Im Seminar »Sehen, was ist« lernen die Teilnehmer von zwei Verhaltensbiologen, richtig hinzuschauen und zu beobachten statt zu interpretieren.
»Wenn wir in ein Thema vertieft sind, sehen wir nicht mehr, was real ist, wir sind stark in eine ganz bestimmte Richtung fokussiert«, sagt Trainer Gregor Fauma zu Beginn dieses 1-Tages-Seminars an der Universität Wien. Erwartungen, (falsche) Vorstellungen und Vorurteile sind Hindernisse, wenn es darum geht, eine Situation möglichst objektiv zu beurteilen. Doch wie sollen Recruiter den passenden Mitarbeiter finden, wie sollen Führungskräfte effektiv führen, wenn sie Situationen falsch erfassen? Genau darum gibt es diese neue Seminarreihe von und mit Gregor Fauma und Elisabeth Oberzaucher.
In medias res: Nach einigen theoretischen Inputs geht es in die erste Übung. Die beiden Trainer diskutieren über ein polarisierendes Thema, während die Teilnehmer nichts anderes tun sollen als beobachten. Ist doch einfach, oder? Weit gefehlt! Denn in der anschließenden Feedbackrunde stellt sich schnell heraus, dass mehr interpretiert wurde als beobachtet. »Ihr Verhalten war aggressiv«, behauptet ein Teilnehmer. »Sie wurden nervös, das habe ich an Ihrem schnelleren Sprechtempo erkannt«, sagt ein anderer. Jedoch – das sind Interpretationen. Eine objektive Beobachtung wäre: »Sie haben nach der ersten Minute den Abstand zueinander um 20 cm verringert.« Distanz ist objektiv messbar, die Deutung »aggressiv« ist subjektiv.
Menschen unterliegen immer ihrer subjektiven Wahrnehmung. Elisabeth Oberzaucher: »Wir eignen uns im Laufe des Lebens Erwartungshaltungen an und schauen damit auf die Welt.« Alles, was aus der Norm fällt, fällt auf. Wenn über viele Jahre alle Mitarbeiter pünktlich sind und Herr Müller kommt zweimal kurz hintereinander um 5 Minuten zu spät, folgt daraus schnell einmal die Behauptung und die Interpretation: »Herr Müller ist unzuverlässig geworden, der hat bestimmt private Probleme.« Hier ist Vorsicht geboten, vielleicht gab es einfach nur eine temporäre Baustelle auf seinem Arbeitsweg, die 5 Minuten Zeit gekostet hat.
Das Ziel dieses Seminars ist es unter anderem, sich seiner selektiven Wahrnehmung bewusst zu werden. Wann immer wir glauben, etwas genau zu wissen, zahlt es sich aus, bewusst noch einmal hinzuschauen.
So findet ein Großteil des Seminars auch »draußen im Feld« statt. In 3 Gruppen eingeteilt, dürfen die Teilnehmer wieder Studenten sein. Es geht darum, in der Straßenbahn Menschen zu beobachten. Konkret: Wie viele Menschen Dominanzsignale ausstrahlen und z. B. breitbeinig sitzen oder ihre Tasche auf dem Nachbarsitz abgelegt haben. Das macht doch jeder Mann! Die nehmen immer so viel Platz ein, richtig? Falsch – wie uns die spätere Auswertung zeigen wird.
In einer zweiten Übung beobachten wir am Christkindlmarkt Menschengruppen, in welcher Art und Weise sie kommunizieren. Wir stoppen die Redezeit, beobachten, wie oft sie unterbrochen werden, wie oft sie sich berühren und wer Dominanzverhalten zeigt.
Lernerfahrungen: Passagiere in Straßenbahnen sind viel sozialer, als ich dachte. Nur weil wir einmal eine schlechte Erfahrung gemacht haben, nimmt nicht jeder Mann viel Platz ein. Es spielt übrigens auch nicht jeder Jugendliche mit seinem Handy in der Straßenbahn. Wenn wir bewusst hinsehen, stellt sich die Welt häufig anders dar, als wir sie erwarten – in der Straßenbahn und am Arbeitsplatz.
Gegen Ende des Trainings schärft Fauma die Wahrnehmung der Teilnehmer für echte Signale der Körpersprache und hinterlässt viele Gedanken in den Köpfen der Teilnehmer – wie wirklich ist die Wirklichkeit wirklich?