Krisenursache oder Krisenauslöser?

Viele Unternehmen befinden sich in einer Krise und müssen einen Turnaround-Prozess vollziehen. Das gelingt nur, wenn die Problemursachen ermittelt werden.

Aktuell befinden sich Corona-bedingt viele Unternehmen in einer existenziellen Krise, von denen noch vor wenigen Monaten alle Stakeholder dachten: Das Unternehmen ist kerngesund. Insofern unterscheidet sich die Ist-Situation von »normalen« Zeiten. In ihnen sind existenzgefährdende Krisen meist das Resultat eines längerfristigen Prozesses, in dem im Top-Management allmählich die Erkenntnis reift: Wir müssen einen Turnaround vollziehen.
In der Regel ist der Anlass hierfür ein betriebliches Problem wie

  • der Umsatz sinkt (Absatz- und Umsatzkrise)
  • die (Fix-)Kosten sind zu hoch (Kostenkrise)
  • die Finanzierung des laufenden Geschäfts ist bedroht (Finanz- und Liquiditätskrise) oder
  • das Management ist nicht handlungsfähig (Managementkrise).

Managementkrisen

Analysiert man die Ursachen, warum Unternehmen in einer Existenzkrise stecken, zeigt sich oft folgender Verlauf: Aus einer Managementkrise erwuchs eine strategische Krise. Diese führte zu einer Absatz- und Umsatzkrise, die wiederum zu einer Ertrags- und Liquiditätskrise führte, die ihrerseits die Existenzkrise auslöste. Exemplarisch ließ sich dieser Verlauf bei vielen Automobilindustrie-Zulieferern beobachten, die in jüngster Zeit einen Personalabbau oder gar eine Insolvenz verkündet haben. Sie machten sich in der Vergangenheit oft in einem zu hohen Maße abhängig von zwei, drei Schlüsselkunden und bestimmten technischen Problemlösungen. Und diese »strategische Krise« führte – schon vor Corona – zu einer Absatz-, Ertrags- und Liquiditätskrise, die vereinzelt zu einer Existenzkrise wurde.

Corona als Brandbeschleuniger

Ein solches Alarmsystem hätte bei der Covid-19-Pandemie in den meisten Unternehmen jedoch versagt, denn: Mit diesem unvorhergesehenen Ereignis rechnete (fast) niemand. Also war es auch nicht in den Alarmsystemen vorgesehen. Deshalb ist aktuell die Gefahr groß, dass Unternehmen, die in eine existenzielle Krise geraten, die Ursache hierfür allein in Corona sehen und eine tiefer gehende Ursachenforschung unterbleibt – ein Phänomen, das man zum Beispiel bei nicht wenigen Automobilindustrie-Zulieferern beobachten kann. Beschäftigt man sich jedoch intensiver mit der Frage, warum manche Unternehmen ein- und derselben Branche in eine existenzielle Krise gerieten und andere nicht, dann zeigt sich oft: Die Covid-19-Pandemie war zwar der Auslöser der Krise, jedoch nicht deren (alleinige) Ursache. Sie wirkte wie ein Brandbeschleuniger, der latent vorhandene Probleme offen zutage treten ließ – sei es im Bereich Finanzen (z. B. Eigenkapital), Marktbearbeitung (z. B. Kundenstruktur) oder Innovation (z. B. Digitalisierung, Produktentwicklung). Deshalb werden Unternehmen, die vorschnell Covid-19 als alleinigen Verursacher ihrer aktuellen Existenzkrise ausmachen, diese nicht erfolgreich meistern. Auf die erste Existenzkrise wird vielmehr eine zweite folgen, weil die wahren Ursachen nicht beseitigt wurden.

Verdeckte Existenzkrise

Befindet sich ein Unternehmen in einer Existenzkrise, ist in der Regel seine Liquidität bedroht. Also gilt es diese zunächst wieder herzustellen, damit das Unternehmen zahlungsfähig bleibt. Das haben viele Unternehmen in den Monaten nach dem Lockdown auch mit Staatshilfe getan. Hierdurch wurde ihre existenzbedrohende Ist-Situation entschärft, aber nicht aufgehoben. Sie wird offen zutage treten, wenn die staatlichen Subventionen entfallen.
Dann dürfte die bisher verdeckte Krise meist schwer zu lösen sein, denn: Befindet sich ein Unternehmen (beispielsweise, weil sein Geschäftsmodell überholt ist) in einer akuten Existenzkrise, sind potenzielle Geldgeber nur noch bedingt bereit, ihm die nötigen Finanzmittel zur Verfügung zu stellen, weil sie wissen: Die angestrebte Sanierung erfordert Zeit und sie wird den größten Teil der Mittel verschlingen. Ähnlich verhält es sich bei vielen Lieferanten. Sie sind oft nur gegen Vorkasse zu einer Zusammenarbeit bereit, sofern kein in ihren Augen überzeugendes Konzept vorliegt, wie das Unternehmen wieder in die Erfolgsspur findet.

Problemwurzeln ermitteln

Deshalb ist der erste Sanierungsschritt stets eine fundierte Analyse, warum das Unternehmen in der Krise steckt. Das heißt, sich Fragen stellen wie: Warum werden die »Problemlösungen« des Unternehmens nicht mehr nachgefragt? Zum Beispiel, weil sie zu teuer sind? Oder weil sie technisch veraltet sind? Oder weil der Service nicht stimmt? Oder weil …? Hierauf aufbauend gilt es dann beispielsweise zu ermitteln, warum die Produkte zu teuer sind.
Erst durch dieses konsequente Nachfragen gelangt man zu den eigentlichen Problemursachen. Doch dies allein genügt nicht, um nachhaltige Problemlösungen zu entwerfen. Wichtig ist auch, sich zu fragen: Warum wurde das Problem nicht früher erkannt und gelöst? Zum Beispiel, weil ein Alarmsystem fehlt? Oder weil dem Unternehmen die nötige Kompetenz hierfür fehlt? Eine fundierte Analyse der Krisenursachen gelingt Unternehmen in der Regel nur mit externer Unterstützung, denn: Das nachfragende Bohren in der Ist-Situation und Historie des Unternehmens, um die Problemwurzeln zu ermitteln, ist ein schmerzhafter Prozess. In ihm werden auch Versäumnisse in der Vergangenheit ans Licht gezerrt. Deshalb sind mit der Sanierung eines Unternehmens meist auch personelle Wechsel auf der Managementebene verbunden.

Ein Sanierungskonzept erstellen

Liegen die Analyseergebnisse vor, kann ein Sanierungskonzept erstellt werden. In ihm werden die Maßnahmen, mit denen das Unternehmen seine Markt- und Wettbewerbsfähigkeit wiederherstellen möchte, definiert, quantifiziert, budgetiert und terminiert. Das Konzept dient als Grundlage für das Sanierungsgutachten. In dieses Gutachten fließen zahlreiche in- und externe Faktoren ein, wie zum Beispiel die Attraktivität des Marktes, dessen künftiges Geschäftsmodell und die Geschäftsrisiken.

Den Turnaround erreichen

Aufgrund des Sanierungsgutachtens entscheiden die Kapitalgeber, ob und wenn ja unter welchen Bedingungen sie dem Unternehmen die nötigen Finanzmittel zur Verfügung stellen. Danach kann bei einem positiven Bescheid die eigentliche Sanierung beginnen, deren wichtigstes Ziel das Erreichen des Turnarounds ist. Stellt das Management eines Unternehmens fest »Wir haben den Turnaround geschafft«, bedeutet dies: Das Unternehmen befindet sich wieder in der Erfolgsspur. Der Turnaround ist somit ein zentraler Meilenstein in dem Change-Prozess, der auf die Sanierung des Unternehmens und die Wiederherstellung seiner Wettbewerbsfähigkeit abzielt. Um diesen Meilenstein zu erreichen, ist meist ein Bündel von Maßnahmen nötig, die zum Beispiel auf eine Senkung der Fixkosten, eine Steigerung der Produktivität, eine Wiederherstellung der Wettbewerbsfähigkeit und ein Sicherstellen der Liquidität abzielen.

Zuversichtlich in die Zukunft

Gemessen wird das Erreichen des Turnarounds mittels vorab definierter Kennzahlen wie zum Beispiel Cashflow, Umsatz, Rendite, Durchlaufzeiten. Werden diese erreicht, bedeutet dies aus Change-Management-Warte: Das Unternehmen hat das Tal der Tränen durchschritten. Es kann wieder hoffnungsfroh in die Zukunft blicken, sofern es den eingeschlagenen Kurs beibehält. Dies ist jedoch nur der Fall, wenn in dem Turnaround-Prozess die wahren Krisen- bzw. Brandursachen beseitigt wurden und nicht nur der Brandbeschleuniger Corona bekämpft wurde.

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kraus

Gastautor
Georg Kraus
ist geschäftsführender Gesellschafter der Unternehmensberatung Dr. Kraus & Partner, Bruchsal, die unter anderem eine Ausbildung zum Agile Coach und Transformation Consultant anbietet.
www.kraus-und-partner.de