Home-Office und die Emotionen

Die aktuelle Krise sorgt dafür, dass die Nerven vieler Führungskräfte und Mitarbeiter blank liegen. Das führt unumgänglich zu Spannungen und zu Konflikten. TRAiNiNG hat bei Experten nachgefragt, was dagegen unternommen werden kann.

Viele Menschen Befinden sich wieder vermehrt – wegen der Corona-bedingten Regelungen – im Home-Office. Sie sind allerdings nicht alleine den ganzen Tag im Home-Office, sondern auch der Partner, die Kinder und wer sonst noch im selben Haushalt wohnt. Abhängig davon, wie groß die Wohnfläche ist, sind mehr oder weniger Rückzugsmöglichkeiten vorhanden. So stößt man auch räumlich mitunter bald an seine Grenzen. Das sorgt selbstredend für Stress, besonders wenn dieser Zustand seit Monaten anhält. Zudem ist die Gemütslage vieler Menschen geprägt durch Sorge um den Arbeitsplatz, um die finanzielle Existenz und um Gesundheit von Familie und Freunden.

Corona ist in jeder Hinsicht ein Thema, das auch oft zu Streitereien führt. Wie kaum ein anderes Thema polarisiert es die Gesellschaft in Covid-Maßnahmen-Befürworter und -ablehner. Im Regelfall haben beide Seiten gute Argumente, wissen aber dennoch nicht wirklich Bescheid. Jeder hat eben eine Meinung. Dennoch wird bei diesem Thema die andere Meinung häufig nicht akzeptiert, sondern der Meinungsäußerer wird für dumm, naiv oder gar als Gefahr für die Bevölkerung gesehen.

So läuft auch im Job vieles anders als noch zu Anfang des Jahres. Kollegen sehen einander kaum persönlich, Führungskräfte haben weniger unmittelbaren Kontakt zu ihren Mitarbeitern, Besprechungen finden größtenteils online statt – und im Hintergrund spielen die Kinder. Die Konzentration leidet, Arbeitsprozesse dauern länger, da nichts auf dem Platz liegt, wo man es früher gewohnt war. Die Konzentration schwindet.
Diese Situation bringt natürlich großes Konfliktpotenzial mit sich. Sowohl in der Familie als auch mit den Arbeitskollegen und dem Chef. TRAiNiNG wollte von Experten wissen, welche Gründe es für das erhöhte Aufkommen von Konflikten konkret gibt.

Tina Deutsch (Coach und Managing Partner von Haufe Advisory) über die Herausforderung im Home-Office: »Trotz der Flexibilität, die das Arbeiten im Home-Office bietet, bringt es auch neue Herausforderungen und Belastungen mit sich. Denn Teamführung und Büroalltag können nicht eins-zu-eins in den virtuellen Raum übertragen werden. Oftmals fehlt vielen Mitarbeitern im Home-Office die kreative Umgebung oder die optimale technische Ausstattung. Andere lassen sich leicht ablenken, müssen gleichzeitig Kinder betreuen und sehnen sich nach sozialen Kontakten. Wenn jeder allein vor sich hinarbeitet, kann es schnell zu fehlender Verbundenheit kommen – gerade dann, wenn persönliche Ängste hinzukommen. Sei es die aktuelle Unsicherheit um den Arbeitsplatz oder generell die finanzielle Situation. Das belastet und wirkt sich auf die Arbeit aus. In einer solchen Situation kommt es schneller zu Konflikten, die oft erst einmal gar nicht thematisiert werden. Denn im Home-Office fällt das kurze ›Lass uns mal drüber reden‹ aus dem Büro einfach weg. Mitarbeiter tauschen sich meist nur noch gezielt für konkrete Aufgaben aus. Auch für Führungskräfte ist es ohne den Face-to-Face-Kontakt schwieriger, Konflikte überhaupt – und vor allem rechtzeitig – auszumachen. Denn im virtuellen Miteinander geht das Verstehen über Körpersprache und Mimik oftmals verloren. Gefühle sind damit weniger verifizierbar. Das heißt: Differenzen verschärfen sich, bevor Führungskräfte die Chance bekommen, sie auszuräumen. Im Home-Office braucht es also eine andere Herangehensweise, die Führungskräfte entwickeln können oder alternativ sollten.«

Die Experten sind sich einig, dass es möglich ist, die Konfliktwahrscheinlichkeit zu reduzieren und schwierige Gespräche bewusst und mit Vorbereitung zu führen.
»Konfliktmanagement im Home-Office funktioniert anders als im Büro, denn virtuelle Teams haben andere Bedürfnisse und Herausforderungen.«, weiß Tina Deutsch. »Ziel ist es, Rahmenbedingungen zu schaffen, um Konflikte frühzeitig zu identifizieren und sie nachhaltig zu lösen. Deshalb ist es unumgänglich, dass Führungskräfte ihre Rolle neu überdenken, ihre Erwartungen noch klarer definieren und auf wertschätzende Kommunikation bauen. So können Vorgesetzte etwa mit kleinen Tricks lernen, zwischenmenschlicher zu agieren und Vertrauen aufzubauen. Dazu gehören regelmäßige Einzelgespräche mit Mitarbeitern, aktives Zuhören oder auch ein informeller Austausch, z. B. in Form eines virtuellen Kaffeeplausches. Gerade Letzteres sollten Führungskräfte im Home-Office aktiv fördern, um das Teamgefühl zu stärken und ihren Mitarbeitern Raum für Emotionen zu geben. Entscheidend dabei ist auch die Tonart der Kommunikation. Zuhören und Beschwerden annehmen gibt dem Gegenüber ein Gefühl der Wertschätzung. Erst in einem zweiten Schritt sollten Lösungen angeboten bzw. gemeinsam erarbeitet werden. Dabei gilt: Je mehr die Idee aus den Reihen der Mitarbeiter selbst kommt, desto motivierter werden sie diese umsetzen. Mit der richtigen Herangehensweise, die man sich auch im Rahmen eines Führungskräfte-Coachings erarbeiten kann, entwickeln Teamleads ein gutes Gespür für schwelende Konflikte und können diese nachhaltig ausräumen. Damit sorgen sie automatisch für eine gute Kultur und ein respektvolles Miteinander.«

Tipps für Führungskräfte

Manche stellen sich Führung im Home-Office einfach vor: Vom Sofa aus die Aufgaben verteilen und dann telefonisch nachfragen. Die Realität sieht jedoch anders aus. Chaotische Zustände, die häufig in Stress ausarten, längere Arbeitszeiten, zahlreiche Störungen und Unterbrechungen.
Hier finden Sie 5 Tipps, um etwaige Konfliktsituationen rechtzeitig zu erkennen und gegensteuern zu können.

Fixe Termine für Meetings vereinbaren, und dabei klare Regeln einhalten.
Machen Sie sich als Führungskraft verfügbar. Je nachdem welches Medium Ihnen dabei am liebsten ist. Kommunizieren Sie Ihre Bereitschaft, am Telefon oder per E-Mail immer für Ihre Mitarbeiter ein offenes Ohr zu haben.
Bei drohenden Konflikten schnell reagieren und Termine für eine Aussprache vereinbaren.
Sind Sie als Führungskraft emotional in einen Konflikt involviert, sollte eine neutrale Person die Konfliktmoderation übernehmen.
Nach einem Konfliktgespräch ein Gesprächsprotokoll erstellen und es allen Beteiligten zukommen lassen.

Schwierige Gespräche

Regelmäßig kommt es im betrieblichen Umfeld zu sogenannten »schwierigen Gesprächen«. Sei es ein Mitarbeitergespräch, bei dem Negatives gesagt werden muss, sei es ein Kündigungsgespräch oder einfach notwendige betriebliche Veränderungen, die zu nachteiligen Konsequenzen bei den Mitarbeitern führen.
Andreas Hettrich (Experte für Workshop-Moderation und Konfliktgespräche, Trainer bei HPS-Training) über die Gefahren solcher Gespräche: »Auf den Punkt gebracht werden Gespräche dann schwierig, wenn fachliche oder persönliche Grenzen der Beteiligten kollidieren. Meist sind der betriebliche Fortschritt und damit verbundene Neuverteilungen ursächlich, aber auch starre Haltungen und unklare Schnittstellen in Unternehmen. Bei allen schwierigen Themen entstehen emotionale und körperliche Empfindungen – die persönlich negativ und überflutend wahrgenommen werden. Beide Gesprächspartner geraten in eine Spirale, immer schneller reagieren zu müssen. Als Folge fährt das soziale ›Engagement-System‹ herunter. Ist es soweit, verschwimmt einmal die eigene Wahrnehmung und selbst harmlose Situationen werden als gefährlich wahrgenommen.«

Werden schwierige Gespräche online geführt, gilt es ein paar Punkte zu beachten, damit der drohende Konflikt nicht weiter eskaliert:

  • genug Zeit einplanen
  • häufiger Nachfragen, ob die Botschaft klar angekommen ist
  • Die Technik bzw. das Online-Tool wirklich im Griff haben, sodass es ohne merkbare zeitliche Verzögerung gut funktioniert.
  • persönliche Gespräche in Break-Out-Rooms führen
  • Auf eine ruhige und diskrete Umgebung achten, und zwar auf beiden Seiten. Wenn das nicht möglich ist, das Gespräch auf einen konkreten Termin in der Zukunft verschieben.

Ein weiterer wichtiger Punkt betrifft das Gesprächstempo in Konfliktsituationen.

Andreas Hettrich: »Wenn es hart auf hart kommt, wird Vertrauen zum flüchtigen Gut und eine Verhärtung der Fronten ist vorprogrammiert. Da beide in den Strudel der Konfliktdynamik geraten sind, ist Verlangsamung, Transparenz und Orientierung wichtig. Besonders Verlangsamung ist auf Ebene des Stammhirns, wo zentrale Verteidigungsreaktionen ausgelöst werden, der Schlüssel zu Selbstregulation und Übersicht. Das in diesen Situationen stattfindende ›Bottom up Hijacking‹ ist eingedämmt und das Denkgehirn kann die Regie übernehmen. Unter diesen Bedingungen ist ein Miteinander wieder möglich, bei dem sich die Kontrahenten schrittweise öffnen können. Ein wesentliches, menschliches Interesse liegt im ›gehört werden‹ – was auf Ebene eines aktivierten Nervensystems, bei schwierigen Gesprächen zur Beruhigung führt. Nur die konsequente Regulation auf Ebene der stressgeplagten Nervensysteme, erhöht die Chance auf produktive Gesprächsergebnisse.«

Bei all den emotionalen Gefühlen, die bei Konflikten mit den beteiligten Personen aufkommen, dürfen nie die realen Kosten für das Unternehmen vergessen werden. Im Durchschnitt investieren laut einer Erhebung Manager rund 20 % ihrer Zeit in das Lösen von Konflikten. Je nach Gehaltsklasse geht da schon eine Menge  Geld im Streit unter. Auch die Produktivität leidet unter schlechter Stimmung – und auch das kostet Geld.

Jedoch, und das muss auch erwähnt werden, Konflikte sind wichtig, um Meinungsverschiedenheiten zu klären. Manchmal handelt es sich dann gar nicht um einen Konflikt, auch wenn es zuerst so aussieht. Es kann auch einfach nur ein Missverständnis sein oder bloß zwei unterschiedliche Meinungen, die durch ein offenes Gespräch erklärt werden.

Konfliktfalle Trennungsgespräche

Trennungsgespräche zu führen ist nie angenehm. Die Corona-Krise hat leider dazu geführt, dass diese Gespräche vermehrt geführt werden müssen. Der beste Weg dazu ist natürlich der persönliche. Durch die Krise ist das nicht immer möglich, wodurch viele Trennungsgespräche remote geführt werden müssen – telefonisch bzw. via Videocall. Dabei gelten die zuvor beschriebenen Punkte in gleichem Ausmaß: Zeit nehmen, auf professionelle Umgebung achten, langsam und wertschätzend sprechen. Immer auch im Hinterkopf behalten, dass sich die Art des Gesprächs im Unternehmen herumspricht. Führungskräfte sollten daher immer auch an die verbleibenden Mitarbeiter denken.

Peter Holzmüller (Geschäftsführer von LHH/OTM Karriereberatung) erzählt ein paar spannende Gedanken über Konflikte bei Trennungsgesprächen: »Konflikte sind Interessensgegensätze, diese sind bei einseitigen Trennungen offensichtlich. Die Konflikte begleitenden Gefühle lösen Reaktionen wie Wut oder Trauer bis hin zur tätlichen Aggression aus. In unserer jahrelangen Praxis bezüglich Trennungen und Auffanggesprächen bei Outplacement-Beratungen sind wir im Worst Case auch immer wieder mit Suizidankündigungen konfrontiert. Diesen Emotionen ist Raum zu geben: Der Empfänger braucht nach einer schlechten Nachricht durchschnittlich 18 Sekunden, um sich wieder zu orientieren, daher soll der Überbringer diese Stille zulassen. Wer existenziell berührende Nachrichten erhält, kann sich nicht mehr konzentrieren. Der Organismus ist derart alarmiert, dass die Aufnahmefähigkeit stark eingeschränkt wird. Überwältigende Emotionen führen zu Tränen, Schwäche, Übelkeit. Als Überbringer versuche ich, mein Gegenüber ruhig anzuschauen. Ich signalisiere Haltung und Verständnis – reiche, wenn möglich, vielleicht ein Taschentuch oder schenke ein Glas Wasser ein.«

Wie vor jedem schwierigen Gespräch, das potenziell einen Konflikt auslöst, ist es sinnvoll, sich genug Zeit für die Vorbereitung des Gesprächs zu nehmen, eventuelle Argumente vorab zu bedenken und Antworten zu finden. Ein Gespräch aus der Emotion heraus führt häufig dazu, dass Dinge ausgesprochen werden, die im Nachhinein bereut werden.

Peter Holzmüller: »Es braucht einen Plan für den Trennungsprozess und ein Drehbuch für das Kündigungsgespräch. Der Plan umfasst Leistungen für den Mitarbeiter, wie finanzielle Abfindungen in Form von individuellem Outplacement-Beratungen, aber auch anderer Unterstützungsmaßnahmen wie z. B. den Firmenkindergartenplatz bis zum Schulende nützen zu dürfen. Das Kündigungsgespräch wird vom direkten Vorgesetzten geführt, weitere Rollen, wie die von HR und/oder Betriebsrat, sind vorab zu klären. Daneben sind der Zeitpunkt und Ort des Trennungsgesprächs festzulegen, sowie zu berücksichtigen, wie der Gekündigte wahrscheinlich reagieren wird: beherrscht/aggressiv/geschockt/verhandelnd.
Das ›Wie‹, also die Formulierung, könnte bei einer Restrukturierung lauten: ›Wir haben im Rahmen der Restrukturierung beschlossen, einige Abteilungen zu verkleinern, und davon ist auch Ihre Stelle betroffen – Pause – Die Folge ist, dass wir Ihr Dienstverhältnis auflösen und Ihnen eine einvernehmliche Trennung zum soundsovielten anbieten – Pause – Persönlich bedauere ich das sehr – Pause.‹«

Fazit
Konflikte sind allgegenwärtig, Home-Office macht die Situation nicht leichter und erfordert von uns allen und im Besonderen von den Führungskräften ein neues Kommunikationsverhalten. Konflikte online zu lösen erfordert Erfahrung, Zeit und Bereitschaft, sich darauf einzulassen. Die gute Nachricht: Schwierige Gespräche zu führen ist eine Kunst, die erlernbar ist. Und das macht sich durchaus bezahlt. Im wahrsten Sinne des Wortes.

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