herauskam, dass das Thema »Unternehmensführung« bei Seminaren und Lehrgängen in der heimischen Wirtschaft eine große Rolle spielt. TRAiNiNG hat vier Experten für Führung befragt, was denn aktuell die größten Anforderungen an Führungskräfte sind.
Robert Korp (Director of Training Quality Dale Carnegie, EMEA): »Mehr und mehr ist es die steigende Komplexität der Aufgaben und starker Druck von allen Seiten. Führungskräfte sollen Experten sein, fachlich versiert und gleichzeitig effektiv in Sachen Leadership, und selbstverständlich auch Vorbild sein im Umgang mit anderen. Nicht selten sehen sie sich Widersprüchlichkeiten ausgesetzt. Da hat ein Konzern z. B. individuelle Handlungsfreiheit als einen der Grundwerte ausgerufen und dann muss die Anschaffung des sprichwörtlichen neuen Bleistifts von drei Stellen genehmigt werden. Agilität sieht anders aus (die ja auch natürlich gefordert ist).«

Helga Steiner (Geschäftsführerin und Trainerin STEINER Consulting) ergänzt noch weitere relevante Anforderungen: »Führungskräfte haben die Herausforderung, drei Generationen, die alle unterschiedliche Bedürfnisse und Arbeitsweisen haben, zu führen. Alle reden vom agilen Arbeiten, von der Digitalisierung, von der ­VUCA-Fitness von Unternehmen, aber die Anpassung an diese Veränderungen ist in der Praxis oft sehr holprig. In der Regel sind Führungskräfte nicht die jüngste Generation in einem Unternehmen. Umso wichtiger ist die Offenheit, die Mitarbeiter mit Eigenverantwortung und der notwendigen Flexibilität agieren zu lassen und Talente so einzusetzen, dass sie auch ihr volles Spektrum zeigen können.«

Veronika Aumaier (Geschäftsführerin Aumaier Consulting Training GmbH): »Die größten Schlüsselthemen für Führungskräfte sind unserer Meinung nach Innovationskraft, Arbeitgeberimage und der zielgerichtete Einsatz neuer Technologien, die einen positiven, modernen Unternehmensauftritt transportieren. Der Visionär in der Unternehmerrolle löst im Topmanagement den Realisten ab – denn, wenn es keine attraktiven Zukunftsideen für das Unternehmen gibt, mit denen sich die Menschen identifizieren können, mangelt es kurzfristig an Kunden und Bewerbern bzw. lassen sich die High Potentials und Talents nicht an das Unternehmen binden.«

Führung durch Vorbildfunktion

»Der Fisch beginnt bekanntlich am Kopf zu stinken. Führungskräfte können nicht etwas verlangen, das sie selbst nicht leben«, sagt Helga Steiner im Interview. Mitarbeiter begeistern, inspirieren und zum selbstständigen Denken und Handeln zu motivieren sind die wichtigsten Aufgaben von Führungskräften heutzutage. Im Optimalfall ist eine Führungskraft ein Experte im Führen von Menschen und kein Fachexperte. Dafür hat er seine Mitarbeiter. Das Management prägt die Unternehmenskultur top down. Führungskräfte beeinflussen bewusst und unbewusst das Verhalten ihrer Mitarbeiter – immer. Das Vertrauen der Mitarbeiter zur Führungskraft hängt von deren Worten und Verhalten ab. Ist hier ein Widerspruch zu erkennen, leidet das Vertrauen. Eine »vorbildliche« Führungskraft kennt ihre eigenen Stärken und Schwächen genau. Sie entwickelt sich laufend weiter, probiert neue Strategien aus und steht auch dazu, wenn sie einmal einen Fehler gemacht hat. Sie behandelt Menschen wertschätzend und gibt direktes, ehrliches Feedback, um die Mitarbeiter zu fördern. Das leben, was man sagt und meint, sollte immer das Motto sein.

Peter Jelinek (Senior Consultant und Ausbildungsleiter in der JELINEK AKADEMIE) erzählt dazu passend Beispiele aus seiner Praxis, die er als Berater erlebt hat: »In einer großen Einzelhandelskette sagte einmal der Österreich-CEO zur Einleitung eines großen Management-Meetings: ›Ab sofort hat Freundlichkeit gegenüber den Kunden höchste Priorität, wer das nicht tut, fliegt sofort raus!‹ Der grimmige Blick unterstrich seine Worte. Welches Vorbild gibt er als höchste Führungskraft ab? Eingeschüchterte Mitarbeiter, die auf Befehl freundlich sein sollen? Ein fragwürdiger Zugang zur Vorbildfunktion. Und es kann auch anders gehen, wie ich es einmal von dem Österreich-CEO eines großen Produktionskonzerns zur Einleitung eines Management-Workshops gehört habe: ›Wir haben von der Konzern-Mutter einen neuen Werte-Katalog erhalten, den wir im Unternehmen implementieren sollen. Wir wollen uns in diesem Workshop mit diesen Werten auseinandersetzen, was sie für uns bedeuten, wie wir sie als Führungskräfte selbst verwirklichen und unseren Mitarbeitern glaubwürdig vorleben können.‹ Ich durfte diesen Workshop moderieren und erleben, wie 20 Frauen und Männer engagiert und verantwortungsbewusst ihre Vorbildfunktion reflektierten.«

Helga Steiner sieht eine großartige Chance: »Führen als Vorbild funktioniert gut und wird von vielen Führungskräften unterschätzt. Dabei handelt es sich um einen laufenden Prozess, denn jeder ist von jedem immer unter Beobachtung – bewusst oder unbewusst. Das ist absolut kein Nachteil, sondern eine Chance. Viele reden immer von Transparenz und Authentizität, also sollten sie diese auch verinnerlichen. Entscheidungsstärke von Führungskräften ist ein wesentlicher Erfolgsfaktor. Wenn sich die Führungskraft scheut, Entscheidungen zu treffen oder zu adaptieren, wie sollten das die Mitarbeiter umsetzen? Schnelligkeit mit fundierter Grundlage und die Bereitschaft, sich auch Fehler einzugestehen, sind weitere Faktoren, die Führungskräfte fordern.«

Robert Korp: »Bewusste Führung als Role-Model geht nur durch Transparenz. Niemand erwartet das perfekte Vorbild in jeder Hinsicht. Aber wenn (vor allem unangenehme) Entscheidungen transparent kommuniziert werden, und Mitarbeiter das Gefühl haben, informiert und involviert zu sein, ist schon viel getan. Der ehemalige CEO von Ford und Boeing Allan Mullaly hat in seinem Bestreben, eine ›people first‹-Kultur zu etablieren, ein System von transparenten Kennzahlen und laufender Kommunikation darüber etabliert, sodass jeder einzelne Mitarbeiter jederzeit gewusst hat, wo das Unternehmen als Ganzes steht. Das stärkt die Verbundenheit mit dem Unternehmen und erhöht die Eigenverantwortung.«

Veronika Aumaier weiß aus ihrer jahrelangen Arbeit mit Führungskräften: »Mitarbeiter messen ihre Führungskraft am zeitgemäßen, authentischen Denken und Handeln, wie z. B. daran, ob sie die Unternehmensstrategie unterstützen und positiv und zuversichtlich die geplanten Maßnahmen einleiten. Oder ob bei einem allgemeinem ›Budget Freeze‹ auch der neue Dienstwagen des CEO einer angemessenen Dienstwagenklasse entspricht und nicht aus dem Rahmen fällt. All das sind Beispiele für Verhaltensweisen, mit denen Führungskräfte im Ansehen der Mitarbeiter schon seit geraumer Zeit steigen oder fallen können. Neu ist, dass Mitarbeiter schneller den Respekt verlieren und Führungskräfte nicht mehr ›erdulden‹, sondern dem Unternehmen den Rücken kehren.«

Zum Vorbild werden

Vielleicht denken sich einige Führungskräfte, dass sie gerne positive Vorbilder wären. Natürlich können sie aber ihr Verhalten nicht von jetzt auf gleich umstellen – das wäre alles andere als authentisch. Der eine oder andere Mitarbeiter könnte sich denken: »Aha, war der Chef mal wieder auf einem Führungsseminar, schadet ihm gar nichts.« Und geht zur Tagesordnung über.

Welche Menschen sind meine Vorbilder? Zu welcher Persönlichkeit schaue ich auf? Welche Führungskraft oder welchen Lehrer habe ich im Leben schon einmal als Vorbild angesehen? Welche Eigenschaften haben diese Menschen geprägt? Wie passt das zu mir? Fragen, die sich Führungskräfte stellen sollten.

Veronika Aumaier: »Das zeitgemäße wahre Vorbild als Führungskraft liegt nicht mehr darin, der Erste und Beste zu sein: Nicht wer am längsten im Büro ist, alles besser weiß oder alles selber macht, demonstriert Vorbildfunktion – im Gegenteil! Es kann ziemlich anstrengend sein, immer ›gegen den Chef‹ antreten zu müssen und demoralisiert zu werden. Wahre Vorbilder sind emotional und mental starke Vorbilder! Sie fragen nach der Meinung ihrer Mitarbeiter, hören zu, nehmen Kritik ernst, fokussieren Lösungen und sind an einem ständigen Wandel und einer permanenten Weiterentwicklung interessiert. Weil Leben ständig natürliche Veränderung mit sich bringt – bei sich selbst als Person, im familiären Umfeld und im betrieblichen Alltag!«
Robert Korp hat weitere konkrete Tipps, wie Führungskräfte zu wahren Vorbildern für ihre Mitarbeiter werden könnten: »Indem sie schlicht und ergreifend ehrlich sind. Fehler zugeben, wenn solche passieren. Indem sie Mitarbeitern den Rücken stärken. Im Zweifelsfall Lorbeeren an andere weitergeben und selbst Verantwortung dafür übernehmen, wenn mal etwas schief geht. Leider sieht die Praxis of genau umgekehrt aus – Führungskräfte lassen sich gerne selbst für Erfolge feiern und beschuldigen ihre Mitarbeiter, wenn Fehler gemacht werden.«

Peter Jelinek ergänzt: »Die wichtigsten Elemente, damit die Vorbildwirkung funktioniert, sind Glaubwürdigkeit und Authentizität. Die Führungskraft muss das, was sie vorlebt, selbst verinnerlicht haben und dazu stehen. Dazu gehört ein passendes Maß an Toleranz, dass nicht alle Menschen alles genau gleich machen können und innerhalb eines tolerierbaren Rahmens ihre eigene Authentizität wahren dürfen.«

Verständnis erzeugen

Bevor sich eine Führungskraft auf den Weg macht, um bewusst mit dem Führungsmodell »Führen als Vorbild« zu arbeiten, muss ihr Verständnis dafür geweckt werden. Das kann von Human Resources kommen, von der Unternehmensleitung oder aus Führungsseminaren. Wie sehen dann die ersten Schritte aus?

Robert Korp: »Indem Führungskräfte aufrichtig versuchen, die Dinge vom Standpunkt der anderen aus zu sehen. Sie könnten sich doch einfach die Frage stellen: ›Wie würde ich selbst in dieser Situation reagieren oder mich fühlen, wenn meine Führungskraft so kommuniziert, wie ich es gerade getan habe?‹ So mancher Konflikt könnte entschärft werden. Zum Beispiel eine unternehmerische Entscheidung, die über den Flurfunk schon längst alle erreicht hat, wird spät oder gar nicht kommuniziert, weil sie unangenehm für die Betroffenen ist. Was würde ich über meine Führungskraft denken? Wie würde sich mein Bild über sie oder ihn verändern? Wie sehr kann ich ihm oder ihr noch vertrauen?«

Peter Jelinek: »Die Führungskraft muss verstehen, dass sie das, was sie von ihren Mitarbeitern fordert, auch selbst zeigen muss. Freundlichkeit gegenüber den Kunden zu fordern, die Mitarbeiter selbst aber grob und verächtlich zu behandeln, ist ein schlechtes Führungskonzept. Schuldige, wenn es nicht klappt, sind natürlich die Untergebenen und nicht die Führungskraft.«

Veronika Aumaier weiß, dass besonders jüngere Führungskräfte sich dieser Herausforderung stark bewusst sind: »Sie möchten in der Führung als Coach agieren und sind offen für systemisch-lösungsorientiertes Führungswissen, dass dieses Verhalten unterstützt. Sie bevorzugen Einzelcoachings und Kleingruppencoachings und streben nach Professionalität in den Augen ihrer Mitarbeiter und Chefs. Sie lieben positive Bewertungen und Feedbacks punkto Führungsverhalten und sind offen für Weiterentwicklung. Langjährige Führungskräfte sind dagegen gefordert, nicht zum Stillstand zu kommen: im fachlichen Wissen, im Denken und im Verhalten. Sie laufen Gefahr, sehr schnell ins Out zu gelangen, weil sie Respekt, Gefolgschaft und Anerkennung verlieren. Was es für sie braucht, sind einladende, imageunterstützende Weiterentwicklungsangebote, die mit Benefitcharakter einladen, resilient zu bleiben. Ein vorbildhaftes Topmanagement, das beispielsweise selbst regelmäßig Coaching in Anspruch nimmt, macht ganz schnell Coaching im Mittelmanagement salonfähig.«

An dieser Stelle bietet sich ein ganz konkreter Tipp an, der es Führungskräften vereinfachen kann, mit der eigenen Vorbildwirkung umzugehen. Es gibt Manager, die einfach nach ihrer Vorbildwirkung fragen und mit diesem Wissen ihre Wirkung gezielt einsetzen – und das mit Erfolg. Einfach fragen bzw. genau beobachten, welches von meinen Verhaltensmustern im Unternehmen Anklang findet. Von heute auf morgen wird der Weg nicht gelingen, aber wer kontinuierlich an sich arbeitet, der wird bald zu einer »vorbildlichen Führungskraft«.

Helga Steiner rät dazu, nicht lange herumzureden und Sachverhalte direkt anzusprechen: »Das ist auch ein wesentlicher Part meiner Aufgaben als Beraterin. Talentmanagement-Analysen ergeben aussagekräftige Einblicke in das soziale, beeinflussende, führungsbezogene und organisatorische Kommunikationsverhalten einer Person. Stärken und auch Fallgruben werden aufgezeigt. Das ist auch deshalb so wichtig, weil gerade ein enormer Wandel stattfindet. Althergebrachtes bekommt ein neues Bild, gewohnte Prozesse verändern sich, Individualität zeigt Talente, die Arbeitsweise verändert sich, u. v. m. Wer nicht reagiert, verliert den Anschluss.«

Robert Korp erklärt ein häufiges Missverständnis: »Transparenz und Authentizität sind nicht gleichbedeutend mit Rücksichtslosigkeit oder ›Drüberfahren‹. Mitarbeiter, die wissen, wie sie dran sind, was das Unternehmen von ihnen erwartet, die eigenverantwortlich sein dürfen und sich wertgeschätzt fühlen, erbringen in der Regel die besseren Leistungen. In der Theorie wissen wir das alle. Der Unterschied besteht in der Praxis, im täglich gelebten Miteinander, in der Art und Weise, wie kommuniziert wird, wie Meinungsverschiedenheiten ausgetragen werden und wie auch Leistung gewürdigt wird.«

Fazit
Jede Führungskraft führt als Vorbild – häufig unbewusst. Ein schlechtes Vorbild kann dazu führen, dass die Führungskraft von den Mitarbeitern nicht respektiert wird, und diese dann nicht die gewünschten Ergebnisse bringen. Es lohnt sich tatsächlich, sich mit seiner eigenen Wirkung als Führungskraft auseinanderzusetzen. Und zwar jetzt, nicht irgendwann. Denn, so Veronika Aumaier abschließend: »Wir wollen weder Handys und Laptops von gestern, noch Chefs, die in alten Zeiten verhaftet sind, nur von früher erzählen und alte Muster und Verhalten fortschreiben. Die Balance von Flexibilität und Stabilität ist der Schlüssel zum lang anhaltenden Erfolg. Ohne den Willen zum ständigen Reflektieren und kritischen Hinterfragen ist dieser nicht zu erlangen und zu halten!«

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