Herausforderung: »Neues Arbeiten«

Welche Anforderungen mit dem erhöhten Bedarf nach Flexibilität einhergehen und welches Führungsverständnis hilfreich sein könnte, lesen Sie in diesem Artikel.

Mit der Corona-Krise ist Home-Office für viele Menschen zum unausweichlichen Alltag geworden, in der Privatwirtschaft gleichermaßen wie in der öffentlichen Verwaltung – so auch in der Stadt Wien. Dort beschäftigt man sich jedoch bereits seit Ende 2017 mit der Erprobung flexibler Arbeitsbedingungen, um aus den Erfahrungen zu lernen und für die angestrebte großflächige Implementierung gut vorbereitet zu sein. Schließlich wurde im Sommer 2019 im Rahmen einer Studie (durchgeführt in Zusammenarbeit mit der Universität Wien) die Rolle von Führungskräften bei diesem »neuen Arbeiten« im Sinne mobiler Arbeit und Auflösung der Kernzeit unter die Lupe genommen.

Studiendesign und Ergebnis

Um möglichst verschiedene Erfahrungen und Erwartungen einzufangen, wurden anhand eigens konzipierter Leitfäden 46 Personen in 12 Interviews und drei Fokusgruppen dazu befragt: zu Wort kamen Führungskräfte der obersten drei Management-Ebenen sowie Mitarbeitende aus den unterschiedlichsten Bereichen, Frauen und Männer, mit und ohne Erfahrung mit »neuem Arbeiten«, aus allen Altersgruppen und mit verhältnismäßig kurzer bis sehr langer Zugehörigkeit zur Stadt Wien. Es handelt sich also um ein breites Spektrum an Sichtweisen, das der qualitativen Inhaltsanalyse und damit den Ergebnissen zugrunde liegt.

Die Ergebnisse zeigen eindeutig, dass »neues Arbeiten« zu einer positiven Veränderung des Arbeitsumfeldes beitragen kann, wobei der Einfluss von Führungskräften nicht zu unterschätzen ist: Örtliche und zeitliche Flexibilität haben das Potenzial, durch die Erfüllung der psychologischen Grundbedürfnisse nach Selbstbestimmung und Kompetenz autonome Motivation zu fördern. Diese ist als Grundlage für neues (autonomes) Arbeiten erforderlich und kann zu mehr Arbeitszufriedenheit, gesteigertem Wohlbefinden sowie damit einhergehend besserer Leistung und geringerer Kündigungsabsicht beitragen – ein entsprechend unterstützendes Umfeld vorausgesetzt, in welchem auch auf soziale Eingebundenheit Wert gelegt wird. Dies spiegelt sich in der Erwartungshaltung der Mitarbeitenden wider, ihrer Meinung nach sind Führungskräfte ganz allgemein für das Gelingen von »neuem Arbeiten« zuständig: sie sollen den Dienstbetrieb aufrechterhalten, laufend kommunizieren und zeitnah informieren, auf das Teamgefüge achten, Konflikte lösen und auch weiterhin regelmäßig Zeit zur Verfügung stellen.

Ebenfalls wichtig scheint Gerechtigkeit zu sein, etwa bezogen auf Aufgaben-Verteilung und Nutzungsmöglichkeit: nicht alle werden örtliche und zeitliche Flexibilität gleich intensiv in Anspruch nehmen können, was die Gefahr von Benachteiligungen mit sich bringt und zu Konflikten und Unzufriedenheit führen kann.
Führungskräfte benötigen also neben einem Verständnis für die Chancen und Risiken des »neuen Arbeitens« ein gewisses Feingefühl für die Bedürfnisse ihrer Mitarbeitenden. Sie sollen im Sinn von Unterstützung und Regulation mehr führen und kompetent durch diverse Spannungsfelder navigieren. Unter anderem gilt es etwa, eine Balance zwischen Selbstbestimmung der Mitarbeitenden und Wahrnehmung der gesetzlich verankerten Fürsorgepflicht zu finden. Diese kann den Studienergebnissen nach als eine Art »Wert der Stadt Wien« angesehen werden, den es zu erhalten gilt, der Führungskräfte aber gleichzeitig verunsichert: wie kann man Mitarbeitende bei »neuem Arbeiten« vor etwaigen resultierenden Gefahren schützen, ohne deren Selbstbestimmung zu untergraben? Hier dürfte es Bedarf nach detaillierter Diskussion sowie klarer Regelung geben, nicht zuletzt auch, um einer möglichen Selbstausbeutung der Mitarbeitenden vorzubeugen: immerhin kann man zu Hause ja (theoretisch) jederzeit arbeiten – und tut dies daher womöglich deutlich mehr als sonst und auch dann, wenn man krankheitsbedingt gar nicht arbeiten sollte.

Zu guter Letzt obliegt Führungskräften die Vermittlung einer entsprechenden Unternehmenskultur, die von Eigenverantwortung und Vertrauen geprägt sein soll. Nun lässt sich Vertrauen unter flexiblen Arbeitsbedingungen schwerer etablieren, muss aber gerade dort im Sinne eines Vertrauensvorschusses zunächst entgegengebracht werden. Gewisse Überprüfungsmöglichkeiten können beim Vertrauensaufbau helfen und der Angst der Führungskräfte vor Kontrollverlust entgegenwirken (wobei sich diese Befürchtung mit dem Tun aufzulösen scheint). Eine Kontrolle im engeren Sinn ist hingegen nach allgemeiner Einschätzung ohnehin weder im Büro noch bei mobilem Arbeiten tatsächlich möglich. Ausschlaggebend sollten daher Ergebnisse und nicht die Anzahl der geleisteten Stunden sein – was vielerorts bereits gelebte Praxis darstellt, aber durchaus noch nicht überall etabliert ist.

Hilfreiches Führungsverständnis

Unbestritten scheint, dass Führungskräfte gefordert sind, ihre Einstellungen und ihr Verhalten laufend zu hinterfragen und dem »neuen Arbeiten« anzupassen: vertrauen statt kontrollieren, aber regulieren (im Sinn von darauf achten, dass »alles läuft«), die Eigenverantwortung der Mitarbeitenden fördern und gleichzeitig bei Bedarf Unterstützung bieten, einen klaren Rahmen vorgeben und wenn nötig Konsequenzen setzen sowie Entscheidungen klar kommunizieren und transparent begründen, weiterhin ausreichend Zeit für die Mitarbeitenden zur Verfügung stellen und nicht zuletzt: reden, reden, reden. Dort, wo all das gelebt wird, funktioniert »neues Arbeiten« den Erfahrungsberichten nach tendenziell besser.

Betrachtet man die Studienergebnisse in Bezug auf unterschiedliche Führungstheorien, so kann ein Autonomie-unterstützendes Führungsverständnis eine gute Orientierung im flexiblen Arbeitsumfeld bieten. Gemeint ist damit die Entwicklung einer bestimmten Haltung von Führungskräften: sie sollen die Perspektive ihrer Mitarbeitenden wahrnehmen und respektieren, offene Fragen stellen und aktiv zuhören, ihr Wissen teilen und ehrliches positives Feedback geben sowie in Bezug auf Probleme sachlich argumentieren. Ein derartiges Führungsverständnis will geübt und laufend reflektiert werden und erfordert (so zeigt die Erfahrung aus der Pilotphase) ein grundsätzliches Umdenken insbesondere dort, wo Vertrauen noch nicht gelebt wird.

Veränderung braucht Zeit

Es handelt sich also um eine Veränderung, für die ein mehr oder weniger langer Lernprozess nötig ist, je nachdem wie Führung vor »neuem Arbeiten« verstanden wurde. Nicht jede Führungskraft wird automatisch gut mit flexiblen Arbeitsbedingungen umgehen können, aber wie die Erfahrung zeigt, können durch das alltägliche Tun und im Austausch mit anderen Kompetenzen etabliert und Vorbehalte abgebaut werden. Sogar Skeptiker können sich durch Ausprobieren in »Fans« verwandeln – vorausgesetzt, sie werden dort abgeholt, wo sie in Bezug auf »neues Arbeiten« stehen. Zentrale Faktoren für eine langfristig erfolgreiche Umsetzung scheinen also einerseits eine gute Vorbereitung der Implementierung und die laufende Begleitung von »neuem Arbeiten« zu sein. Andererseits ist langfristig die Entwicklung und kontinuierliche Reflexion eines Autonomie-unterstützenden Führungsverständnisses zu empfehlen, um die potenziellen Chancen »neuer Arbeit« auszuschöpfen und die Risiken zu minieren.

Ziel der Studie war es, zu verstehen, was Mitarbeitende und Führungskräfte der Stadt Wien mit »neuem Arbeiten« verbinden und welche Rolle Führungskräfte dabei spielen – vor dem Hintergrund der Möglichkeit, die Implementierung entsprechend vorbereiten und gezielt steuern zu können. Nun konnte sich zum Zeitpunkt der Studie wohl niemand vorstellen, dass Home-Office und flexible Arbeitszeiten nur einige Monate später völlig unvorhergesehen und auf höchst unstrukturierte Weise für viele Menschen zum notwendigen Alltag werden könnten. Durch den im Frühjahr 2020 erzwungenen Sprung ins kalte Wasser rücken daher womöglich manche der Ergebnisse in ein anderes Licht. Mit Sicherheit aber spielt das Thema »Führung« in Krisenzeiten eine noch wichtigere Rolle als zuvor und es lohnt sich bestimmt auch gerade jetzt, das eigene Führungsverständnis kontinuierlich zu reflektieren sowie autonomieunterstützendes Verhalten zu integrieren.

Schreiben Sie einen Kommentar!


*

martina-schmied-foto.1024x1024

Gastautorin
Martina Schmied
ist ­Personaldirektorin der Stadt Wien sowie Vize-­Präsidentin des Forums ­Personal des ÖPWZ.
www.wien.gv.at

SCHOGGER_Petra0820

Gastautorin
Petra Schogger
ist Autorin der Masterthesis zur Rolle von Führungskräften bei »neuem Arbeiten« (betreut von Christian Korunka, Leiter Bereich Arbeits- und Organisationspsychologie, Universität Wien).

HR-Tagung: Forum für Human Resource Management

»HR in der neuen Realität«

Wann: 15. – 16. April 2021
Wo: Wien

www.opwz.com/forum-personal