Dass die Personalentwicklung nie einen leichten Stand hatte und wie es in Zukunft aussehen wird, beschreibt Gastautorin Steffi Bärmann.
Harari (2019) schreibt in seinem Buch »Homo Deus«, dass Historiker sich mit der Vergangenheit auseinandersetzen, um diese letztendlich abstreifen und etwas Neues entwickeln zu können. Nun bin ich keine Historikerin, aber es ist als Personalentwicklerin einen Versuch wert, sich (in diesem Rahmen kurz) mit der Geschichte der Personalentwicklung (PE) auseinanderzusetzen, um daraus Optionen für eine Zukunft zu entwickeln.
Seit Mitte der 1960er wird der Begriff Personalentwicklung in den USA und Europa verwendet und tut sich seither schwer, eine einheitliche professionelle Identität zu finden. PE wird in der Regel von Praktikern und Quereinsteigern ausgeübt, welche nicht unbedingt eine Vorbildung oder ein Studium in diesem Bereich haben. Dies mag sich mittlerweile geändert haben. Dennoch ist die Anerkennung der Personalentwicklung als eigenständiger Berufsstand umstritten.
Entsprechend unklar ist die Definition dessen, was PE bedeutet, auch in Abgrenzung zur Organisationsentwicklung und Coaching. Hamlin & Stewart (2010) extrahierten aus mehr als 20, seit 1964 formulierten Definitionen, einen gemeinsamen Sinn und Zweck der Disziplin. Demzufolge hat die PE vier Kernanliegen:
- Verbesserung der Effektivität und Leistung von Einzelpersonen oder Gruppen,
- Verbesserung der organisatorischen Effektivität und Leistung,
- Entwicklung von Wissen, Fähigkeiten und Kompetenzen,
- Förderung des menschlichen Potenzials und des persönlichen Wachstums.
Kritiken, mit denen sich die PE auseinandersetzen muss, beziehen sich u. a. auf die mangelnde Kommunikationskompetenz im Unternehmen. Personalentwickler laufen außerdem Gefahr, immer wieder neuen Trends nachzugehen, ohne nach dem Warum oder Wie zu fragen. Ebenso fehlt sehr häufig die Strategiediskussion auf der PE-Ebene. PE ist damit oft nur Erfüllungsgehilfe und verliert seinen Expertenstatus.
Herausforderungen im Zuge der Technologisierung der Arbeit
Die PE hatte also nie einen leichten Stand. Hinzu kommen nun Herausforderungen, die im Zuge der Technologisierung der Arbeit entstehen. Die PE wird von mehreren Seiten gefordert und auch in Frage gestellt. Zu den wichtigsten Einflüssen und damit Fragestellungen gehören:
- Digitale Technologien verändern die Arbeitswelt in Richtung New Work: Home Office, digitale Nomaden und virtuelle Teams werden hier eine immer stärkere Rolle spielen.
- Technologien verändern die Art der Zusammenarbeit in Organisationen. Agile Strukturen werden (derzeit noch insbesondere in technikaffinen Unternehmen) relevanter. Holocracy, Soziokratie, TEAL-Organisationen verbreiten sich allmählich und mit ihnen Prinzipien der Selbstorganisation in Netzwerken sowie die Sinn- und Zweckhaftigkeit des Unternehmens für den Kunden und die Gesellschaft.
- Technologien machen Lerninhalte jederzeit direkt zugänglich, sodass Trainingskataloge in Frage gestellt werden müssen. Beschäftigte können direkt über das Internet und Online-Communities, mittlerweile auch in vorgegebenen Lernszenarien, wie z. B. Working Out Loud (WOL), Learning Out Loud (LOL) oder Modern Workplace Learning (MWL) selbst aktiv werden.
- Der Einsatz von KI und Robotern wird zum einen selbstverständlich, ist zum anderen noch zu hinterfragen. Gerade hier ist die Wissenslücke eine, die kritische und unerwünschte Folgen in Themen der Diskriminierung und Ethik produzieren kann.
- Technologien ermöglichen die Implementierung einer virtuellen Personalentwicklung.
Angesichts der vielen Veränderungen stellt sich die Frage der Daseinsberechtigung einer Personalentwicklung als Berufsrolle. Derweilen finden sich neue Bezeichnungen, wie z. B. Learning Experience Manager, Community Manager oder Editorial Manager, die auf neue Erwartungen hinweisen.
Höhere Professionalität durch Theorie – Praxis – Austausch
Unter den gegebenen Bedingungen läuft die PE Gefahr, zu den beschriebenen Problemstellungen keine adäquaten Lösungen liefern zu können. Gosney & Hughes (2010) führen dies u. a. auf ein Nicht-Wissen zurück. Sie sehen hier ein ethisches Thema der fehlenden Transparenz bezüglich der verwendeten Methoden, Interventionen, Prozesse und den dahinterstehenden Annahmen. Sie fordern einen stärkeren Transfer von Wissenschaft und Forschung in die Praxis und umgekehrt. Eine Annäherung beider Bereiche könnte zu einer höheren Kompetenz in der Bearbeitung der obigen Themen und damit zu mehr Professionalität und Anerkennung der Personalentwicklung führen.
4 Szenarien aus der Praxisperspektive
Die Diskussion von der praktischen Seite aus wird hier mit Hilfe von Speidel (2019) geführt. Sie setzt an der Arbeitswelt 4.0 an und erarbeitetet in Praxisworkshops mit Unternehmen vier mögliche Zukunftsszenarien.
- Szenario 1 wird als digitaler Schongang bezeichnet und vermerkt kaum Veränderungen der PE über die Anwendung von digitalen Lern- und Evaluationstools hinaus.
- In Szenario 2 führt die PE als Lernbegleitung zu lebenslangem Lernen und schafft es damit und mit Hilfe innovativer digitaler Lernformate, die Beschäftigten an das Unternehmen zu binden.
- Szenario 3 macht die PE zum strategischen Partner der Geschäftsführung. Radikale Digitalisierung und Künstliche Intelligenz machen individuelle Lern- und (Karriere-) Entwicklungspläne für die Beschäftigten möglich. Die PE ist verantwortlich dafür, digitale Datenlandschaften aufzubauen, zu kommunizieren und weiterzuentwickeln.
- Eher düster sieht das Szenario 4 aus. Die PE steht hier nur noch in den Geschichtsbüchern, weil sie es nicht geschafft hat, die Bedürfnisse der Beschäftigten abzuholen. Diese wiederum beschaffen sich benötigtes Wissen von außerhalb bzw. das Unternehmen kauft sich relevantes Wissen über Freelancer ein.
Fazit
Wie es aussieht, hatte es die PE nie wirklich leicht, und es wird auch nicht leichter – aber vielleicht besser? Die PE hat viele Chancen, deren Anfang eine stärkere Professionalisierung sein kann. Um den Themen der Arbeitswelt 4.0 zu begegnen, sind möglicherweise auch Grundsatzfragen zu beantworten, wie z. B.: Was ist die PE und was will sie sein? Was sind Grundüberzeugungen und Prinzipien? Die Optionen scheinen vielfältig und doch begrenzt. Es wird jedenfalls Zeit, dass sich PE-Verantwortliche als starke Kommunikatoren zeigen, egal für welche Möglichkeiten der Zukunftsgestaltung sie sich entscheiden.
Quellen
Gosney, M.W.; Hughes, C. (2016): The History of Human Resource Development. Understanding the Unexplored Philosophies, Theories and Methodologies. Palgrave macmillan
Hamlin, B; Stewart, J. (2010): What is HRD? A definitional review and synthesis of the HRD domain. Journal of European Industrial Training. Vol. 35 No. 3, 2011. pp. 199-220. Emerald Group Publishing Limited. DOI 10.1108/03090591111120377
Harari, Y.N. (2019): Homo Deus: Eine Geschichte von Morgen, 10. Auflage, C.H.Beck
Speidel, V. (2019): Praxispapier: Zukünftige Ausrichtung der Personalentwicklung. Publikationsreihe DGFP-PraxisPapiere, Deutsche Gesellschaft für Personalführung e. V.
Literaturhinweise
Learning Out Loud: https://learningoutloud.de/der-learning-out-loud-zyklus/
Meifert, M.T. (2013): Strategische Personalentwicklung: Ein Programm in acht Etappen. 3. Auflage, Springer Gabler, Wiesbaden
Meister, J.C. (2017): The Future Workplace Experience. McGraw Hill-Education, New York
Modern Workplace Learning: Hart, J. (2019): Modern Workplace Learning 2020. Building a continuous learning environment ready for the future, www.modernworkplacelearning.com/cild/
Torraco, R. J.; Lundgren, H. (2019): What HRD Is Doing—What HRD Should be Doing: The Case for Transforming HRD. Human Resource Development Review. 1-27. sagepub.com/journals-permissions. DOI: 10.1177/1534484319877058.
Working Out Loud: https://workingoutloud.com/de