Lernen im agilen Zeitalter

Dieser Artikel beschreibt, wie die Realität von Lernen heutzutage in Großunternehmen aussieht.

Oft sehen wir in den verschiedensten Unternehmen, dass es eine Abteilung gibt, die im Alleingang für die Konzeption von Weiterbildungsprogrammen verantwortlich ist. Diese werden dann durchgeplant, wobei ein starker Fokus auf die Vermittlung von abstrakten Modellen gelegt wird.
Was ist das Problem daran? Erstens: Der Arbeitskontext ist zu komplex, als dass eine Abteilung wissen kann, was die tatsächlichen Herausforderungen der Mitarbeiter in der Praxis sind. Zweitens: Die Veränderungsgeschwindigkeit ist mittlerweile zu hoch, als dass die Weiterbildungen über längere Zeit Gültigkeit beanspruchen könnten. Und drittens: Wir Menschen sind keine rein rationalen Wesen, die nur anhand von theoretischen Modellen lernen, sondern brauchen auch »Herz« und »Hand«, um uns zu ändern.

Wasserfall vs. Kreislauf

Obwohl es auf den ersten Blick sehr einleuchtend scheint, einen Lernexperten mit langjähriger Erfahrung zu engagieren, gehört dieser Ansatz der veralteten Denkweise des Taylorismus an. Diese sieht Menschen als am Fließband arbeitende Maschinen. Lernen ähnelt hier einem Wasserfall, bei dem von Beginn bis Ende eine Sache kausal zur nächsten führt.
In der Theorie sieht das z.B. so aus:

1. Pre-Reading X führt zu
2. Aha-Erlebnis, führt zu
3. Interesse an mehr, führt zu
4. aktiven Einbringen im Seminar, führt zu
5. Ausprobieren im Alltag, führt zu
6. besseren Unternehmensergebnissen, …

Dieser Ansatz ist nicht ganz von der Hand zu weisen. Modelle und Firmen haben sich auf die Optimierung dieses Ansatzes spezialisiert. Beispielsweise hat Donald Kirkpatrick mit dem »New World Model« den wertvollen Beitrag geleistet, dass ein Weiterbildungsprogramm »von hinten nach vorne« designt werden muss, also man vom gewünschten Ziel die notwendigen Verhaltensweisen usw. ableiten muss und nicht umgekehrt. Das hat seine Richtigkeit. Dennoch bauen diese Ansätze auf der Annahme auf, dass Lernen planbar wäre.
Richtig ist jedoch: Lernen ist ein zutiefst komplexes Problem und damit nicht planbar. Wann auch immer wir es mit Menschen zu tun haben, vor allem mit Wissensarbeitern, befinden wir uns im komplexen Cynefin-Quadranten. Damit verlieren Experten ihre Gültigkeit. Es gibt keine »Good Practices« mehr, denen man folgen könnte, sondern nur noch »Emergent Practice«. Das bedeutet, es braucht einen iterativen, kollaborativen und ganzheitlichen Zugang zum Lernen. Die Metapher für das Lernen – besonders im digitalisierten 21. Jahrhundert – ist also nicht der Wasserfall, sondern der Kreis.

Die 3×3-Regel

Im Folgenden erfinden wir nichts Neues, sondern lassen die Wirkgesetze des Lernens für sich wirken. Was wir tun ist, drei Elemente des agilen Lernens, die bisher meist getrennt gesehen wurden, in ein stimmiges Bild zu bringen.

Element 1: 3 Prozessschritte
Die Agilität hat – in komplexen Situationen – die Iteration als den effizientesten Weg zum Ziel definiert. Das Mantra ist: Langes Planen ist Zeitverschwendung, weil sich der Kontext in Veränderung befindet. Effizienter ist, in kleinen Schritten zu gehen und in regelmäßigen Abständen neu den Blick auf das Ziel zu schärfen. Dies gilt fürs Projektmanagement (z. B. SCRUM) oder die Produktentwicklung (z. B. Design Thinking) genauso wie fürs Lernen: »Welche kleine Lerniteration brauche ich jetzt gerade, um meinen morgigen Termin besser als den gestrigen zu meistern?«

Sehen wir uns diese – ja zutiefst menschliche – Bewegung bildlich an: Diese 3 Prozessschritte bilden den äußeren Rahmen des MDI Lernkreises: Planen, Handeln & Evaluieren.
Element 2: 3 Wirkebenen
Vom Laufen im Kreis wird man noch nicht automatisch besser. Wir Menschen sind lebendige Wesen und brauchen Stimulation auf drei Wirkebenen, welche nur als stimmiges Ganzes Veränderung ergibt. Meist unbewusst, aber dennoch in jedem Lernprozess vorhanden, sind diese drei Wirkebenen des Lernens:

MDI_Wirkebenen
1. Gehirn: Verstehen, warum und wie etwas funktioniert
2. Herz: Fühlen, dass die aktuelle Situation nicht gut ist, bzw. eine andere besser wäre
3. Hand: Probieren – Nur durchs Tun verändert sich die Welt
Tipp: Die 3 Wirkebenen sind nicht chronologisch aufbauend, sondern Lernen kann an jedem Punkt starten. Wichtig ist nicht wann, sondern dass alle drei stimuliert werden. Denke an einen 3-beinigen Hocker: Fehlt ein Bein – egal welches – kippt der Hocker. Zu dritt schaffen sie Stabilität.
Was passiert, wenn eines der drei »Beine« fehlt?
Lerner ohne »Gehirn« (kognitive Einsicht) sind im besten Fall »blinde Wohltäter« – und im schlechtesten vergeudetes Potenzial, weil sie nicht sehen, wann, wie und warum gehandelt werden soll.
Lerner ohne »Herz« (emotionales Angesprochensein) sind im besten Fall »rationale Optimierer« und im schlechtesten narzisstische Manipulatoren.
Lerner ohne »Hand« (praktische Erfahrung) sind im besten Fall »wohlwollende Theoretiker« und im schlechtesten »abgehobene Besserwisser«.

Element 3: 3 Stakeholder
Im dritten Teil der 3×3-Regel geht es um die Stakeholder. Lernerfolg im Unternehmen ist nachgewiesenermaßen ein Gemeinschaftserfolg. Die Lernforschung zeigt klar, dass drei Stakeholder in Organisationen dafür entscheidend sind, dass Lernen tatsächlich funktioniert (vgl. Weinbauer-Heidel, Ibeschitz-Manderbach):
1. Lerner
2. Organisation (besonders HR & Führungskraft)
3. Trainer

  • Lerner: Die Lernenden tragen natürlich eine Hauptverantwortung für das Wechselspiel von Lernen und Anwenden. Dabei kommt es vor allem auf den eigenen Willen und das Selbstvertrauen an, den Inhalt kurz- und langfristig anzuwenden.
  • Organisation: Der Lernhebel der Organisation liegt vor allem im Zur-Verfügung-Stellen eines Systems, wie die kurz- und langfristigen Lernziele definiert und evaluiert werden können, an dem sich Lerner orientieren können.
  • Trainer: Die größten Hebel zum Lernerfolg auf Trainerseite sind das klare Vermitteln der Erwartungen, das Lehren von relevanten Inhalten, das Ermöglichen von aktivem Üben im Seminar und das Durchführen einer Umsetzungsplanung für die Anwendung des Gelernten im Arbeitskontext.

 

Der MDI Lernkreis

Zum Abschluss treten wir einen Schritt zurück und weiten unseren Blick wieder vom einzelnen Element zum großen Ganzen. Was sagt uns die 3×3-Regel? Sie bringt auf den Punkt, wie Lernen im agilen Umfeld funktioniert. Hier finden Sie alles in einem Bild zusammengefasst:
Die 3 Prozessschritte: Planen, Handeln, Evaluieren
Die 3 Wirkebenen: Gehirn, Herz, Hand
Die 3 Stakeholder: Lerner, Organisation, Trainer

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Achtung: Dieser Artikel spricht fast ausschließlich Ihr Gehirn an – nicht Ihr Herz oder Ihre Hand!
Überlegen Sie sich daher: Welche konkreten nächsten Schritte können Sie machen, um eine agilere Lernkultur in Ihrem Unternehmen zu etablieren?

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etzl_dominik

Gastautor
Dominic Etzl
ist Trainer und Solution Development ­Manager bei MDI sowie
Geschäftsleiter Metaforum International.
www.mdi-training.com