Mehr Sinn, weniger Job

Immer weniger Talente sehen in ihrer Arbeit mehr als einen bloßen Job – ein alarmierender Trend, der zum Umdenken zwingt. Die Generation Z fordert nicht nur wirtschaftlichen Erfolg, sondern auch die Möglichkeit, durch ihre Arbeit einen positiven Beitrag zur Gesellschaft zu leisten.

Eine Studie (2024) von Great Place To Work zeichnet ein ernüchterndes Bild: Nicht einmal die Hälfte der Young Talents findet in ihrer Arbeit jenen tieferen Sinn, nach dem sie sucht. Nur 46 % der Generation Z sehen in ihrer aktuellen Tätigkeit mehr als nur einen Job. Ein alarmierender Befund, der Unternehmen vor große Herausforderungen stellt und grundlegende Fragen nach der Zukunft der Arbeit aufwirft. Diese Zahlen sind besonders bemerkenswert, wenn man bedenkt, dass es sich bei der Generation Z um die am besten ausgebildete Generation aller Zeiten handelt. Ihre hohen Ansprüche an die Sinnhaftigkeit ihrer Arbeit sind dabei nicht als verwöhnte Anspruchshaltung zu verstehen, sondern als Ausdruck eines fundamentalen Wandels im Verständnis von Arbeit und Erfolg.
»Es ist hoch an der Zeit, dass HR-Manager und Führungskräfte in einer Ära rasanter Veränderungen beginnen, die spezifischen Bedürfnisse und Erwartungen der Generation Z zu verstehen und zu berücksichtigen«, betont Jörg Spreitzer (Managing Director von Great Place To Work Österreich) in der Studie. Seine Worte markieren den Beginn einer notwendigen Transformation in der Arbeitswelt, die weit über oberflächliche Anpassungen hinausgeht.

Die fundamentale Bedeutung von Sinnerfüllung

Das Streben nach Sinn ist dabei keine Marotte verwöhnter Jugendlicher, sondern entspricht einem tiefen menschlichen Bedürfnis. »Wir Menschen sind sinnstrebende Wesen und haben in der Regel – wenn wir es nicht verlernt haben – Freude daran, eigenverantwortlich, proaktiv und entscheidungsfreudig zu agieren. Jede Person hat einen eigenen Fingerprint, ist einzigartig und ist mit der Erfahrungskompetenz gefragt, sich alltäglich einzubringen, um die (Arbeits-)Welt zum Besseren mitzugestalten.«, erklärt Claudia Hiebl (Geschäftsführung Asenus Consulting). Diese fundamentale Eigenschaft manifestiert sich heute stärker denn je im beruflichen Kontext, verstärkt durch gesellschaftliche Entwicklungen und ein wachsendes Bewusstsein für die globalen Herausforderungen unserer Zeit.

Claudia Hiebl betont dabei die vielfältigen Facetten: »Wissenschaftliche Studien belegen, dass Engagement und Sinnerfüllung bei der Arbeit stark korrelieren. Sinnerfüllung ist individuell und bedeutet für jeden Menschen etwas anderes. Es kann sein, dass für manche Menschen, Routinearbeiten oder reibungslose Abläufe, eine gute Zusammenarbeit mit Kollegen usw. ebenfalls als erfüllend erfahren wird.« Diese Erkenntnis ist zentral für Unternehmen, die ihre Mitarbeiter langfristig binden möchten.

Die individuelle Ausprägung von Sinnerfüllung zeigt sich in der Praxis auf vielfältige Weise. Während einige Mitarbeiter ihre Erfüllung in der direkten Arbeit mit Menschen finden, erleben andere Befriedigung in der Optimierung von Prozessen oder der Entwicklung innovativer Lösungen. Ein Softwareentwickler mag seine Erfüllung darin finden, durch seine Arbeit das Leben vieler Menschen einfacher zu machen. Ein Personalentwickler findet vielleicht seinen Sinn darin, anderen dabei zu helfen, ihr Potenzial zu entfalten. Ein Logistikmitarbeiter könnte seine Befriedigung daraus ziehen, durch seine präzise Arbeit reibungslose Abläufe zu gewährleisten. Das Spektrum ist so vielfältig wie die Menschen selbst.

Die transformative Kraft sinnstiftender Arbeit

Die Forschungsdaten von Great Place To Work belegen die praktischen Auswirkungen sinnstiftender Arbeit. Wenn Mitarbeiter der Generation Z ihrer Tätigkeit eine besondere Bedeutung beimessen, bleiben sie dem Unternehmen mit deutlich höherer Wahrscheinlichkeit treu. Sie engagieren sich stärker, identifizieren sich mehr mit ihren Aufgaben und tragen aktiv zum Unternehmenserfolg bei. Die Zahlen sprechen eine klare Sprache: Mitarbeiter, die einen Sinn in ihrer Arbeit sehen, bleiben mit 1,5-mal so hoher Wahrscheinlichkeit länger beim Unternehmen und fühlen sich 1,6-mal stärker am Unternehmenserfolg beteiligt.

Besonders bemerkenswert ist dabei die Korrelation zwischen empfundener Sinnhaftigkeit und Leistungsbereitschaft. Mitarbeiter, die Sinn in ihrer Arbeit sehen, zeigen nicht nur höhere Produktivität, sondern auch mehr Kreativität und Innovationskraft. Sie sind eher bereit, über den Tellerrand hinauszudenken und proaktiv Verbesserungen anzustoßen. Dies führt zu einer positiven Spirale: Sinnerfüllung fördert Engagement, Engagement führt zu besseren Ergebnissen, und bessere Ergebnisse verstärken wiederum das Gefühl von Sinnhaftigkeit.
Die Bedürfnisse der Generation Z gehen dabei weit über das Materielle hinaus. Natürlich spielt eine faire Bezahlung eine wichtige Rolle, doch mindestens ebenso wichtig sind eine authentische Führungskultur und ein Arbeitsumfeld, das persönliches Wachstum ermöglicht.

Claudia Hiebl illustriert dies mit einem anschaulichen Beispiel aus der Praxis: »Stellen Sie sich vor, Sie gehen an einem schönen Café vorbei. Es sieht modern aus und ist mit bequemen Sitzmöglichkeiten ausgestattet. Die vielen gute Kuchen und Snacks sind anregend präsentiert. Sie sehen, wie fröhliche Menschen hinter der Theke die Kundenwünsche erfragen. Spontan entscheiden Sie in dieser sichtbar wohltuenden Atmosphäre sich etwas Gutes zu gönnen. Sie treten ein und werden schon an der Eingangstür freundlich gegrüßt. Sie reihen sich in die Warteschlange und überlegen, was sie bestellen sollen. Es gibt bekannte Kuchen aber auch Kuchen mit außergewöhnlichen Namen wie zum Beispiel »Strawberry-Dream« oder »Carrot-Queen«. Bei den Getränken fallen ihnen die wunderbaren besonderen Teemischungen auf, wie zum Beispiel 1001 Nacht oder Löwen-Kraft. Jetzt sind sie richtig neugierig geworden. Die immer noch freundliche Bedienung fragt sie, ob sie bei der Auswahl unterstützen darf? Sie bejahen und werden gebeten, an einem gemütlichen 2er Tisch Platz zu nehmen. Sie genießen, dass Sie in diesem Moment die wichtigste Person für Ihr Gegenüber sind. Lächelnd werden sie nach ihrer letzten Reise gefragt, welche Geschmäcker und Farben sie gerne haben usw. Sie erzählen und erzählen. Nach einer Zeit wird ihnen bewusst, dass sie freudig viel von ihnen Preis geben, was ihnen wichtig ist und was sie noch gerne in ihrem Leben machen möchten, um die Welt und die Gesellschaft zu verbessern.
Der freundliche Servicemitarbeiter öffnet einen großen Kasten mit vielen Fächern hinter ihnen. Die Produkte und Herkunft haben alle eine spannende Geschichte und mit jedem Kauf, wird mit einem Teil des Kaufpreises ein besonderes Projekt gefördert. Ganz unterschiedliche, Bildungsprojekte, soziale Projekte, Umweltprojekte, innovative neue Ideen usw. Beiläufig erzählt er Ihnen noch ganz stolz, dass er sich täglich freut in die Arbeit zu kommen, weil er einen großen Beitrag zum Wohle der Gesellschaft und einer besseren Welt beitragen kann. Die Arbeitsatmosphäre ist fördernd und wohltuend. Sie selbst habe das Gefühl, wertgeschätzt zu werden und genau am richtigen Platz zu sein, um wirken zu können. An der weißen Wand gegenüber erblicken sie in großen Buchstaben: Unsere Werte sind: Freundlichkeit, Kundennähe, Inspiration & Begeisterung. Unsere Vision: Wir kreieren gemeinsam unvergessliche SINN-Momente für Sie! Sie sind so motiviert und bestellen viel mehr zum Ausprobieren und begeben sich auf eine spannende gedankliche Reise. Ihre eigene Lebensvision, wofür setzen sie ihr Herzblut und ihre Talente in Zukunft ein? Welche positiven gesellschaftlichen Auswirkungen möchten sie noch beeinflussen?
Wie in diesem Beispiel beschrieben, sind Mitarbeiter viel kreativer, leistungsfähiger und engagierter, wenn sie die gemeinsamen Werte eines Unternehmens teilen und wissen, wofür sie arbeiten. Messbare Ergebnisse sind viel mehr Erträge, viel weniger Fehlzeiten der Mitarbeiter und demzufolge auch viel zufriedenere Kunden.«

Die neue Rolle der Führung

In diesem Kontext kommt Führungskräften eine zentrale Rolle zu. »Führungskräfte sind ›Sinn-Ermöglicher‹, wenn sie den Mitarbeitern Raum geben, an Projekten und Aufgaben deren Verwirklichungsfähigkeiten zu steigern«, betont Claudia Hiebl. Allerdings sieht sie hier noch erheblichen Entwicklungsbedarf: »Viele Führungskräfte verfolgen oft primär egoistische Ziele, wie beispielsweise Machtstreben, Status, Anerkennung, Geldmaximierung und weniger die Erreichung gemeinsamer Ziele wie ökologische oder ökonomische nachhaltige Verbesserungen. Und das, obwohl ihnen bei diesem Thema eine Schlüsselrolle zukommt: Führungskräfte sind Vorbilder, wie definierte Werte gelebt werden. Wird von Respekt nur gesprochen oder auch im täglichen Tun umgesetzt? Führungskräfte sollen die wichtigsten Werte und Talente ihrer Mitarbeiter kennen und sie dann adäquat fordern und fördern.«

Die Diskrepanz zwischen Führungsanspruch und -realität muss überwunden werden. »Führungskräfte müssen sich auch über ihr Menschenbild und Weltbild bewusst sein, weil diese die Handlungsweisen und Entscheidungen beeinflussen«, mahnt Claudia Hiebl. Es geht dabei nicht mehr um klassische Hierarchien, sondern um eine neue Form der Führung, die Mitarbeiter befähigt und inspiriert.
Die moderne Führungskraft muss dabei mehrere Rollen gleichzeitig erfüllen: Coach, Mentor, Vorbild und Ermöglicher. Sie schafft Rahmenbedingungen, in denen sich Mitarbeiter entfalten können, und hilft ihnen dabei, ihre persönlichen Ziele mit denen des Unternehmens in Einklang zu bringen. Dies erfordert ein hohes Maß an emotionaler Intelligenz, Authentizität und die Fähigkeit, unterschiedliche Perspektiven einzunehmen und zu integrieren.

Von der Theorie zur Praxis: sinnstiftende Strukturen

Die Implementierung einer sinnorientierten Unternehmenskultur erfordert systematische und nachhaltige Maßnahmen. Claudia Hiebl empfiehlt die Schaffung von Möglichkeiten für mitarbeitergetriebene »Sinn-Projekte«. Diese Initiativen sollten von den Mitarbeitern selbst kommen und von ihnen geleitet werden. Die daraus entstehenden Innovationen und Verbesserungen können dann als Best Practices für das gesamte Unternehmen dienen. Ein Beispiel hierfür könnte ein Nachhaltigkeitsteam sein, das eigenverantwortlich Maßnahmen zur Reduktion des ökologischen Fußabdrucks des Unternehmens entwickelt und umsetzt.

Ein besonderes Augenmerk muss dabei auf der Entwicklung der Mitarbeiter liegen. Strukturierte Onboarding-Programme sollten nicht nur in Arbeitsprozesse einführen, sondern vor allem die Werte und den Purpose des Unternehmens vermitteln. Dabei geht es nicht um oberflächliche Lippenbekenntnisse, sondern um die authentische Vermittlung der Unternehmensphilosophie und ihrer praktischen Bedeutung im Arbeitsalltag.

»Wenn Visionen & Werte keine Marketingstrategie sind oder im Hochglanzpapier an der Wand kleben, sondern wenn diese vom Management und Kollegen klar kommuniziert und (vor)gelebt werden«, erklärt Claudia Hiebl, »dann kann ein Unternehmen sicherstellen, dass die Mitarbeiter den Sinn ihrer Arbeit verstehen.«
Die Praxis zeigt, dass erfolgreiche Unternehmen dabei besonders auf die Integration von Purpose in alle Unternehmensprozesse achten. Von der Mitarbeiterrekrutierung über die tägliche Zusammenarbeit bis hin zur strategischen Planung – der Sinn der Arbeit muss in allen Bereichen spürbar sein. Dies erfordert oft ein grundlegendes Umdenken in der Organisationsstruktur und -kultur.

Gesellschaftliche Dimension

Die Suche nach Sinn in der Arbeit ist dabei mehr als ein individuelles oder unternehmerisches Anliegen – sie hat eine wichtige gesellschaftliche Dimension. »In Zukunft wird sich jedes Unternehmen die Kernfrage stellen müssen: Welchen Mehrwert, Verbesserungen oder Erleichterungen bewirken wir mit unseren angebotenen Produkten und Dienstleistungen im Leben der Kunden und Mitarbeiter«, prognostiziert Claudia Hiebl.

Diese Entwicklung wird durch die Generation Z katalysiert, die nicht nur nach persönlicher Erfüllung sucht, sondern auch nach Möglichkeiten, durch ihre Arbeit einen positiven Beitrag zur Gesellschaft zu leisten. Die Great Place To Work Studie zeigt eindrücklich, dass junge Talente besonders dort lange bleiben und sich engagieren, wo sie das Gefühl haben, an etwas Größerem mitzuwirken.

»Wirtschaftlich gesehen ist ein Umdenken unabwendbar, reine Gewinnmaximierung und Ausbeutung der Ressourcen halten nicht mehr«, mahnt Claudia Hiebl. Diese Erkenntnis setzt sich zunehmend auch in den Führungsetagen durch. Unternehmen erkennen, dass langfristiger Erfolg nur durch die Integration von wirtschaftlichen, sozialen und ökologischen Zielen erreicht werden kann.

Die Transformation zu einer sinnorientierten Wirtschaft bringt dabei auch neue Geschäftschancen mit sich. Unternehmen, die authentisch Purpose leben, profitieren nicht nur von höherer Mitarbeiterbindung, sondern auch von stärkerer Kundenresonanz und besserer Marktpositionierung. »Sinn- oder Purpose-Maximierung hat eine transformative Wirkung auf das gesamte Unternehmen«, bestätigt Jörg Spreitzer. »Diese Arbeitsplätze ziehen großartige Talente an und entwickeln sie weiter, schaffen florierende und agile Kulturen und fördern so Wachstum und Leistung!«

Zukunftsperspektiven

Der Blick in die Zukunft der Arbeitswelt macht deutlich, dass die Integration von Sinn und wirtschaftlichem Erfolg keine Option mehr ist, sondern eine Notwendigkeit. Die Generation Z ist dabei nicht nur Treiber dieser Entwicklung, sondern auch Indikator für einen tiefgreifenden gesellschaftlichen Wandel. Ihre Forderung nach sinnstiftender Arbeit ist der Vorbote einer neuen Arbeitskultur, die Profit und Purpose nicht als Gegensätze, sondern als zwei Seiten derselben Medaille begreift.
Erfolgreiche Unternehmen der Zukunft werden jene sein, die es schaffen, wirtschaftliche Ziele mit individueller Sinnerfüllung zu verbinden. Wie Claudia Hiebl es ausdrückt: »Dann ist Sinn-Orientierung und Produktivität gewinnsteigernd!« Dies erfordert mutige Führungskräfte, die bereit sind, gewohnte Pfade zu verlassen und neue Wege zu gehen. Es braucht Organisationen, die nicht nur von Purpose sprechen, sondern ihn leben und in alle Aspekte ihrer Tätigkeit integrieren. Die aktuelle Situation, in der nicht einmal die Hälfte der Generation Z Sinn in ihrer Arbeit findet, ist dabei sowohl Warnsignal als auch Chance. Warnsignal, weil sie zeigt, wie weit viele Unternehmen noch von einer echten Purpose-Integration entfernt sind. Chance, weil sie den Weg zu notwendigen Veränderungen weist. Die Transformation zu sinnstiftenden Arbeitsumgebungen ist dabei keine einfache Aufgabe, aber eine lohnende. Sie erfordert Mut, Ausdauer und die Bereitschaft, gewohnte Denkmuster zu hinterfragen. Doch der Aufwand lohnt sich – nicht nur für die einzelnen Unternehmen, sondern für die Gesellschaft als Ganzes. Denn in einer Zeit großer globaler Herausforderungen brauchen wir mehr denn je Menschen, die ihre Arbeit nicht nur als Job verstehen, sondern als Möglichkeit, die Welt ein Stück besser zu machen.

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