Schon bei der Kindererziehung wird Eltern klar: Wenn sich das gesprochene Wort vom tatsächlichen Verhalten unterscheidet, macht ein Kind immer das, was es sieht und empfindet. Das ist in Unternehmen nicht anders. Führungskräften kommt daher eine wichtige Vorbildfunktion zu.
Führung funktioniert heute grundlegend anders als früher. Denken wir beispielsweise an den Bau der Pyramiden in Ägypten. Die Rolle der Führungskräfte war es, mehr oder weniger Druck aufzubauen und Fehlverhalten zu sanktionieren. Ernst zu nehmende wissenschaftliche Untersuchungen von Arbeitsorganisation und Führung gehen zurück in die Zeit des Taylorismus. Eine tayloristische Grundstimmung ist heute immer noch in einigen Unternehmen, hier vor allem in Industriebetrieben, zu spüren. So soll den Führungskräften eine einfache Kontrolle der Arbeiter ermöglicht werden.
In der Welt von heute, geprägt von komplexen Prozessen, Digitalisierung, Globalisierung und Generationenunterschieden ist diese Art von Führung in vielen Unternehmen nicht mehr möglich, bzw. nicht mehr zielführend. Freiraum schaffen, das Potenzial der Mitarbeiter finden und nutzen, ein empfehlenswerter Arbeitgeber sein, all das sind wichtige Themen für Unternehmen. Unternehmen können sich schlechte Vorgesetzte nicht mehr leisten, denn sie sind einer der häufigsten Kündigungsgründe von Mitarbeitern. Lob und Anerkennung, eigenverantwortliches Arbeiten und flexible Arbeitsbedingungen sind, was Arbeiter und Angestellte suchen.
Der Vorbildfunktion der Führungskräfte kommt hier eine nach wie vor unterschätzte Bedeutung zu. Wenn der Vorgesetzte zwar behauptet, dass am Wochenende das Arbeiten nicht gewünscht ist, dann aber selbst am Samstag um 23.00 Uhr E-Mails ausschickt, dann erzeugt das selbstredend den Druck, zu antworten.
Hans-Dieter Lochmann (CEO und President FranklinCovey Leadership Institut) weiß genau, womit Führungskräften heute konfrontiert werden: »Gute Führungskräfte sind weit mehr als Manager mit Fachkompetenz, sie sind Visionäre und Motivatoren und zeichnen sich durch Charakterstärke, Integrität und Verantwortung aus. Die komplexen Herausforderungen der digitalen Welt erfordern von ihnen einen Paradigmenwechsel: Sie schaffen Vertrauen, motivieren zum Lernen, handeln transparent und bauen so eine Unternehmenskultur auf, die zum Erfolg führt. Eine offene Tür, Dialog auf Augenhöhe sowie flexible Arbeitszeiten und -orte sind dabei von großer Wichtigkeit.«
Führungskräfte haben keine Alternative: Sie sind immer Vorbild, ob bewusst oder unbewusst, ob gute oder schlechte. Das Verhalten eines Vorgesetzten wird ganz genau beobachtet und analysiert. In informellen Gesprächen wird es dann innerhalb der Belegschaft besprochen. »Ist dir schon aufgefallen, unser Chef kommt jeden Tag 5 Minuten zu spät und überzieht die Mittagspause.« Oder »Also, wenn schon der Chef mit Kundenreklamationen so unhöflich umgeht, warum erwartet er dann von uns etwas anderes?«
Peter Jelinek (Geschäftsführer JELINEK AKADEMIE) erklärt, wo die Vorbildfunktion ausschlaggebend ist: »Der Bereich, in dem die Vorbildfunktion am wichtigsten ist, betrifft die Leitwerte und die Kultur des Unternehmens. Wird in der Hochglanz-Imagebroschüre des Unternehmens ein wertschätzender Umgang mit Menschen propagiert, müssen allen voran die Führungskräfte einen solchen mit ihren Mitarbeitern praktizieren, und zwar andauernd, nicht nur bei der Weihnachtsfeier. Verlangt die Führungskraft Pünktlichkeit und Termintreue, muss sie das selbst vorleben. Werte, die von den Führungskräften nicht gelebt werden, nehmen die Mitarbeiter nicht als verbindlich wahr.«
Exkurs
In vielen Lebensbereichen zeigt sich, wie wichtig Vorbilder sind. Nehmen wir zwei Beispiele heraus, die mit Führung auf den ersten Blick nichts zu tun haben:
Kinder sind geborene Nachahmer. Von Geburt an beginnen Kinder, das Verhalten von Erwachsenen und natürlich vor allem der Eltern nachzuahmen. Es gibt beispielsweise zahlreiche Studien, die bestätigen, dass Kinder von rauchenden Eltern selbst häufiger zur Zigarette greifen als Kinder von nichtrauchenden Eltern. Da können Mama und Papa noch so oft sagen, wie schädlich rauchen ist. Selbst wenn die Eltern bereits an den negativen Auswirkungen leiden, wird das Kind tendenziell mit höherer Wahrscheinlichkeit selbst zum Raucher.
Auch in Ausbildungen wird das Verhalten des Trainers oder Lehrers dann imitiert, wenn die Schüler ihn respektieren und ihm vertrauen. Wenn in einem Tauchkurs mehrfach die Rede davon ist, dass Taucher die Unterwasserwelt respektieren, nichts berühren und darauf achten sollen, mit den Flossen keine Korallen zu zerstören, ist das eine Sache. Wenn dann aber der Tauchlehrer selbst Zigarettenstummel vom Boot ins Meer wirft, den Schülern zeigt, wie »toll« es ist, sich an einer Schildkröte festzuhalten und mit den Flossen auf einem Korallenriff steht, wird genau dieses Verhalten kopiert. Denn »der Tauchlehrer wird schon wissen, was er tut.«
Unternehmen sind darauf angewiesen, dass Führungskräfte im Sinne des Unternehmens handeln.
Veronika Aumaier (Geschäftsführerin Aumaier Coaching Consulting GmbH) weiß aus ihrer langjährigen Erfahrung mit Unternehmen, worauf es ankommt: »Entscheidend ist nicht nur das Inhaltliche, sondern auch das Verhalten und die Einstellungen/Haltungen. Das braucht ein gemeinsam gelebtes Führungsleitbild unter den Führungskräften. Führungskräfteseminare, die das ›gemeinsame Führungshandeln‹ zum Inhalt haben, sind dafür sehr nützlich und gewährleisten ein gemeinsames Verständnis bezüglich Führen.«
Schon Albert Einstein wusste über die Relevanz der Vorbildfunktion: »Vorbild ist nicht eine Möglichkeit, andere zu beeinflussen, sondern die einzige!«
Vorbildliche Führungskräfte
Der Fisch beginnt am Kopf zu stinken. Wenn ein Unternehmen keine vorbildlichen Führungskräfte hat, werden die besten Mitarbeiter bald zu demotivierten »Zombies«, die innerlich oder auch tatsächlich kündigen. Unternehmen müssen daher eine Struktur schaffen, in der sich Führungskräfte wohlfühlen. Auch Führungskräfte lernen ihren Job durch ihre Vorgesetzten. Es ist ein Kreislauf. Das Handeln erfahrener Führungskräfte wird zum Maßstab für alle Mitarbeiter.
Veronika Aumaier: »Vorbild sein wurde früher des öfteren mit ›die Führungskraft kommt als Erster und geht als Letzter‹ in Verbindung gebracht. Und oftmals war das genug! Das ist heute ganz anders zu verstehen. Vorbildfunktion bedeutet wertebezogenes Führen. Meine Leidenschaft, mein Optimismus, meine Zuversicht, meine Integrität, meine Loyalität zum Unternehmen als Führungskraft orientiert und führt. Wenn die Führungskraft überzeugt ist, dann springt der berühmte Funke über. Engagierte Mitarbeiter zu erwarten, ohne selbst als Führungskraft für das Unternehmen und die Aufgabe zu brennen, funktioniert nicht.«
Vorbilder sollen inspirieren, sie sollen nicht kopiert werden. Sie wollen einen Weg aufzeigen und die Werte und Visionen des Unternehmens vorleben.
Hans-Dieter Lochmann: »Unternehmenskultur entsteht durch aktives Vorleben unternehmerischer Werte. Nur wer die Firmenwerte wirklich verinnerlicht, kann diese auch im Wirbelwind des Tagesgeschäfts umsetzen und dann schrittweise auf Team, Bereich und die ganze Organisation übertragen und ihre Einhaltung auch einfordern. Dazu gehört auch eine Verständigung auf Grundregeln der Zusammenarbeit und eine gemeinsame Sprache. Beispielsweise die Verständigung darauf, das Gesamtziel stets im Auge zu behalten und die wichtigsten Dinge zuerst zu tun. Ein komplexer Prozess, der beim Individuum beginnt und schrittweise zu einer gesamten Unternehmenskultur des Lernens, des Dialogs und Vertrauens führt.«
Die Aufgabe einer Führungskraft ist es, zu führen. Sie muss nicht mehr durch Fachwissen glänzen, sondern Leader sein. Das kann natürlich auch oft problematisch sein.
Peter Jelinek weiß über dieses Dilemma Bescheid: »Die wichtigste Eigenschaft nach meiner langjährigen Erfahrung: Berechenbarkeit. Die Mitarbeiter müssen sich verlässlich vorstellen können, was der Chef mag und was nicht, was geht und was nicht. Unberechenbares Verhalten, inkonsistent und inkonsequent, ist für die Mitarbeiter am schwersten zu verkraften. Ein schwieriges Thema bei der Vorbildfunktion ist das Fachwissen. Von vielen Mitarbeitern wird ein sehr tiefes Detailwissen im Arbeitsbereich erwartet, um die Führungskraft als Vorbild zu akzeptieren. Das ist in der modernen Unternehmensrealität aber meistens gar nicht mehr zu erfüllen und auch nicht anstrebenswert. Die Aufgabe der Führungskraft besteht in etwas anderem, als die Jobs aller Mitarbeiter im Detail zu beherrschen. Die Mitarbeiter müssen spüren, dass der Chef die eigene Aufgabe gut und erfolgreich erfüllt, nämlich die Prozesse zu managen und die Menschen zu führen.«
So handeln Vorbilder
Wie kann sich nun eine Führungskraft im beruflichen Alltag verhalten, um als Vorbild akzeptiert zu werden?
Hans-Dieter Lochmann: »Wahre Vorbilder haben die Firmenwerte und Ziele verinnerlicht und leben diese vor. Sie sind proaktiv, haben stets das Ziel im Blick, beginnen immer mit den wichtigsten Dingen zuerst, erzeugen Win-win-Situationen, verstehen die Bedürfnisse anderer, um dann mit ihren Botschaften verstanden zu werden und sie schaffen Synergien. Nicht zuletzt wissen sie auch, wie man mit Kräften haushält und echte Work-Life-Balance lebt.«
»Optimismus und Zuversicht sind aufbauend und positiv«, meint Veronika Aumaier: »Sie tragen über so manche unsichere Zeit und Krise. Leidenschaft und Engagement spornen an. Loyalität und Integrität gewährleisten ein faires, wertschätzendes Miteinander. Klarheit und Entscheidungsfreude erleichtern das Erkennen von Zielen und deren erfolgreiches Erreichen.«
Der Speaker und Berater Georg Wawschinek ist Experte, wenn es um das eigene Charisma geht. Er weiß, wie charismatische Führung aussieht: »Jemandem folgen zu wollen bedingt Vertrauen. Und Vertrauen heißt letztlich nichts anderes, als diesem Menschen zu glauben, dass seine Entscheidungen richtig sind. Wenn ich gezwungen werde, jemandem zu folgen und Befehle auszuführen, passiert das also nicht aus meinem Inneren, sondern weil es mir von außen aufgesetzt wird. Charismatische Anführer hingegen strahlen so viel Glaubwürdigkeit aus, dass Menschen ihnen aus Überzeugung folgen – und weil dadurch eines der größten menschlichen Bedürfnisse befriedigt wird: das Bedürfnis nach Sicherheit. Denn nur, wenn der Rudelführer richtig entscheidet, überleben alle anderen. Und das ist letztendlich immer eine Glaubensfrage. Charismatiker sind mit ihren Überzeugungen in Einklang und vermitteln dadurch ein Gefühl des ›Gut-aufgehoben-Seins‹ – ihre Handlungen, ihr Auftreten, ihre Sprache sind so wohltuend, weil wir keine sogenannte Inkongruenz wahrnehmen, also keinen Unterschied zwischen dem, was dargestellt wird und dem, was auf einer unbewussten Ebene ausgesendet wird.«
Klingt einleuchtend, aber können Führungskräfte wirklich lernen, charismatisch zu führen?
Darauf hat Georg Wawschinek eine eindeutige Antwort: »Natürlich! Aber Charisma ist nichts, das einfach vom Himmel fällt. Ausnahmslos alle charismatischen Menschen haben ihre Hausaufgaben gemacht – sie sind Experten in allen Gebieten, die das Charisma umfasst. Sie hinterfragen sich und suchen Feedback, sie wissen sehr genau, wofür sie brennen, sie sind imstande, sich in andere einzufühlen, sie stehlen niemandem die Zeit, sie wissen und spüren ganz genau, wer was wann braucht, sie haben den Mut zu Ecken und Kanten, sie beherrschen die Sprache, sie sind schnelle Denker und gestandene Persönlichkeiten. Sie stehen voll im Leben, sie beherrschen die Kunst der Plausibilität und der Inszenierung, sie haben einen positiven Antrieb, eine machtvolle Ausstrahlung. Sie sind lösungsorientierter und ganz wichtig: Sie haben den Mut, so zu sein, wie sie sind. Das ist natürlich ein Gesamtpaket, das man nicht in einem Dreieinhalb-Stunden-Workshop erlernt. Aber wenn man das Prinzip und die Eigenschaften kennt, dann kann man eine Eigenschaft nach der anderen erarbeiten und jeden Tag mit großer Lust entwickeln. Die Reise ins Charisma ist eine Reise in die eigene Menschlichkeit. Sie entwickelt den Menschen und dadurch das Charisma.«
An dieser Stelle bietet sich ein ganz konkreter Tipp an, der es Führungskräften vereinfachen kann, mit der eigenen Vorbildwirkung umzugehen. Es gibt Manager, die einfach nach ihrer Vorbildwirkung fragen und mit diesem Wissen ihre Wirkung gezielt einsetzen – und das mit Erfolg. Einfach fragen bzw. genau beobachten, welches von meinen Verhaltensmustern im Unternehmen Anklang findet. Von heute auf morgen wird der Weg nicht gelingen, aber wer kontinuierlich an sich arbeitet, der wird bald zu einer »vorbildlichen Führungskraft«.