Identifikation von Potenzialträgern

Dieser Artikel thematisiert Persönlichkeitstests für Personalentscheidungen und empfiehlt die Kombinationen von Analyseverfahren statt reinen Persönlichkeitstests.

Es ist für Unternehmen von enormer Bedeutung, die Schlüsselpositionen richtig zu besetzen und ausreichend Potenziale für Nachbesetzungen zu haben. Schlüsselpositionen sind in aller Regel jene der Führungskräfte über alle Hierarchien hinweg sowie die von Experten, die einen wesentlichen Beitrag zum Unternehmenserfolg leisten.

Fluktuation, natürliche Abgänge, nicht optimal besetzte Positionen sowie strategische Überlegungen zu Expansionsvorhaben erfordern eine langfristige Planung, um Klarheit zu haben, ob anfallende Besetzungen aus den eigenen Reihen vorgenommen werden können oder man am Markt suchen muss. Der Markt an passenden Personen ist überschaubar bzw. hart umkämpft und Potenziale im eigenen Haus brauchen Perspektiven, wenn man vermeiden will, dass diese ihre Fähigkeiten woanders einbringen. Kaum etwas ist für ehrgeizige Mitarbeiter demotivierender, als das Gefühl, dass Besetzungen im Unternehmen nicht nach professionellen Kriterien erfolgen. Und obwohl es allgemein bekannt ist, dass Leistung in der bestehenden Position nicht a priori einen Karrieresprung rechtfertigt, werden immer wieder Führungspositionen nur nach dem Leistungsprinzip besetzt: Jeder kennt Beispiele, wo die besten Fachkräfte zu Teamleitern gemacht werden, und dann diese Position nicht wirklich gut ausfüllen. Die Gründe dafür sind mehrfache: Führungskarriere als Belohnung für Leistung, Angst vor Abwanderung und fehlende Bindungsalternativen sowie fehlende oder zu kurzfristig gedachte Nachfolgeplanung. Leistung ist natürlich eine Voraussetzung für Karriere, aber kein hinreichender Indikator. Wirklich ausschlaggebend ist eine zuverlässige Potenzialeinschätzung.

Mitarbeiter sind in aller Regel nicht sonderlich davon überzeugt, dass die jeweilige Führungskraft ihr Potenzial richtig einschätzt. Wenn ein Unternehmen sich dazu entschließt, »objektive« Unterstützung für Personalentscheidungen beizuziehen, sollte es sich nicht mit den einfachsten Lösungen zufrieden geben, nur damit eben irgendein zusätzliches neutrales Ergebnis vorliegt. Unter einfachsten Lösungen verstehe ich Persönlichkeitstests, die den Anspruch erheben, allein durch die Analyse der Persönlichkeit eine Potenzialeinschätzung vornehmen zu können. Alle unsere Studien zeigen, dass der Fokus auf die Analyse der Persönlichkeit in vielen Fällen viel zu kurz greift. Deutlich erfolgsversprechender sind Kombinationen verschiedener Tests, d. h. Kombinationen von Persönlichkeits- mit Interessens- oder Motivationstests sowie kognitiven Leistungstests und natürlich einem persönlichen Interview, das nie fehlen darf. Wenn man erfolgreiche mit wenig erfolgreichen Führungskräften vergleicht, so unterscheiden diese sich oft genug nicht in ihren Persönlichkeitsprofilen, aber sehr wohl in der Kombination von Persönlichkeits- und Motivations- bzw. Interessensprofilen. Dies kann man an einem einfachen Beispiel veranschaulichen: Es mag sein, dass sich jemand in einem Persönlichkeitstest als durchsetzungs- und entscheidungsstark beschreibt, Kriterien, die für ein Führungsprofil sprechen. Ob die Person auch wirklich Interesse und innere Motivation hat, eine Führungsposition einzunehmen, lässt sich damit aber nicht ableiten. Für das Erkennen der Motivation reichen Persönlichkeitstests nicht aus, und auch Interviews sind dafür nicht immer sicher genug. Motivationstests sind in den allermeisten Fällen für diesen Zweck durch systematisches Abfragen und Benchmarks zuverlässiger als bloße Interviews. Wohlgemerkt, es ist nicht ein Motivationstest der entscheidende Faktor, sondern die Kombination der Verfahren, die die Aussagekraft über das Potenzial einer Person erhöht.

Reichen kombinierte Testverfahren mit Interview aus, um das Potenzial von Nachwuchsführungskräften zu bestimmen? Schriftliche Tests geben nicht direkt Aufschluss darüber, ob jemand tatsächlich so ist, wie er/sie sich beschreibt. Tests vergleichen mit Benchmarks von erfolgreichen Positionsinhabern und geben dadurch eine Wahrscheinlichkeit an. Aus diesem Grund ist es wichtig, Tests zu kombinieren, da die Benchmarks in Testkombinationen eine deutlich geringere Fehleranfälligkeit aufweisen als reine Persönlichkeitstests. Kombinierte Testverfahren sind in jedem Fall dann eine umfassende und zuverlässige Hilfestellung, wenn  es darum geht, zu entscheiden, ob jemand die Fachkarriere zugunsten einer Führungsposition tauschen soll oder ob es Sinn ergibt, dass jemand an einem Nachwuchsführungskräfteprogramm teilnimmt.

Wenn es darum geht, nicht einfach nur Teamleiterpositionen (nach)zu besetzen, sondern Nachwuchsführungskräfte auf ihr generelles längerfristiges Potenzial hin zu analysieren und Überblick über Talente zu gewinnen, ist es notwendig, das Analyserepertoire noch einmal zu erweitern und neben der Analyse von bereits vorhandenen Kompetenzen, Interessen, Persönlichkeit etc. ein starkes Augenmerk auf das Wachstumspotenzial zu legen.

Wir unterscheiden zwischen Führungspotenzial, das jemand auf Grund der vorhandenen Kompetenzen hat und dem Wachstumspotenzial, d. h. der Möglichkeit, vorhandene Kompetenzen auszubauen. Das Wachstumspotenzial kann gut über L- und S-Factors bestimmt werden. Die L-Factors sind Faktoren, die Entwicklungspotenzial auf der Basis von Lernkapazität angeben und die S-Factors sind die Faktoren, die nachhaltiges Erfolgsstreben beeinflussen. Wenn man in Nachwuchsführungskräfte oder Talente als längerfristige Ressourcen investiert, sollte diese umfassende Analyse nicht gescheut werden, da sie eine Reihe von kaum zu überschätzenden Vorteilen bringt. Hier gilt: Um wirklich zuverlässige Wachstumsprognosen abzugeben, reicht ein einfaches Development Center mit einer kompetenzbasierten Analyse ebenso wenig aus, wie eine Kombination von schriftlichen Testverfahren. Die Potenzialanalyse muss eine umfassendere sein, die angefangen von der fundierten Analyse beobachtbarer Handlungsmuster über kognitive Fähigkeiten bis hin zu Lern- und Motivationsmustern unterschiedliche Analysedimensionen berücksichtigt und in ein ganzheitliches Bild integriert. So können nicht nur Einsatz- und längerfristige Wachstumspotenziale aussagekräftig dargestellt werden, sondern auch wirksame Hebel für Entwicklung und Bindung. Für HR bedeutet das dann nicht zuletzt auch, sich bei einem strategischen Thema mit fundierten Instrumenten zu positionieren und nachhaltige Lösungen anzubieten.

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Kurt4

Gastautor
Kurt Durnwalder
ist einer der führenden internationalen Experten für Personal- und Entwicklungsdiagnostik.
www.ito.co.at