Junge Menschen für eine Ausbildungsstelle im eigenen Unternehmen zu begeistern, ist längst nicht mehr so einfach. Und sie später auch zu halten, ist besonders schwierig.
Lehrlinge auszubilden, hat für Unternehmen zahlreiche Vorteile. Betriebe statten zukünftige Fachkräfte dabei mit genau den Skills aus, die sie für ihre Wertschöpfung benötigen. Die Lehre geht aber auch mit einem hohen Aufwand einher. In administrativer, organisatorischer, zeitlicher und auch finanzieller Hinsicht, ist ein Unternehmen währenddessen stark gefordert. Zahlen aus einer öibf-Betriebsbefragung zeigen beispielsweise, dass die durchschnittlichen Nettobeträge während aller drei Ausbildungsjahre negativ sind. Das heißt, auszubilden zahlt sich für Betriebe nur langfristig gesehen aus. Nämlich dann, wenn die Lehrlinge anschließend auch im Unternehmen verbleiben. Das ist aber nur bei einem guten Drittel der Fall. Einer auf Hauptverbandsdaten der österreichischen Sozialversicherungsträger basierenden Auswertung zufolge sind zwei Jahre nach Abschluss nur mehr 37 % der ausgebildeten Lehrlinge im selben Betrieb beschäftigt. Die Devise scheint hier: Lehre machen, noch etwas Berufserfahrung sammeln, auf zu neuen Ufern.
Bindung frühzeitig aufbauen
Wie gelingt es einem Unternehmen also, dieses Denkmuster zu durchbrechen und Lehrlinge dazu zu motivieren, ihre Karriere im Ausbildungsbetrieb zu verfolgen? Studien zeigen: Ob sich Lehrlinge entscheiden, nach ihrer Ausbildung im Betrieb zu bleiben, hängt insbesondere von den betrieblichen Rahmenbedingungen ab. Und die lernen die Lehrlinge bereits während ihrer Ausbildung gut kennen. Um also der Fluktuation entgegenzuwirken, ist es sinnvoll, das Commitment der Lehrlinge schon von Beginn an zu fördern. Aus der Forschung weiß man, dass Mitarbeiterbindung grundsätzlich auf drei Ebenen geschehen kann: kalkulatorisch, normativ und affektiv. Sind Mitarbeiter kalkulatorisch gebunden, dann bleiben sie nur im Unternehmen, wenn die eigenen Kosten für einen Jobwechsel zu hoch sind. Da Lehrlinge meist aber einer jüngeren Generation angehören, noch ungebunden und damit flexibel sind, findet diese Bindung in der Zielgruppe eher weniger statt. Von einer normativen Bindung spricht man, wenn Mitarbeiter sich moralisch verpflichtet fühlen, das Unternehmen weiterhin zu unterstützen. Dies kann im Kontext von Lehrlingen greifen, ist aber nicht die stärkste Bindungsform. Studienergebnisse zeigen, dass insbesondere die Bindung auf affektiver Ebene zu einem dauerhaften Verbleib im Unternehmen führt. Als affektives Commitment wird bezeichnet, wenn sich Mitarbeiter emotional stark mit dem Unternehmen identifizieren können. Bei Lehrlingen ist das affektive Commitment in der Regel noch bedeutender, da sie in ihrem Ausbildungsbetrieb oftmals die ersten Arbeitserfahrungen sammeln. Insofern sind viele Erlebnisse für sie noch »originär« und damit besonders einprägsam.
Schlüsselfaktor: Team-Integration
Der erste Schritt ins Berufsleben ist für Lehrlinge aber auch ein vulnerabler Prozess, denn er kann mit vielen Unsicherheiten einhergehen. Die Umstellung vom Schulalltag auf den Berufsalltag ist komplex. Veränderungen finden auf struktureller Ebene statt (z. B. Pausenkultur im Schulalltag vs. Eigenständigkeit im Job) und auch auf interpersoneller Ebene (z. B. Umgang mit Mitschülern und Lehrern vs. Umgang mit Kollegen und Vorgesetzten). Dazu können Generationenkonflikte kommen, die den Lehrlingen vielleicht gar nicht bewusst sind. Ist es für sie beispielsweise normal, Pausen allein am Handy mit Social Media zu verbringen, kann das bei älteren Kollegen zu Irritationen führen. Um eine Adaption in den neuen Kontext möglich zu machen, benötigen Lehrlinge ein unterstützendes Umfeld. Hier spielt zum einen eine offene Kommunikation und vertrauensvolle Zusammenarbeit mit den Ausbildern eine große Rolle. Zum anderen ist insbesondere das jeweilige Team, in das der Lehrling eingebunden ist, gefragt. Wichtig sind Offenheit, die neuen Kollegen aufzunehmen, zu unterstützen und in gemeinsame Aktivitäten zu integrieren sowie die Bereitschaft, Wissen weiterzugeben und Erfahrungen mit ihnen zu teilen. Dies wird auch von wissenschaftlichen Studien gestützt, die Teamintegration als einen der bedeutenden Parameter bei der Bildung von affektivem Commitment angeben.
Onboarding nutzen
Unternehmen sind also aufgerufen, die Chance auf eine gelungene Integration der Lehrlinge schon von Beginn an zu forcieren. Welche Möglichkeiten sich hier im Rahmen eines strukturierten Onboardings bieten, wurde in einer Abschlussarbeit am Studienbereich Personal & Organisation der FHWien der WKW untersucht. Die Ergebnisse der qualitativen Studie [von Selinar Führer] zeigen, dass in der Einstiegsphase insbesondere folgende Faktoren wichtig sind:
- Aufbau einer guten Kommunikation
- Information über Betrieb und Aufgabenbereich
- Klärung von Rollenverständnis und Erwartungen
Je transparenter und offener schon während des Onboardings miteinander umgegangen wird, desto eher kann eine vertrauensvolle Arbeitsbasis geschaffen werden. Die untersuchten Unternehmen unterstützen daher die genannten Faktoren durch vielfältige Maßnahmen, die im Rahmen des Onboarding-Prozesses möglich sind. Gute Ergebnisse erzielen dabei in der Voreintrittsphase sogenannte Schnuppertage. Während des Schnupperns erhalten Lehrlinge eine realistische Vorstellung von der Ausbildung und der Unternehmenskultur. Die Eintrittsphase kann durch Welcome Days sowie Kennenlernworkshops positiv begleitet werden. Die Begegnungsphase wird in den untersuchten Unternehmen durch Lehrlingsnetzwerke und auch Mentoring-Programme sinnvoll unterstützt.
Besonders bewährt hat sich in den untersuchten Unternehmen das Konzept der Job Rotation. Da die Lehrlinge dabei während der Ausbildungszeit verschiedene Abteilungen durchlaufen, entwickeln sie bereits frühzeitig eine gewisse Präferenz dafür, wo sie nach Abschluss der Ausbildung gerne Fuß fassen möchten.
Wichtig ist, dass die einzelnen Maßnahmen authentisch sind. Das heißt, sie sollten auch immer zum jeweiligen Unternehmen passen. Betriebe, die ihren Lehrlingen auf Augenhöhe begegnen, schaffen die besten Voraussetzungen, sie gut in das Unternehmen hineinwachsen zu lassen und sie langfristig zu binden. Somit stellt insbesondere Wertschätzung einen entscheidenden Faktor zur späteren Wertschöpfung dar.