Was macht einen kreativen Menschen aus und welchen Einfluss hat die Digitalisierung darauf? Werner Pfeffer, Experte für Kreativität, im Interview.
Was bedeutet der Ausdruck »ein kreativer Mensch«?
Für mich ist Kreativität ein Werkzeug zur Beantwortung von Fragen. Damit beginnt jeder Mensch, der sich auf den Weg macht, eine Antwort auf eine Frage zu suchen, einen kreativen Prozess. Dazu kommen die vier wesentlichen Säulen der Kreativität ins Spiel: ICH, NEUGIER, MUT und ZEIT. Wenn dieser Mensch, der sich gerade auf die Suche nach einer Antwort auf seine Frage macht, dabei eine Beziehung zu seinem ICH hat, seine NEUGIER pflegt, MUTIG ist und sich für den Prozess genug ZEIT lässt, dann würde ich ihn einen »kreativen Menschen« nennen. Der immer wieder gern hervorgeholte »kreative Mensch«, der bunt im Kreis hüpft und dabei mit vielen Stiftchen Schönes zu seinem Liedchen zeichnet, hat damit nichts zu tun. Weil – eine Komponistin, Malerin oder ein Schriftsteller – sie haben auch Fragen, bevor sie beginnen: Worum soll es gehen, was will ich erzählen, wie kann ich meine Gedanken in mein Handwerk übersetzen? Alles Einstiege in kreative Prozesse.
Kann jeder Mensch Kreativität lernen?
»Lernen.« Ein ganz prächtiges Wort. Gerade für Kreativität. Um kreativ sein zu können, ist vorzüglichst zu empfehlen, viel zu lernen. Und ich meine wirklich viel. Da spielt die Säule NEUGIER die treibende Rolle. Also: neugierig sein, vor allem auch auf Themen, Inhalte und Gedankenexperimente, die überhaupt nichts mit dem zu tun haben, was meine eigene Hauptprofession betrifft. Die aber viele interessante Gegenübers treffen darf. Ich nenne das »Denkinseln«. Eine Denkinsel ist etwas, wofür Sie sich interessieren, dem Sie nachgehen, für das Sie forschen und recherchieren, und das alles thematisch und zeitlich außerhalb Ihres Jobs. Von diesen Denkinseln kann man nie genug haben. Die dürfen und sollen sich auch permanent ändern, erneuern oder ausscheiden.
Was verstehen Sie unter »kreativer Prozess«?
Am Anfang gilt es, die Herausforderung, das Projekt oder das Problem als Frage zu formulieren. Am Ende soll eine gute Idee herauskommen. Eine Idee, die überrascht und funktioniert. Und die in einem Konzept mit Detaillierung der Umsetzung formuliert wird. Auf dem Weg kommt mit der Säule ZEIT auch das »Lernen« ins Spiel. Kreativität braucht ZEIT. Lernen braucht Zeit. Ich kann also lernen:
Dass Kreativität ZEIT braucht.
Dass NEUGIER, und damit Recherche, Gespräche, Forschen, Lesen und Hören wesentliche Inputs bringt.
Dass das Arbeiten an mehreren Projekten gleichzeitig das Ergebnis unterstützt.
Und dass etwas über die jeweiligen Themen und Inhalte der eigenen und auch fremden Denkinseln zu lernen sehr erweiternd für die eigene Person und damit für das Projekt ist.
Das, was jeder Mensch dazu noch lernen kann, sind Rahmenbedingungen zu entdecken, die die eigenen kreativen Prozesse unterstützen, und sie zu pflegen.
Können Sie uns ein paar Kreativitätstechniken vorstellen?
Ich unterrichte keine Kreativitätstechniken und setze selbst auch keine ein. Außer meinen eigenen querDENKRAUM®.
Es gibt aber eine Kreativitätstechnik – und die ist die absolut beste der Welt, nur – die meisten Menschen kennen sie nicht: Es ist die jeweils eigene und ganz persönliche. Meine Empfehlung: Überlegen Sie sich: Was genau tun Sie, wenn Sie eine Frage haben? Wie machen Sie das, wenn Sie ein Problem lösen? Wie gehen Sie mit Herausforderungen um? Versuchen Sie da drauf zu kommen. Denn damit haben Sie ein Werkzeug, das funktioniert. Vor allem auch in Stresssituationen und unter Zeitdruck. Ich habe 5 Wochen gebraucht, um meine Art, erfolgreich Ideen zu erarbeiten, genau beschreiben zu können. Das hat in der Folge viel Ruhe auf den Ball gebracht. Zum Beispiel beim Thema Angst: Wenn ich Angst habe, dass alles, was ich denke, zu nichts führt, letztklassig ist und alle über mich lachen werden, dann weiß ich, dass der kreative Prozess läuft.
Warum ist es wichtig, in Unternehmen »kreative Köpfe« zu haben?
Es ist egal, in welchem Kontext Kreativität gedacht wird. Wir werden für die Gestaltung unserer Zukunft die Ideen aller Menschen brauchen. Und damit deren Kreativität. Das gilt für das Entwickeln von Ideen, für das »ins Gehen Bringen« derselben, für das Ausprobieren und für das Realisieren. Nachdem Unternehmen mit diesen Prozessen ihr Geld verdienen, ist die Kreativität jedes einzelnen Mitarbeiters wohl das wichtigste Tool, um langfristig mit Freude und Nervenkitzel einen gesunden unternehmerischen Weg zu gehen. Wichtig ist, ein gemeinsames Verständnis für den Begriff Kreativität zu entwickeln und Rahmenbedingungen zu erarbeiten und festzulegen, die ein kreatives Arbeiten für das Unternehmen garantieren.
Welche Voraussetzungen braucht ein Unternehmen, um Kreativität zuzulassen?
Wenn es im Kleinen funktioniert, überträgt sich die Absicht auf die große Gruppe. Das kann das Unternehmen sein, das können Kunden sein. Großzügigkeit im Denken. Mut in rauen Mengen, um ihn gerecht und ungerecht auf alle zu verteilen. Die Frage, ob es ein oranges Sofa braucht, finde ich achtrangig. Schon einmal überlegt, alle aktuellen Denkinseln der Mitarbeiter einen Monat lang zum Thema zu machen? Und – wie kann ein Unternehmen mutig sein oder Mut zeigen?
Welche »Feinde« hat Kreativität in Unternehmen?
Ich zähle jetzt einfach auf: Unkenntnis der Rahmenbedingungen, die Kreativität braucht, um gelebt werden zu können. Sowohl für die einzelne Person für sich als auch für die Person im Kontext des Unternehmens und in Teams. Zeitdruck. Zu wenig Vertrauen in die kreativen Prozesse der einzelnen Menschen. Entmutigung statt Ermutigung. Feigheit, Gedanken mit oder weiter zu denken. Desinteresse am Gegenüber und seinen Entwürfen. Ideen sind anfangs sehr fragile und leicht zerstörbare Gebilde. Wie werden sie geschützt? Und ich füge voll hüpfender Kraft noch die Faulheit dazu.
Welchen Einfluss hat die Digitalisierung auf die Kreativität der Menschen?
Kreativität wird das Einzige bleiben, wodurch sich der Mensch von Maschinen unterscheidet. Hier geht es nicht um Konkurrenz oder besser/schlechter. Es geht immer um das eigene Denken, die eigene Kreativitätsstrategie, den eigenen Mut, das eigene Vertrauen zu sich selbst.
Der kluge, spielerische, verträumte, ungerichtete Einsatz digitaler Tools, Apps, Programme, erhöht die Möglichkeiten zu experimentieren, Gedanken auszuprobieren, eigene Fähigkeiten zu trainieren, Prototypen zu denken, das eigene Zeichnen wieder hervorzuholen, musikalische Gedankenblitze zu notieren. Das glorreiche Scheitern dabei macht viele Türen auf. Ich muss sie nur bemerken. Es sind Spielmöglichkeiten, die das eigene Probieren provozieren. Es sind Abenteuerflächen, auf denen man mit dem Zufall um die Wette gestalten kann.