Wie können wir unsere Organisation fit für eine Welt machen, in der sich die Rahmenbedingungen unseres Handelns immer schneller wandeln? Das fragen sich zurzeit viele Unternehmen. Im Rahmen dieses Transformationsprozesses müssen sich ihre HR-Bereiche neu definieren.
Mitarbeiter von Unternehmen müssen künftig mehr Eigenverantwortung zeigen, wenn es darum geht, dass sie auch mittel- und langfristig über die Kompetenzen verfügen, die sie als Arbeitnehmer brauchen. Diese These wurde in Personalerkreisen im Rahmen der Employability-Debatte bzw. Debatte über die Beschäftigungsfähigkeit von Mitarbeitern schon vor mehr als 20 Jahren vertreten. Kaum erörtert wurde in diesem Kontext jedoch: Inwieweit müssen sich auch die Personalbereiche selbst verändern, damit in den Unternehmen zum Beispiel eine neue Lernkultur entsteht? Zwar wurden vereinzelt Forderungen laut wie z. B. dass der HR-Bereich sich künftig als Dienstleister verstehen müsse, operationalisiert wurden diese jedoch selten.
Im Rahmen dieses Transformationsprozesses müssen auch die HR-Bereiche ihre Funktion in der Organisation neu definieren – auch weil
- heute zumindest die Kernleistungen der meisten Unternehmen in einer funktions-, bereichs- und teilweise sogar unternehmensübergreifenden Team- und Projektarbeit erbracht werden,
- die Digitalisierung durch Corona nochmals einen enormen Schub erfahren hat und
- inzwischen in vielen Unternehmen die meisten Mitarbeiter Digital Natives sind, die teils andere Erwartungen an ihre Arbeit und ihren Arbeitgeber als die »Baby-Boomer« haben.
Daraus resultieren auch neue Anforderungen an die HR-Bereiche der Unternehmen. Deshalb nachfolgend 12 Thesen, vor welchen Herausforderungen diese stehen.
These 1: Die Personalbereiche müssen sich neu definieren und (zum Teil) neu erfinden.
Bei vielen Unternehmen stehen aktuell außer den bisherigen Handlungsstrategien und Organisationskonzepten auch die Geschäftsmodelle auf dem Prüfstand. Das heißt, viele Unternehmen werden in naher Zukunft ganz andere als heute sein. Im Rahmen dieses Transformationsprozesses müssen auch die HR-Bereiche ihre Funktion in der Organisation neu definieren und sich zum Teil neu erfinden, damit sie noch ihren Beitrag zum Erreichen der Unternehmensziele leisten können.
These 2: Die HR-Bereiche müssen flexibler und agiler werden.
»Das sind wir doch«, denkt vermutlich manch HR-Manager. Das stimmt leider oft nicht! Das fängt bei der Personalrekrutierung an. Wenn gute Fach- und Führungskräfte wirklich rar sind, dann sollte sich der Rekruter, wenn er einen heißen Kandidaten an der Angel hat, der schon einen anspruchsvollen Job und vollen Terminkalender hat, beispielsweise am Wochenende auch mal ins Auto setzen und sich mit ihm an dessen Wohnort oder auf halber Strecke treffen. Das geschieht in der Praxis nicht. Dann dürfen Personalauswahlprozesse bei Hochschulabsolventen schlicht nicht mehrere Monate dauern, denn dann haben die meisten von ihnen schon einen Job. Und wenn sich die Dauer nicht verkürzen lässt? Dann sollten die Unternehmen über ein sogenanntes »Preboarding« der heißen Kandidaten nachdenken. Und die Personaler? Sie sollten ab und zu zum Telefonhörer greifen, mit ihnen einen Smalltalk führen und sie persönlich über den Stand der Dinge informieren und ihnen so signalisieren: »Sie sind wirklich ein heißer Kandidat und sind uns auch als Mensch wichtig.« Ähnlich verhält es sich im Bereich Personalentwicklung. Auch hier müssen die Personaler noch viel stärker ihren »Elfenbeinturm« verlassen. Sie müssen auf ihre »Kunden« zugehen, mit ihnen sprechen und zeitnah auf deren Bedürfnisse reagieren.
These 3: Die HR-Bereiche müssen sich nicht nur als Dienstleister verstehen, sondern solche sein.
Woran macht ein Kunde fest, ob ein Anbieter ein Dienstleister ist oder nicht? An seinen Aussagen auf der Webseite oder in seinen Broschüren? Nein! An seinem konkreten Verhalten im Kontakt. Meldet er sich zum Beispiel eigeninitiativ oder reagiert er nur auf Anfragen? Besucht er ab und zu seine Kunden oder ist ihm dies zu zeitaufwändig? Macht er sich die Bedürfnisse des Kunden zu eigen und sucht auch eigenständig nach passenden Lösungen? Erweist er sich bei akuten Problemen als echter Helfer in der Not? Auch diesbezüglich besteht in vielen HR-Bereichen noch Optimierungspotenzial; das heißt, sie haben das Dienstleister-Sein noch nicht verinnerlicht. Denn aus Sicht ihrer Kunden ist nicht ihr Mindset, sondern ihr Verhalten entscheidend; ihr Verhalten setzt jedoch einen gewissen Mindset voraus.
These 4: Die HR-Bereiche brauchen mehr IT-Know-how.
Aktuell werden die HR-Bereiche in nicht wenigen Unternehmen von deren IT-Bereichen und den Fachbereichen, in denen das Thema Digitalisierung eine große Rolle spielt, nicht ernst genommen, denn: Aufgrund ihres geringen IT-Know-hows fehlt ihnen oft sogar die erforderliche Bewertungskompetenz, was im Digitalisierungsbereich möglich, realisierbar und sinnvoll ist. Wenn in den Unternehmen jedoch fast alle Prozesse digital ablaufen und die Digitalisierung ein zentraler Veränderungstreiber ist, dann ist ein fundiertes IT-Know-how im HR-Bereich unverzichtbar. Diese Kompetenz gilt es auf- und auszubauen. Zum Beispiel, indem im Personalbereich auch Personen mit einem großen, auch technischen IT-Know-how und -Verständnis arbeiten. Oder indem die IT- und HR-Bereiche stärker kooperieren oder sogar teilweise verschmelzen.
These 5: Die HR-Bereiche müssen sich vom Provider zum Enabler entwickeln.
In vielen Großunternehmen ist das Weiterbildungs- und Personalentwicklungsangebot heute schon gigantisch. Es reicht von einem umfangreichen Seminar- und Trainingsangebot, über individuelle Unterstützungsangebote wie Coachings bis hin zu digitalen Selbstlernprogrammen. Für jedes mögliche Wehwehchen gibt es sozusagen ein Medikament – ähnlich wie in vielen, über die Jahre gewachsenen Hausapotheken. Dieses Angebot durch Online-Angebote noch weiter aufzublähen, kann nicht das Ziel sein. Vielmehr sollten die zentralen Fragen bei der Produktentwicklung lauten:
- Was braucht das Unternehmen, um seine Ziele zu erreichen, und was brauchen die Bereiche und ihre Mitarbeiter, um ihren Beitrag hierzu zu leisten?
- Wie können diese Bedarfe am effektivsten befriedigt werden?
- Wie sorgen wir dafür, dass die Mitarbeiter die für sie relevanten Inhalte schnell finden und deren Relevanz erkennen?
Und das vorhandene Angebot? Dieses kann durchaus auch mal ausgemistet werden – wie die Hausapotheke.
These 6: Die HR muss sich verstärkt an den Ort des Geschehens und auf die Shopfloor-Ebene begeben.
Von Ferdinand Piech existiert die Erzählung, er habe, nachdem er Vorstandsvorsitzender der Volkswagen AG geworden war, einen Blaumann angezogen und einige Tage in der Produktion mitgearbeitet, um live zu erfahren: Wo drückt der Schuh? Ähnlich müssen die HR-Bereiche agieren, wenn sie erfahren möchten,
- wo es im Unternehmen klemmt,
- welche Change-/Entwicklungsbedarfe existieren und
- wie diese unter den gegebenen Bedingungen am effektivsten befriedigt werden können.
Dann genügt es nicht, den Bedarf mittels eines Fragebogens zu erkunden. Die HR-Manager müssen vielmehr aktiv den Dialog mit den Betroffenen suchen und zumindest teilweise in deren Lebens- und Erfahrungswelt eintauchen. Denn zum Beispiel die Bereiche Forschung & Entwicklung, Produktion und Vertrieb haben nicht nur unterschiedliche Aufgaben, die in ihnen tätigen Menschen »ticken« teils auch unterschiedlich. Also müssen auch die für sie entwickelten Problemlösungen teils andere sein, selbst wenn sie unter demselben Label wie zum Beispiel »Führung« oder »Selbstmanagement« laufen.
These 7: Die HR-Bereiche müssen sich als Transformer und Kulturentwickler begreifen.
Die Kernaufgabe der HR-Bereiche ist es nicht, den Mitarbeitern der Unternehmen gewisse Skills zu vermitteln bzw. ihnen die hierfür erforderlichen Tools zur Verfügung zu stellen. Sie lautet vielmehr: Sie müssen ihren Beitrag dazu leisten, dass das System Unternehmen sich in die von den Unternehmenszielen vorgegebene Richtung entwickelt. Deshalb müssen die HR-Bereiche auch strategisch denken und sich als Transformer und Kulturentwickler verstehen. Das beinhaltet auch, dass sie für die nötigen Veränderungen mit Nachdruck werben und in dem Veränderungsprozess als Vorbilder fungieren.
Entsprechend groß muss auch die Veränderungsfähigkeit und -bereitschaft der HR-Bereiche selbst sein.
These 8: Die HR-Bereiche müssen Change-Architekturen schmieden, die das Individuum fördern und für das nötige Alignment sorgen.
Bei ihrer Arbeit agieren die HR-Bereiche stets im Spannungsfeld Person und Organisation. Es gilt, die individuellen Bedürfnisse der Mitarbeiter sowie die Erfordernisse der Organisation unter einen Hut zu bringen – auch bei der Personalentwicklung. Hier gilt es zwar, die einzelnen Mitarbeiter so zu fördern, dass sie ihre Potenziale voll entfalten können, zugleich müssen die Personalbereiche aber dafür sorgen, dass im Unternehmen kein Wildwuchs – zum Beispiel im Bereich Führung oder Kommunikation – entsteht. Vielmehr muss sich das Handeln aller Beteiligten weiterhin an definierten Handlungsmaximen orientieren, sodass die Unternehmenskultur, wozu auch die Führungs- und Lernkultur zählt, sich in die angestrebte Richtung entwickelt.
These 9: Die HR-Bereiche müssen hybride Lernwelten gestalten, die dem Bedarf der Organisation entsprechen.
Die moderne Informations- und Kommunikationstechnik bietet heute bereits viele Möglichkeiten, Lernarchitekturen zu schmieden, die zum Beispiel das Lernen in Präsenzveranstaltungen und das Online-Lernen verknüpfen; außerdem viele Möglichkeiten, das eigenverantwortliche und -ständige Lernen in der Organisation zu puschen. Diese Möglichkeiten werden weiter steigen. Deshalb wird es künftig eine zentrale Aufgabe der HR-Bereiche sein, in ihrem jeweiligen Unternehmen eine (hybride) Lernlandschaft und -kultur zu etablieren, die dessen Bedarf aufgrund des Geschäftsfelds, der Entwicklungsziele, der Mitarbeiterstruktur usw. entspricht. Das beinhaltet auch, zu gewissen technischen Möglichkeiten »Nein« zu sagen.
These 10: Den HR-Bereichen muss bewusst sein, dass alle Personalausgaben betriebliche Investitionen sind.
Das heißt auch: Sie müssen sich unter dem Strich für das Unternehmen rechnen. Eine entsprechend große Rolle müssen bei der Arbeit der HR-Bereiche die Fragen spielen:
- Wie können wir diese möglichst effektiv gestalten? Und:
- Wie können wir zum Beispiel bei der Personalentwicklung die Risiken minimieren, dass die Entwicklungsziele nicht erreicht werden?
Hierzu zählt auch, im Prozessverlauf regelmäßig zu checken: Sind wir bzw. die Lerner noch auf dem richtigen Weg oder sollten wir intervenieren? Hierzu bieten sich gerade beim Online-Lernen bzw. computergestütztem Lernen sehr viele Möglichkeiten, die heute noch kaum genutzt werden – auch zum Optimieren der Programme.
These 11: Die HR-Bereiche müssen sich vom Anspruch verabschieden, alles selbst zu entwickeln.
Insbesondere in den HR-Bereichen von Großunternehmen lautet noch oft ein Credo: »Wir müssen alles selbst entwickeln, damit es unserer Unternehmensphilosophie und Corporate Identity entspricht.« Dies gilt nicht nur für die angebotenen Seminare und Trainings, sondern auch für digitale Lernangebote. Da der Entwicklungsbedarf der Mitarbeiter jedoch aufgrund ihrer Biografie und Funktion in der Organisation immer individueller und spezieller wird, kann dieser Selbstanspruch, wenn überhaupt, nur noch mit einem unangemessenen Ressourceneinsatz eingelöst werden.
Deshalb sollten sich die HR-Bereiche zum Beispiel fragen:
- Müssen wir jedes (Online-)Seminar – auch im Bereich Selbst- und Stressmanagement – selbst konzipieren oder können wir dieses einkaufen?
- Können wir beim Aufbau und Ausbau unserer Lernplattform mit anderen Unternehmen kooperieren?
- Ist es betriebswirtschaftlich vertretbar, dass wir die »Learning Nuggets« für unsere Selbstlernprogramme alle selbst entwickeln oder können wir als solche teilweise sogar Gratis-Videos usw. im Netz nutzen?
These 12: Die HR-Bereiche müssen sich als Unterstützer der Entscheider beim Erreichen der Unternehmensziele profilieren.
Dies ist auch nötig, damit ihnen die erforderlichen Mittel zur Verfügung gestellt werden. Deshalb sollten sich die HR-Bereiche intensiver mit der Frage befassen: Wie vermitteln wir den Top-Entscheidern im Unternehmen, die in der Regel in kaufmännischen bzw. betriebswirtschaftlichen Kategorien denken, dass sich gewisse Investitionen im Personalbereich lohnen – zum Beispiel in die Entwicklung der erforderlichen Future Work Skills? Außerdem mit der Frage: Wie erfassen wir deren Return-on-Invest und vermitteln ihn unseren »Geldgebern«? Das tun viele HR-Bereiche noch zu wenig.