Konditionstraining fürs Gedächtnis

Warum wir unser Hirn auch wirklich benutzen sollten und wie wir uns Einkaufslisten und Namen einfacher merken können, hat TRAiNiNG in diesem Interview erfahren.

Wie können wir unser Gehirn fit halten?

Der Grundsatz lautet: Use it or lose it. Verwende dein Gehirn, oder es geht verloren. Es ist wie bei einer Fremdsprache, die man immer wieder auffrischt, damit die Kenntnisse nicht einrosten. So ist es auch mit dem Gedächtnis. Ellen Jane Langer, Psychologin und Professorin an der Harvard University, beschäftigt sich seit 30 Jahren mit diesem Thema. Das Ergebnis sind drei Faktoren, die das Gehirn fit halten: Achtsamkeit, Engagement und die Bereitschaft, sich auf Neues einzulassen.

Können wir so auch Demenz vorbeugen?

Für dieses Thema wichtig ist die sogenannte »Nonnenstudie«, die der Epidermologe David Snowdon mit etwa 600 amerikanischen Ordensschwestern im Alter zwischen 75 und 107 (!) Jahren durchgeführt hat. Hier zeigt sich, dass auch Menschen ohne Demenz-Symptome, eine Art Demenz haben. Aber was macht den Unterschied aus? Bei den Ordensschwestern zeigt sich, dass sich ihr Gehirn die Neuroplastizität erhalten hat, d. h., wenn ein Gehirnareal nicht mehr ordnungsgemäß funktioniert, wird das Wissen in ein anderes Areal »verlagert«. Aber wie erhalten die Ordensschwestern die Neuroplastizität? Sie verbringen viel Zeit mit den anderen Schwestern, üben Tätigkeiten aus, die ihnen sinnvoll erscheinen und sie beten und singen täglich.

Welche konkreten Übungen für den Alltag gibt es für Nicht-Nonnen, um hirnfit zu bleiben?

Im Alltag sind es gute Gespräche mit Menschen, die einem am Herzen liegen, den Sinn entdecken, in der Tätigkeit, die man gerade ausübt, bzw. Tätigkeiten finden, deren Relevanz offensichtlich ist, Zeiten der Ruhe in den Tag einplanen – möglicherweise mit einer Meditation oder einer Yoga-Übung, sich mit Musik beschäftigen. Und: Suchen Sie die Herausforderung: Schreiben Sie z. B. einen Brief in einer anderen Sprache, lernen Sie ein Gedicht auswendig, um es einem Freund aufzusagen, beginnen Sie (wieder) ein Instrument zu spielen, veranstalten Sie einen Spielenachmittag, bei dem Brett- oder Kartenspiele gespielt werden, oder merken Sie sich, was Sie einkaufen wollen, anstatt eine Einkaufsliste zu schreiben.
Mit der folgenden Strategie können Sie sich ganz leicht 20 Dinge auswendig merken – der Schlüssel ist eine bildhafte Vorstellung und etwas Vorbereitung: Man schreibt zuallererst eine Liste mit den Zahlen 1 bis 20. Nun kreiert man dazu sogenannte Memory Packs – man zeichnet Dinge daneben, die wie die Zahl aussehen. Zum Beispiel: Für mich sieht Eins wie ein Kugelschreiber aus. Ich zeichne daher einen Kugelschreiber daneben. Zwei wird zum Schwan. Elf sind zwei Essstäbchen, usw. Hier geht es wirklich um die eigenen Assoziationen, die einem zu allererst einfallen. Diese Symbole lernt man nun auswendig – das geht ganz leicht, denn es sind ja Ihre persönlichen Kombinationen. Der »Werkzeugkasten« für den nächsten Schritt ist somit fertig. Wenn Sie sich jetzt z. B. eine Einkaufsliste merken möchten, an deren erster Stelle etwa Bananen stehen. Dafür verbinden Sie den Kugelschreiber im Kopf mit den Bananen – wichtig: Das Bild soll so wild und ungewöhnlich wie möglich sein! Ich stelle mir vor, wie jemand ganz wild mit dem Kugelschreiber auf die Bananen einsticht. Sex, drugs and rock n roll – je dramatischer die Vorstellung, desto besser! Im Supermarkt gehe ich all die Punkte der Liste durch: Punkt 1 wie Kugelschreiber … und schon ist ganz automatisch die Szene mit den Bananen in meinem Kopf. So wird das Einkaufen zum Spiel: Die Vorstellungen machen nicht nur Spaß, sondern verbessern das Gedächtnis ungemein!

Wirkt sich das Gedächtnis-Training auch auf anderen Ebenen aus?

Ja, das Gedächtnistraining sorgt für einen klaren Kopf und: Man kann andere Menschen damit beeindrucken! Wer etwa bei einer Präsentation ohne Merkzettel frei spricht, der wirkt ganz automatisch kompetenter. Auch dafür verwende ich meinen Nummern-Werkzeugkasten – und weiß genau, welches Thema als nächstes kommt.
Ebenso macht es einen guten Eindruck, wenn man den Namen des Gegenübers weiß und diesen bei der Begrüßung oder im Gespräch einsetzt. So wird vermittelt: Du bist nicht irgendwer. Du bist es wert, mir deinen Namen zu merken. Mir ist es daher sehr wichtig, die Namen der Teilnehmer meiner Seminare zu kennen. Und das ist nicht schwierig!

Welche Tipps können Sie unseren Lesern geben, wie sie sich schnell und einfach Namen merken können?

Der erste Schritt: Schreiben Sie sich einen Namenskatalog. Starten Sie mit einer Liste der gängigen, männlichen Vornamen: Das sind etwa Karl, Heinz und Kurt – die Liste sollte anfangs rund 20 Namen lang sein. Dasselbe wird mit einer weiblichen Liste, etwa von Susanne, Iris bis Doris, fortgesetzt. Das sind bereits viele Namen. Nun geht es darum, die Namen mit einem Kontext zu verbinden. Denn sie wurden nicht unbedarft gewählt, sondern haben einen Grund, warum sie in dieser Liste stehen: Karl ist etwa ein ehemaliger Tanzlehrer und Doris die Sitznachbarin in der Volksschule. So wird jeder einzelne Name der Liste mit einer Assoziation verknüpft.
Nun ist es so weit und Sie lernen neue Menschen kennen, die sich vorstellen. Da grüßt etwa ein neuer Karl und eine neue Doris. Noch beim Händeschütteln läuft das Kopfkino und die Assoziationen verknüpfen sich mit den Personen: Vor dem inneren Auge sieht man den neuen Karl durch den Raum tanzen, wie man es vom ehemaligen Tanzlehrer kennt und die neue Doris erwischt man innerlich beim Abschreiben. Auch hier gilt: Je verrückter, desto besser. Die schräge Vorstellung sorgt nicht nur dafür, dass sich die Namen fest im Kopf einprägen, sondern versetzt einen auch in eine super Stimmung. Dadurch begrüßt man die Menschen automatisch mit einem breiten Lächeln. So eine herzliche Begrüßung ist ein toller Einstieg und hinterlässt auch beim Gegenüber einen guten Eindruck.

Wie funktioniert das mit für uns schwierigen, z. B. ausländischen Namen?

Gängige Namen kann man sich leichter merken als außergewöhnliche. Allerdings kann man die bisherigen Strategien auch hier einsetzen, denn es geht dabei immer um die Verknüpfung von Bild und Sprache – man verankert die Namen oder Dinge mental in einer kleinen Szene. Karl und Doris habe ich mit Personen verknüpft, die ich bereits kannte. Stellt sich allerdings jemand vor, der einen in Österreich untypischen Namen hat, dann verknüpfe ich die Person mit einer anderen Assoziation. Lerne ich etwa eine Lyubima kennen, dann klingt dieser Namen für mich wie ein außergewöhnlicher Edelstein. Ich stelle mir Lyubima nun in einem funkelnden Edelstein-besetzten Kleid vor – ich bin richtig geblendet von ihr! Um sich den Namen besser einzuprägen ist es auch absolut okay, die Person nach der Herkunft oder Bedeutung des Namens zu fragen. Das weckt oft neue Assoziationen und Bilder im Kopf, die man sich gleich im Namenskatalog festschreiben kann. Und das Niederschreiben, natürlich im Nachhinein, meine ich ganz wörtlich – besonders für den visuellen Lerntyp ist es nämlich sehr hilfreich, den Namen zusätzlich auch am Blatt Papier zu sehen.

Danke für das Gespräch und die hilfreichen Tipps.

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Roman Braun
ist promovierter Psychologe, Gründer und Geschäftsführer von TRINERGY und NLP-Mastertrainer.
www.trinergy.at