Lehrlinge finden und halten

Immer wieder klagen Unternehmen darüber, dass sie nur schwer passende Lehrlinge finden. Allerdings gibt es auch einige Unternehmen, die damit keine Probleme haben. Welche Möglichkeiten es gibt und wie auch Ihr Unternehmen Lehrlinge finden kann, lesen Sie in diesem Artikel.

In Österreich gab es 2018 laut Statistik der WKO rund 108 000 Lehrlinge, aufgeteilt auf alle Sparten. Das entspricht einem Zuwachs von 1,2 % im Vergleich zu 2017.
Die meisten davon, nämlich rund 42 %, sind in der Sparte Gewerbe und Handwerk beschäftigt, gefolgt von der Sparte Industrie.
Ein Zuwachs ist in allen Bundesländern außer dem Burgenland zu verzeichnen. Die beliebtesten Lehrberufe unterscheiden sich stark bei den Geschlechtern. Die 3 häufigsten Lehrberufe bei Burschen waren 2018: Metalltechnik, Elektrotechnik und Kraftfahrzeugtechnik.
Bei den Mädchen steht der Lehrberuf Einzelhandel an erster Stelle, gefolgt von Bürokauffrau auf Platz 2 und Friseurin und Perückenmacherin ist der dritthäufigste Lehrberuf.

Situation der Lehrlinge

Laut AMS schlugen 2018 rund 40 % aller Jugendlichen den dualen Ausbildungsweg einer Lehre ein. Nicht alle finden dabei einen Ausbildungsplatz in ihrem gewünschten Tätigkeitsfeld. Andererseits finden manche Unternehmen in gewissen Branchen nicht genügend Lehrlinge.
Außerdem weist das Angebot an Lehrstellen eine hohe regionale Streuung auf: In der Westregion liegt die Zahl der angebotenen betrieblichen Lehrplätze über jener der an einer Lehrausbildung Interessierten; in der Ostregion ist es gerade umgekehrt.
TRAiNiNG hat Experten und Anbieter von Lehrlingsseminaren über die aktuelle Situation in Österreich befragt:

Thomas Weinberger (Geschäftsführer il Aus- und Weiterbildung GmbH): »Viele Unternehmen plagen sich zur Zeit sehr, offene Lehrstellen zu besetzen und passende Lehrlinge zu finden. Teilweise gibt es einfach zu wenig Bewerber, teilweise liegt es auch an fehlenden Basiskompetenzen der Jugendlichen.
Gleichzeitig gewinnt eine qualitativ hochwertige Lehrlingsausbildung mehr und mehr Bedeutung für die Unternehmen. Ausbildungspläne werden optimiert, Zusatzangebote geschnürt. Kurz: die Lehrlingsausbildung wird durchwegs sehr ernst genommen. Wurstsemmel holen und zusammenkehren als tagesfüllende Beschäftigung für Lehrlinge war gestern. Speziell die Lehrlingsausbilder sind mit viel Herzblut bei der Sache und sich ihrer Verantwortung bewusst.«

Bernd Ahrens (Gründer Bildungsmanufaktur Österreich): »Auf der einen Seite sind Fachkräfte und Spezialisten am besten und kostengünstigsten aus dem eigenen Nachwuchs zu entwickeln, auf der anderen Seite ist es eine wahrlich große Herausforderung, motivierte und engagierte junge Menschen dahin zu entwickeln. Die meisten Unternehmer wissen um die Wichtigkeit der dualen Ausbildung aus den eigenen Reihen, doch die Lawine an ›Herausforderungen‹ überrollt diese Unternehmer oft.«

Zur Situation der Lehrlinge zählt auch das generelle Image des Lehrberufs. Das war noch vor 10 bis 20 Jahren eher ein bescheidenes, doch es hat sich gewandelt. In einer willhaben-Umfrage von 2018 unter 3 500 Befragten gaben 47,2 % an, dass das Image in den vergangenen Jahren besser geworden ist. 42,2 % aller Befragten sind der Meinung, dass die Berufsaussichten mit Lehre in den vergangenen Jahren besser geworden sind. Jene, die eine Lehre gemacht haben zu 43,4 %, jene, die sicher eine Lehre machen wollen sogar zu 52,5 %. Rund 24 % aller Befragten geben hingegen an, dass die Berufsaussichten aus ihrer Sicht schlechter geworden seien.

Branchenvergleich

Wie schon weiter oben erwähnt, gibt es sowohl einen regionalen als auch einen branchenspezifischen Unterschied, was das Angebot und die Nachfrage nach Lehrstellen anlangt.
Thomas Weinberger: »Manche Branchen tun sich tatsächlich leichter, passende Lehrlinge zu finden. Das liegt auch daran, dass das Image mancher Berufsgruppen bei den Jugendlichen besser ist.«

Die bestbezahlten Lehrberufe sind laut der­Standard.at das Baugewerbe und die Bauindustrie, deutlich weniger verdienen Lehrlinge als Friseur oder Floristen.
Der Bedarf an Fachkräften lässt in manchen Branchen aufgrund der guten Jobaussichten die Nachfrage nach Lehrstellen ebenfalls nach oben schießen. Daher sind es vor allem technische Berufe, die die Beliebtheitsskala von Lehrlingen anführen.

Häufig wissen die jungen Erwachsenen noch sehr wenig über die Lehrberufe. Immer mehr Unternehmen organisieren daher Infotage und laden potenzielle Lehrlingsanwärter ein.
Bernd Ahrens: »Die Positionierung des Unternehmens und Unternehmers sowie das klare Aufzeigen des Berufsbildes und welche Wirkung es in Zukunft auf die Gesellschaft hat, macht den Unterschied. Die Firmen können sich auf die Berufsspartenvertreter nicht mehr verlassen. Je schwerer die emotional aufgeladenen Bilder in den Köpfen der Auszubildenden sind, umso schwerer die Besetzung von offenen Stellen.«

Initiativen der Unternehmen

Um die Anzahl an Bewerbern zu erhöhen, müssen Unternehmen, besonders in weniger attraktiven Branchen, selbst aktiv werden und sich zusätzliche Angebote einfallen lassen, um sich von anderen Arbeitgebern abzuheben.
Bernd Ahrens: »Personalsuche ist Marketing. Wenn Unternehmen das verstehen und beherzigen, ist die passende Stelle mit dem passenden Lehrling ›leichter‹ zu besetzen. In der Außenwirkung muss es ›sexy und cool‹ sein, in diesem Unternehmen zu arbeiten, und in der Innenwirkung muss dieses Versprechen eingehalten und erlebbar werden. Die Unternehmen müssen dorthin in der Personalsuche, wo sich die Zielgruppe aufhält. Eine gewöhnliche Stellenanzeige in den Portalen verpufft, hier ist Kreativität gefragt und hat mit Priorisierung der Wichtigkeit zu tun.«

Möglichkeiten, kostengünstig auf sich als Lehrbetrieb aufmerksam zu machen, gibt es genug. Ein paar Beispiele: Ein witziger Spruch auf den Firmenwagen der Unternehmen bietet eine nahezu kostenlose Werbemöglichkeit. Auch die Wiener Polizei hat eine Zeit lang auf ihren Einsatzfahrzeugen nach neuen Mitarbeitern gesucht. dm drogeriemarkt hat in Deutschland auf den Kassenbons einen Hinweis gedruckt, dass Lehrlinge gesucht werden.
Eine weitere Möglichkeit ist, die eigenen Mitarbeiter und bestehende Lehrlinge zu motivieren, im Freundeskreis »anzuwerben«, so wie es z. B. Bosch Österreich macht (siehe dazu Artikel ab Seite 44). Schnuppertage sind eine weitere Chance, um auf sich als Ausbildungsbetrieb aufmerksam zu machen.
Und natürlich ist es sinnvoll, bei technischen Berufen auch gezielt und bewusst Frauen anzusprechen bzw. bei »eher frauentypischen Berufen« gezielt an die Männer zu appellieren. Hier eröffnet sich für manche Betriebe eine Zielgruppe, die nicht zu unterschätzen ist.

Thomas Weinberger rät dazu, als Arbeitgeber etwas flexibler zu werden: »Oftmals ist es so, dass potenziell passende Bewerber die formalen Kriterien bei Aufnahmetests nicht schaffen. Hier bietet sich an, nochmals genau hinzuschauen und verstärkt die Persönlichkeit und die Motivation der Jugendlichen ins Kalkül zu ziehen. Manchmal ergibt es Sinn, das eine oder andere Defizit im schulischen Bereich durch gezielte Fördermaßnahmen auszugleichen, wenn die Einstellung des Bewerbers passt. Frei nach dem Motto: ›Hire for attitude, train for skills.‹«

Genau dazu gibt es mittlerweile ein großes Angebot an Lehrlingsseminaren, die meist von privaten Anbietern abgehalten werden. Dabei geht es sowohl darum, schulische Defizite auszugleichen, wie z. B. Lesen und Schreiben, als auch darum, bewusst zusätzliche Kompetenzen, die weder im Betrieb noch in der Berufsschule angeboten werden, zu fördern.
Gefragt sind dabei vor allem Kommunikationsseminare, Fremdsprachenseminare (siehe Artikel auf Seite 38), aber auch verschiedenste Persönlichkeitsseminare, die den jungen Menschen bei ihrer Entwicklung helfen können.
Das hilft nicht nur während der Lehrzeit, sowohl dem Lehrling als auch dem Betrieb, sondern ist ein weiterer Punkt hin zu einem positiven Image als attraktiver Arbeitgeber.

Lehrlinge halten

Selbst wenn die Lehrlinge einmal im Betrieb sind, heißt das noch lange nicht, dass sie bleiben und die Lehre zu Ende machen bzw. nach Beendigung der Lehrzeit auch im Betrieb bleiben. (Siehe dazu auch den Arbeitsrechtsartikel ab Seite 52.) Laut einer ÖIBF-Studie (Österreichisches Instituts für Berufsbildungsforschung) aus dem Jahr 2017 fühlen sich rund 70 % der Lehrlinge im Betrieb wohl. Die häufigsten Probleme, die sich ergeben, sind Konflikte mit Mitarbeitern oder Vorgesetzten bzw. dem Lehrlingsausbilder.
Ungefähr ein Fünftel der Lehrlinge möchten von sich aus nach Abschluss der Lehrzeit nicht im Betrieb bleiben und lieber bei einem anderen Arbeitgeber unterkommen. Für die Betriebe ist das bitter, denn einen Lehrling auszubilden kostet in Summe weniger als das Rekrutieren fertiger Fachkräfte. Experten haben berechnet, dass ein Lehrling bei einer 3,5-jährigen Lehre dem Unternehmen rund 85.700,– € brutto kostet. Der Großteil entfällt auf Personalkosten. Aber die Netto-Kosten sehen ganz anders aus. Wenn man nämlich Basisförderungen durch den Staat und die produktive Leistung des Lehrlings miteinberechnet, kommt man auf durchschnittliche Kosten von 9.200,– € für die Dauer der Lehre. Demgegenüber stehen die Kosten für das Einstellen einer fertigen Fachkraft. Diese Kosten belaufen sich bei ausbildungsaktiven Betrieben auf knapp 10.400,– € und bei nicht-ausbildungsaktiven Betrieben auf mehr als 15.000,– €. Bei diesen Kosten werden nur interne Kosten wie Einarbeitungsaufwand bedacht, nicht die eigentlichen Rekrutierungskosten für Stelleninserate und den kompletten Recruitingprozess. (Quelle: die Presse vom 18. 11. 2017)

Was können Unternehmen nun tun, um Lehrlinge zu halten und zu motivieren?
Thomas Weinberger: »Engagierte Lehrlinge wollen ernstgenommen, gefördert und gefordert werden und mehr sein, als nur ein ›Beiwagerl‹. Hier zum Beispiel schon früh, im Kleinen, Verantwortung zu übertragen und immer wieder den Sinn der aktuellen Tätigkeit aufzuzeigen, hält Lehrlinge bei der Stange. Speziell für Lehrlinge in der zweiten Hälfte der Lehrzeit ist es auch wichtig, Perspektiven im Unternehmen und mögliche Karriere- und Entwicklungswege nach Abschluss der Lehre zu kennen, um sich nicht frühzeitig innerlich zu verabschieden.«

Bernd Ahrens: »Authentische Marken- und Unternehmensführung ist das Schlüsselwort. Von Innen nach Außen kommunizieren, erst das Warum, dann das Wie und zuletzt das Was. Erlebbare Werte und ein integrer Charakter sind wichtiger als der monetäre Ausgleich. Den jungen Menschen das Gefühl und Vertrauen vermitteln, dass sie einen unschätzbaren Wert im Unternehmen haben.«

Wichtig ist den meisten Lehrlingen Stabilität und Jobsicherheit, klare Strukturen und Ansagen. Auch seien, so der Jugendforscher Bernhard Heinzlmaier, Jugendliche sehr stark extrinsisch-materiell motivierbar. 92 % der befragten Lehrlinge gaben an, dass ihnen Freizeit besonders wichtig ist, und sie primär deshalb arbeiten gehen, um sich verschiedene Freizeitaktivitäten leisten zu können. Dennoch ist die allerwichtigste Erwartung, die Lehrlinge an einen Lehrberuf stellen, eine angenehme Arbeitsatmosphäre und gute Stimmung am Arbeitsplatz.

Lehrlingsausbilder

Jedes Unternehmen, dass Lehrlinge ausbilden möchte, braucht zumindest einen offiziellen Ausbilder, der die Ausbilderprüfung abgelegt hat. Diese Person muss nicht zwingend mit den Lehrlingen arbeiten. Er muss allerdings dafür sorgen, dass der Lehrling den kompletten Stoff laut Lehrplan auch tatsächlich lernt.
Die beiden von uns befragten Experten haben abschließend noch hilfreiche Tipps für Lehrlingsausbilder.
Bernd Ahrens: »Das Bewusstsein und Wissen darüber, dass nur wir uns verändern können und mit unserer Entwicklung unser Umfeld unwiderruflich beeinflussen, ist in der Persönlichkeitsentwicklung der erste Schritt. Wir lernen ausschließlich durch Vorbilder und Nachahmen unseres Umfeldes. Unsere Kinder, die Lehrlinge und Mitarbeiter sind ein Spiegel unserer selbst, somit ist meine wichtigste Empfehlung und der erste Schritt, selbst das beste Vorbild zu sein, das ich sein kann und jeden Tag daran zu arbeiten. Ich stelle mir 3 bis 4 Mal am Tag die Frage: ›Tue ich die richtige Sache, zum richtigen Zeitpunkt, mit den richtigen Leuten, richtig?‹«

Thomas Weinberger: »Der Grat zwischen langweiliger Routine und Überforderung ist für Lehrlinge oft sehr schmal. Da als Ausbilder dran zu sein und die ›Optimal Challenge‹ für und mit den Lehrlingen zu finden, das ist der Weg zu rascher, nachhaltiger Entwicklung mit Freude und Motivation.«

Fazit
Das Image eines Lehrabschlusses wird langsam aber doch besser, Unternehmen verstehen immer mehr, wie dringend sie Fachkräfte brauchen, und dass es sinnvoll ist, diese selbst auszubilden. Durch kreative Kampagnen und einen positiven und fördernden Umgang mit den Lehrlingen ist es möglich, die Anzahl an interessierten Bewerbern im eigenen Unternehmen zu steigern.

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