In den letzten zwei Jahren hat sich der Verkauf von Produkten und Dienstleistungen verändert. TRAiNiNG hat bei drei Verkaufsexperten nachgefragt, wie moderner Verkauf in und nach der Corona-Krise funktioniert.
Boomender Online-Handel, stark erhöhte Preise, Logistikschwierigkeiten, Arbeitslosigkeit, geschlossene Verkaufsräume. Und das sind nur einige Rahmenbedingungen, mit denen Österreich während der Pandemie zu kämpfen hatte und auch noch zu kämpfen hat. Das hat natürlich auch Auswirkungen auf Verkäufer, sowohl im B2B-, als auch im B2C-Verkauf. Viele Vertriebsmitarbeiter sind verstört, weil sie einerseits Druck vom Unternehmen bekommen, dass sie mehr zu verkaufen hätten und andererseits spüren sie Druck von Kunden, die nach mehr Preisnachlässen fragen und auf die mitunter enormen Preiserhöhungen nicht eingehen wollen oder können. Das ist eine vertrackte Situation in beide Richtungen, die es schwer macht, Produkte und Dienstleistungen zu verkaufen. Wenn selbst jahrelange Stammkunden eines Unternehmens sich vermehrt bei der Konkurrenz umsehen oder sich im Internet schlau machen, müssen Verkäufer besonders taktvoll agieren und sensibel reagieren.
Marcus Wecht (VBC-Partner) ist Experte für Verkauf und weiß, worauf besonders in der aktuellen Situation achtgegeben werden muss: »Die Corona-Krise hat uns in den letzten 2 Jahren gelehrt, dass regelmäßige Lieferzyklen, uneingeschränkte Verfügbarkeit von Produkten und immer volle Regale in den Supermärkten keine Selbstverständlichkeit mehr sind. Produktionsstillstände und Nachschubschwierigkeiten in der Versorgungskette haben unser gewohntes Konsumverhalten auf den Kopf gestellt. Die hohe Nachfrage nach Produkten und Lieferengpässe trieben die Preise in die Höhe. Preiserhöhungen in bisher unvorstellbarer Höhe mussten plötzlich umgesetzt werden. Das Gute daran – die Kunden sind heutzutage froh, die Waren und Dienstleistungen überhaupt zu bekommen. Da die Preiserhöhungen auf vertretbaren und nachvollziehbaren Gründen beruhen, werden sie von den Kunden (auch mangels Alternativen) zwar widerwillig, aber doch in Kauf genommen. Wichtig und hilfreich bei der Preisdurchsetzung: das eigene, positive Mindset und absolute Transparenz dem Kunden gegenüber.«
Der private Konsum ist in Österreich einer der wichtigsten Stützen der Wirtschaft. Im Jahr 2020 beträgt der Anteil des privaten Konsums am Bruttoinlandsprodukt 47,7 %. Dabei sind die realen Konsumausgaben im Vergleich zu 2019 um 8,5 % gefallen. Während 2021 wieder eine Steigerung von 3,4 % festgestellt werden konnte. Einen Vorteil haben die Lockdowns natürlich mit sich gebracht. Menschen haben weniger Geld ausgegeben und konnten sich so einiges ansparen, was wiederum zu erhöhten Ausgaben nach den Lockdowns führte.
Ursula Autengruber (Geschäftsführung Autengruber Consulting): »Die Corona-Krise hat die Rahmenbedingungen stark verändert. Viele Kunden sitzen zu Hause, haben Zeit zum Recherchieren und auch Geld, um zu investieren. Noch nie wurde so viel Geld dafür ausgegeben, das eigene Zuhause zu gestalten. Swimmingpools, Wintergärten, Terrassen etc. boomen. Bei vielen Produkten entsteht daher ein Engpass, in Folge davon werden die Lieferzeiten immer länger, Materialien werden zu einem Engpass, und in der Folge davon steigen die Preise. Verkäufer stehen oft vor dem Problem, die Kunden wollen ja kaufen, können aber nicht. Frustration ist verständlich, aber fehl am Platz.«
Neues Verkaufen gefragt
All diese veränderten Rahmenbedingungen führen dazu, dass Verkäufer anders agieren müssen. Ein Verkäufer muss noch mehr auf die Kunden eingehen, ihre persönliche Situation kennen und verstehen lernen. Und natürlich ändert sich auch die Art der Kommunikation.
Jürgen Eisserer (CEO Menschen im Vertrieb Training GmbH): »Vor der Krise wurden Geschäfte meist beim klassischen Kaffee-Besuch vereinbart und die B2C-Verkäufer standen noch nicht so dermaßen unter dem Damoklesschwert des Online-Versandhandels. Die Krise war nur ein Brandbeschleuniger. Sprechen wir heute noch von Video-Calls, diskutieren die Technik-Nerds großer Unternehmen schon von automatisierter Kundenkommunikation mit Bots. Mit der Bereitstellung von solchen digitalen Tools verändert sich auch das Such- und Kaufverhalten der Kunden massiv. Dieser Kampf an zwei Fronten, neue Begriffe und Prozesse sowie neue Bedürfnisse des Kunden, überfordert viele im Verkauf. Die Leitplanken des ›traditionellen‹ Vertriebs sind verloren gegangen. Ich höre Aussagen wie: ›Was machen Sie persönlich hier, das hätten wir auch online klären können.‹ Damit muss man erst einmal umgehen können. Die Verkaufsgespräche von morgen müssen also zu einem wirklichen Erlebnis für die Kunden werden. Das erfordert hybrides Bewusstsein und die Akzeptanz der neuen Denkweise der Kunden entlang der Customer Journey.«
Ursula Autengruber: »Verkäufer müssen sich noch mehr als bisher auf die Kunden einstellen. Sie müssen Alternativen kennen, wenn ein Produkt nicht in der Weise verfügbar ist, wie es die Kunden gerne hätten. Der Preis ist oft nicht das Problem. Kunden sind froh, wenn sie das Produkt überhaupt bekommen. Original-Zitat beim Kauf eines Motorrades: ›Wenn du den Preis nicht bezahlst – bekommst du das Produkt erst nächstes Jahr, willst du das?‹ Damit stehen viele Verkäufer vor der Frage: ›Wem gebe ich das, was ich noch habe?‹«
Natürlich gehören heutzutage Online-Verkaufsgespräche zum Standard. Ob das so bleibt, wird die Zukunft zeigen. Etliche gewiefte Verkäufer haben sich recht rasch damit auseinandergesetzt, um auch über diese Medien professionell verkaufen zu können.
Marcus Wecht: »Videokonferenzen, die vor 2 Jahren hauptsächlich bei internationalen Meetings eingesetzt wurden, haben sich mittlerweile in vielen Branchen im Verkaufsgespräch etabliert. Die daraus resultierende Zeit- und Reisekostenersparnis kommen bei den Unternehmen gut an. Doch auch die Aufgaben des Verkäufers haben sich verändert. Im B2B-Bereich haben die meisten Unternehmen zwar volle Auftragsbücher, aber aufgrund von Lieferengpässen müssen die Verkäufer ihre Kunden aufklären und vertrösten, weil die Produkte nicht wie vereinbart geliefert werden. Der Aufwand für interne Ressourcenkoordination ist durch die Corona-Krise auch bei Verkäufern gestiegen. Teilweise kann dies auch unverschuldete Provisionsansprüche der Verkäufer betreffen. Die Neukundenakquise wurde deutlich schwieriger, da die Kunden damit beschäftigt sind, ihre eigenen geregelten Geschäftsprozesse aufrechtzuerhalten und sicherzustellen. Weiters sehen wir eine Veränderung des Kaufverhaltens: Bereits vor dem ersten Gespräch informieren sich Kunden aktiv und umfassend über den Lieferanten, seine Produkte, vergleichbare Anbieter, das Preisniveau und zunehmend auch über die soziale und ökologische Nachhaltigkeit des Geschäftspartners. Es geht nicht mehr nur um Win-win-Situationen, sondern um Triple-Win: Gut für die Kunden, gut für die Verkäufer und gut für unsere Gesellschaft und unseren Planeten! Vor allem bei der jungen Generation gewinnt dies zunehmend an Bedeutung.«
Wollen Kunden noch kaufen?
Fragen Sie sich einmal ehrlich: Wie sehr nerven Sie im Handel die Verkäufer? Und zwar auch dann, wenn sie nichts sagen? Kunden in Geschäften wollen häufig nur schauen und sich unverbindlich informieren (dabei stören Verkäufer nur) und entscheiden sich spontan zum Kauf. Sobald der übliche Satz im B2c-Verkauf fällt »Kann ich Ihnen helfen?«, zucken die meisten Kunden zusammen und suchen das Weite. Sollte es dann doch zu einem Verkaufsgespräch kommen und wenn dann die Verkäufer weniger zum Produkt wissen als die voll informierten Kunden, dann wird in diesem Geschäft wohl nichts gekauft, sondern vermutlich bei der (Online-)Konkurrenz. Auch im B2B-Handel entscheidet das Verhalten und Know-how des Verkäufers oft zwischen Kauf oder Nicht-Kauf. Selbst bei langjährigen Kundenbeziehungen kommt nun eine neue Dimension dazu.
Marcus Wecht: »Kunden wollen kaufen, allerdings braucht es durch die teilweise noch immer auftretenden Lieferengpässe eine interne Priorisierung. Die Verkäufer müssen sich fragen: Welche Kunden darf ich in keinem Fall verlieren? Beziehungsmanagement scheint wichtiger denn je und dadurch wird der Beruf des Verkäufers ganz und gar nicht obsolet. Viele Kunden sehnen sich nach den Online-Meetings der letzten Monate wieder nach persönlichem Kontakt, und viele Produkte können im Live-Setting einfach effektiver präsentiert und verkauft werden. Im Verkaufsgespräch muss es dem Verkäufer gelingen, ein 360-Grad-Paket für seinen Kunden zu schnüren und ein Einkaufserlebnis zu bieten. Das gilt nicht nur im Handel, sondern auch im B2B-Bereich. Kunden nützen das Internet mit allen sich bietenden Möglichkeiten: für Produktinformationen und -vergleiche, für Kundenbeschreibungen und Rezessionen und natürlich auch für einen Preisvergleich. Verkäufer müssen darauf vorbereitet sein: Das eigene Produktportfolio bestens zu kennen und über Marktbegleiter Bescheid zu wissen ist eine Grundvoraussetzung. Dazu gehört auch, sich auf potenzielle Einwände des Kunden vorzubereiten und sich nutzenorientierte Argumente zu überlegen. Das macht sich bezahlt! Am Ende ist es die Persönlichkeit des Verkäufers und die Qualität des Verkaufsgesprächs, die den Unterschied zum Online-Kauf macht.«
Jürgen Eisserer: »In Zukunft wird es die Aufgabe sein, weitaus stärker die Relevanz eines Besuchs oder von Produkten herauszuarbeiten. ›Was ist die Berechtigung, dass ich dem Verkäufer nun 10 Minuten meiner Zeit schenke?‹ Durch den gesellschaftlichen Drang zu Freiheit, Individualität und Selbstverwirklichung meinen viele Kunden zudem, die beste Entscheidung für sich selbst schon zu kennen. Haben sich Verkäufer früher mit verkäuferischen Tricks oder rhetorischen Techniken helfen können, brauchen sie heute mehr Gefühl für den Hintergrund des Gegenübers und eine hoch situative und flexible Anpassung ihrer Argumente, um weiter relevant zu bleiben. Dazu kommt das immer noch vorhandene Paradigma, möglicherweise manipuliert zu werden. Somit muss sensibler auf die mündiger gewordenen Kunden reagiert, aber gleichzeitig auf jegliche Art von Tricks und Spielereien verzichten werden. Erkannte Manipulation wird im Verkauf der Zukunft hart abgestraft. Klarheit in der Kommunikation ist die Lösung.«
Durch ehrliche Kommunikation baut ein Verkäufer ein gutes Verhältnis zum Käufer auf. Gerade bei langfristigen Geschäftsbeziehungen ist das ein Muss. Viele Unternehmen sind während der Pandemie und den ersten Lockdowns sehr auf ihre Kunden eingegangen, haben kurzfristige Stornos kulant abgewickelt, getragen von der Hoffnung, die Kunden nach der Krise zu behalten. Diese Strategie ging gut auf. Zusammenhalt in schwierigen Zeiten stärkt die Beziehung und man weiß, dass man sich aufeinander verlassen kann.
Ursula Autengruber: »Ein Verkäufer muss heute erfinderisch und flexibel sein. Hard-Selling ist out! Diejenigen, die schon vorher in die Beziehung zum Kunden investiert haben, werden auch weiterhin gut im Geschäft bleiben. In Zeiten von ›Social Distance‹ brauchen Kunden Kommunikation. Sie freuen sich über einen Kontakt und Aufmerksamkeit. Und es geht darum, gemeinsam mit den Kunden eine Lösung zu finden. Dazu müssen Verkäufer wissen, was ihre Kunden brauchen.«
Anfängerfehler
Junge Menschen, die neu im Verkauf sind, müssen Erfahrungen sammeln. Der Drang zum schnellen Abschluss (um schnell Provision zu kassieren) geht manchmal auf Kosten einer guten, nachhaltigen Kundenbeziehung und zahlt sich langfristig gesehen nicht aus. Auch unsere Interviewpartner kennen häufige Fehler:
Ursula Autengruber: »Ein häufiger Anfangsfehler ist, sein ›Vorbild‹ nachahmen zu wollen. Junge schauen sich oft ab, was ihr Chef gut macht und versuchen, das auch umzusetzen. Oft erkennen sie gar nicht, dass dieses Verhalten nicht zu ihnen passt. Hier wäre es wichtig, dass sie ›Mentoren‹ haben, die mit ihnen Verkaufssituationen reflektieren – und sie sowohl ihre Persönlichkeit als auch ihre Fachkompetenz weiterentwickeln können.«
Marcus Wecht: »Verkäuferpersönlichkeiten haben von Natur aus ein hohes Sendungsbewusstsein. Das führt oft dazu, dass sie ihre Kunden ›niederreden‹ und mit irrelevanten Informationen überfordern. Wichtig ist das Eintauchen in die Kundenwelt und durch Fragen herauszufinden, wo Mehrwert geliefert werden kann. Oft scheitern junge Verkäufer an der unzureichenden Vorbereitung auf den Kundentermin. Top-Verkäufer überlegen sich schon vor dem Gespräch Fragen, die die Kunden tatsächlich zum Nachdenken bringen. Genauso zielführend ist es, im Kundendialog gut zuzuhören und keine eigenen Interpretationen anzustellen. Das Gute daran: Das alles kann man lernen!«
Jürgen Eisserer: »Junge Wilde wollen alles niederreißen – das ist aber meist kontraproduktiv. Denn bei ausbleibenden Erfolgen führt es sehr schnell zu Krampf und Kampf. Und bei Erfolg ufert es mitunter in Übereifer aus. Kunden spüren das, wenn zu ungeduldig um einen Auftrag gekämpft wird. Es darf andererseits aber auch nicht in Fatalismus enden: ›Mir ist’s egal, ob ich den Auftrag bekomme.‹ Das beste Beispiel ist ein junger Mechaniker, den ich in unseren Seminaren kennenlernen durfte. Er ist in den Vertrieb eingestiegen und im ersten Jahr sofort unter den Top-10-Verkäufern gelandet. Ich nenne es gerne das ›Quereinsteiger-Gen‹. Möglichst unbedarft hat er nichts anderes gemacht, als sich für das Gewerk seiner Kunden interessiert. Keine Verkaufstricks, kein gespieltes Gespräch, reine Authentizität. Altgediente Tricks sind Mist. Es braucht Offenheit und Transparenz.«
Fazit
Die Krise bietet im Verkauf neue Chancen. Kunden verändern sich, ihr Verhalten ist anders als früher. Sie sind top-informiert, überlegen gut, welchem Unternehmen sie ihr Vertrauen schenken und ihr Geld geben. Wenn es Verkäufern gelingt, ein ehrliches, partnerschaftliches Verhältnis zu ihren Kunden aufzubauen und zu halten, werden diese in den meisten Fällen loyal sein und auch eventuelle Preiserhöhungen, bedingt durch die Krise, akzeptieren.