Mehr Flexibilität ist gefragt!

Viele Personalabteilungen haben noch nicht verinnerlicht, dass Fach- und Führungskräfte ein knappes Gut sind – zumindest zeigt sich dies nicht.

Herr Kraus, Sie fordern, dass die Personal- bzw. HR-Bereiche der Unternehmen noch viel flexibler werden müssen. Warum?

Weil gute Fach- und Führungskräfte aufgrund des demografischen Wandels inzwischen eine echte Mangelware sind, und die Anforderungen der Mitarbeiter an ihre Arbeit und Arbeitgeber sich geändert haben. Die Rahmenbedingungen der Personalarbeit haben sich sozusagen fundamental gewandelt.

Können Sie das konkretisieren?

Nehmen Sie beispielsweise die Personalsuche und -auswahl. Wenn Sie vor 15, 20 Jahren die Wochenendausgabe einer überregionalen Zeitung kauften, dann enthielt diese Hunderte Stellenanzeigen. Heute umfasst ihr Stellenteil nur noch drei, vier Seiten, weil die meisten Stellenanzeigen inzwischen im Internet veröffentlicht werden.

Unternehmen nutzen heute andere Medien und Kanäle zur Personalsuche als damals. Nur die Internet-Stellenportale?

Nein, auch die Social Media – und zwar abhängig von den Adressaten nicht nur solche Business-Portale wie LinkedIn und Xing, sondern auch Plattformen wie Instagram und Tiktok. Zudem hat die Direktansprache an Bedeutung gewonnen. Unter anderem, weil Plattformen wie Xing, LinkedIn und Gulp eine gezielte Suche und Ansprache von Personen mit einer bestimmten Qualifikation und in einer bestimmten Lebenssituation ermöglichen. Dies ist oft nötig, weil Unternehmen heute aufgrund des allgemeinen Fach- und Führungskräftemangels häufig die Erfahrung sammeln: Wenn wir eine Stellenanzeige schalten, sei es in Print- oder Online-Medien, dann melden sich, wenn überhaupt, nur eine Handvoll Leute. Oft melden sich gar keine Bewerber, die dem Anforderungsprofil entsprechen. Also müssen die Unternehmen andere Wege beschreiten, um mit den gewünschten Personen in Kontakt zu kommen.

Gilt das auch für die Suche von Fachkräften?

Ja, und zwar funktions- und branchenübergreifend. Wenn Unternehmen heute hoch qualifizierte Spezialisten suchen, dann sind wechselwillige Kandidaten oft noch schwieriger zu finden, als wenn es um das Besetzen einer Führungsposition geht. Deshalb nahm und nimmt die Direktansprache gerade bei Spezialisten stark zu – und zwar unabhängig davon, ob Handwerker, Techniker, ITler oder Ingenieure gesucht werden.

Haben die Personalabteilungen sich schon darauf eingestellt, dass sie immer stärker um die Gunst von Mitarbeitern mit gewissen Qualifikationen und Kompetenzen buhlen müssen?

Einige ja, die meisten nein. Vielen Personalabteilungen ist noch nicht klar, dass sie aufgrund der veränderten Rahmenbedingungen ihre Personalsuche- und -auswahlprozesse grundsätzlich überdenken und zum Teil neu definieren müssen. In der Praxis gehen viele Unternehmen, wenn sie hoch qualifizierte Spezialisten suchen, noch immer wie in der guten, alten Zeit vor: Sie schalten eine Stellenanzeige – print oder online. Dann sammeln sie drei, vier Wochen die eingehenden Bewerbungen. Danach setzen sich die Verantwortlichen zusammen und sichten die Unterlagen, um zu entscheiden, wen sie zum Vorstellungsgespräch einladen, womit eine weitere Woche verstreicht. Danach läuft die erste Gesprächsrunde, die zwei, drei Wochen dauert. Danach folgt eine zweite Gesprächsrunde mit den ganz heißen Kandidaten. Und, und, und … Das heißt, die Person, die letztlich ausgewählt wird, erhält nicht selten erst vier, fünf Monate, nachdem ihre Bewerbung beim Unternehmen eintraf, einen Anruf »Wir stellen Sie ein«. Und die Unternehmen sind dann völlig überrascht und enttäuscht, wenn zum Beispiel erwidert wird: »Tut mir leid, vor sechs Wochen habe ich einen Arbeitsvertrag bei einem anderen Unternehmen unterschrieben.«

Heißt das, den Unternehmen ist nicht ausreichend bewusst, dass die wirklich guten Kandidaten mit einer gefragten Qualifikation meist mehrere Eisen im Feuer, also Optionen haben?

Zumindest gestalten sie ihre Personalsuche- und -auswahlprozesse nicht so, dass sie mit hoher Wahrscheinlichkeit die Top-Kandidaten für sich gewinnen. Dazu gehört auch, dass ich das Vorstellungsgespräch mit heißen Kandidaten, die ich von einem anderen Unternehmen abwerben möchte, auch mal am Wochenende führe. Oder mich ins Auto setze, um mich nach Feierabend auf halbem Weg zu treffen. Diesbezüglich müssen die Unternehmen noch eine viel höhere Flexibilität entwickeln.

An welchen Punkten noch?

Bei der Bezahlung und der Arbeitsvertragsgestaltung; außerdem oft bei den Anforderungen, die sie an die künftigen Stelleninhaber stellen. Denn die »eierlegende Wollmichsau«, die sich Unternehmen zuweilen wünschen, gibt es auf dem Arbeitsmarkt meist nicht.

Wie beurteilen Sie mittel- und langfristig die Situation auf dem Arbeitsmarkt?

Der Wettbewerb um gute Fach- und Führungskräfte wird noch viel schärfer werden, da wir schlicht zu wenig Nachwuchskräfte haben – und zwar funktions- und branchenübergreifend. Darauf müssen die Unternehmen sich einstellen.

Heißt das auch, dass Sie der Auffassung sind, wenn Unternehmen ihren Personalbedarf nicht mehr decken können, sind sie selbst daran schuld?

Zuweilen ja. Nicht selten stecken hinter diesem Problem Versäumnisse bei der Personalarbeit in der Vergangenheit und eine mangelnde Bereitschaft, neue Wege zu gehen. Doch das ändert sich spürbar, weil der Handlungsdruck so hoch ist und weil in die Personal-Entscheider-Positionen in den Unternehmen immer häufiger Digital Natives rücken, die nicht nur bei der Personalsuche und -auswahl, sondern auch Personalentwicklung bereit sind, neue Wege zu gehen.

Inwiefern auch bei der Personalentwicklung?

Nun, wie viele und wie oft ein Unternehmen neue Mitarbeiter von extern rekrutieren muss, hängt auch davon ab, wie es im Bereich Aus- und Weiterbildung agiert und wie gut es ihm aufgrund seiner Kultur und Personalpolitik gelingt, gute Mitarbeiter an sich zu binden. Deshalb muss, wenn es darum geht, ein attraktiver Arbeitgeber zu sein oder mittel- und langfristig auch zu bleiben, eigentlich die gesamte Personalpolitik auf den Prüfstand – und nicht nur einzelne Prozesse wie die Personalsuche.

Danke für das Gespräch.

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kraus

Georg Kraus
ist Inhaber der Unternehmensberatung
Dr. Kraus & Partner.
www.kraus-und-partner.de