Navigator im Führungsalltag

Drei Leadership Value Chains (Execution, Engagement und Enhancement)  helfen Führungskräften dabei, ihre Effektivität zu steigern.

Führungskräfte sind verschieden erfolgreich. Ein Blick in die Wirtschaftsschlagzeilen führt schnell vor Augen, dass viele unterschiedliche Persönlichkeitstypen mit verschiedenartigen Erfahrungshintergründen in Führungsrollen kommen. In der Führungspraxis unterscheiden sich diese Personen ebenfalls. Eine Unzahl an Büchern liegt bereit, die Einzelfälle berühmter Führungskräfte auf alle Situationen des Unternehmensalltags generalisieren möchten. Was ist allerdings tatsächlich mit Führung verbunden und wer bin ich als Führungskraft? Wie kann ich meine Stärken und Schwächen erkennen und damit bewusster umgehen? Wir haben ein Führungsmodell entwickelt, das eine gute Einschätzung der eigenen Führungspersönlichkeit zulässt und davon abgeleitet Entwicklungsoptionen aufzeigt.

Leadership Value Chains

Leadership Value Chains dienen dazu als Ausgangspunkt. Darunter werden jene Wertschöpfungsprozesse verstanden, die Führungskräfte einsetzen (können), um Themen und Aufgaben effizient und qualitätsvoll zu managen, ihre Mitarbeiter und Teams gut einzusetzen und Impulse für die Zukunft zu setzen. Die Aufgabe von Führungskräften besteht bei der Bearbeitung verschiedenster Themen und Aufgaben, die unentwegt auf ihrer Agenda landen. Langfristige Ziele, etwa um die Digitalisierung der Prozesse im eigenen Verantwortungsbereich voranzutreiben, gehören genauso dazu wie die Beantwortung von wichtigen Kundenanfragen oder das Gespräch mit Mitarbeitern, um ein technisches Detail zu klären. Bei all diesen Aufgaben hat die Führungskraft ein Bild im Kopf, wie das Endergebnis konkret aussehen soll. Ist ihre Abteilung gut aufgestellt, dann werden oft die Ergebnisse, die im Team erarbeitet werden, den Erwartungen entsprechen. Liegen hingegen Probleme vor, dann weicht das Endergebnis von den Erwartungen ab. Qualitätsmängel, Terminprobleme oder Kostenüberschreitungen stellen klassische Beispiele dar. Führungskräfte sollten sich in diesen Fällen die Frage stellen, welchen Ursprung die Probleme haben und wo sie eingreifen können, um ein reibungsfreieres Arbeiten bzw. Erledigen von Aufgaben zu gewährleisten. Die Leadership Value Chains – Execution, Engagement und Enhancement – geben Hinweise, wo Verbesserungen vorgenommen werden können, um die Führungseffektivität zu steigern.

Execution ist notwendig, um jene Aufgaben zu erledigen, die notwendig sind, um Issues (Aufgaben und Themen) konsequent zu bearbeiten und die damit verbundenen Ziele zu erreichen. Dazu wird die Issue Value Chain mit den Aktivitätsfeldern Prioritizing, Assigning und Tracking herangezogen. Führungskräfte müssen klare Prioritäten setzen, um neben dringenden Issues des Tagesgeschäfts auch die wichtigen langfristigen nicht aus dem Blick zu verlieren (Prioritizing). Sie müssen die Themen und Aufgaben in ihrem Team zuweisen, um Mitarbeiter bzw. bei einigen Themen auch sich selbst verantwortlich zu machen (Assigning). Die Umsetzung der Issues muss nachverfolgt werden, um jene Ergebnisse zu erreichen, die mit der Aufgabe bzw. dem Thema verbunden sind (Tracking).

Engagement widmet sich der sozialen Dimension. Mitarbeiter müssen sinnstiftend in die Arbeitsprozesse eingebunden werden und das Team insgesamt muss auf inhaltlicher und auf sozialer Ebene gut zusammenspielen. Die ­People Value Chain mit den Aktivitätsfeldern Energizing, Connecting und Encouraging dient diesem Zweck. Funktioniert die soziale Dimension im Team nicht, wird auch die Abarbeitung der Inhalte problematisch bzw. fehleranfällig. Jedes Teammitglied verfügt über ein anderes Persönlichkeitsprofil und spricht auf motivationale Rahmenbedingungen anders an, die die Führungskraft gestalten muss (Energizing). Aufgabenbearbeitung benötigt ein funktionierendes Team. Führungskräfte sind daher gefordert die Leistungsdimension (z. B. klare Ziele, Rollen und Prozesse) und die soziale Dimension (z. B. Vertrauen) im Blick zu halten, das Team gut zu entwickeln und zu allen Mitarbeitern eine tragfähige Arbeitsbeziehung aufzubauen (Connecting). Die Einbindung in die kommunikativen Prozesse im Team mit ausreichender psychologischer Sicherheit gewährleistet, dass die Ideen und Perspektiven aller Teammitglieder zugänglich werden (Encouraging).

Enhancement richtet den Blick der Führungskraft in die Zukunft. Ihr Führungsverhalten entscheidet, welche Impulse aus dem Umfeld (von Mitarbeitern bis zu externen Netzwerkpartnern oder Medien) wahrgenommen, entschieden und umgesetzt werden. Die Enhancement Value Chain mit den Aktivitätsfeldern Sensing, Seizing und Reconfiguring deckt diese Zukunftsdimension in Richtung Change und Innovation ab. Die Gestaltung der Zukunft des Verantwortungsbereichs liegt in der Hand der Führungskraft, die sich mit den Möglichkeiten und Gefahren des Umfeldes (z. B. Technologien, Wettbewerber, Kunden) auseinandersetzen muss (Sensing). Sie muss auch die Letztentscheidung über aus Aufgreifen (oder Ablehnen) von Veränderungs- und Innovationsideen treffen (Seizing), die dann konsequent umzusetzen sind (Reconfiguring).

Führungskräfte legen unterschiedliche Schwerpunkte – aufgrund ihrer Persönlichkeit und ihrer Erfahrung – auf die verschiedenen Aktivitätsfelder der drei Leadership Value Chains. Natürlich wäre eine Idealausprägung in allen Bereichen wünschenswert. Allerdings spielen etwa Persönlichkeitscharakterisika eine Rolle. Stabilitätsorientierte Persönlichkeitstypen (z. B. mit hohen Ausprägungen bei Gewissenhaftigkeit) werden die Execution Value Chain viel stärker in den Fokus legen und effektiver ausführen als innovationsorientierte Persönlichkeitstypen (z. B. mit hohen Ausprägungen bei Offenheit für Neuerungen), die ihren Schwerpunkt bei der Enhancement Value Chain setzen. Hinzu kommt auch die Erfahrung und Weiterbildung von Führungskräften sowie jene Vorbilder in Führungsrollen, die für sie relevant waren. Persönlichkeit und Erfahrung leiten das Führungshandeln auf jene Felder, die leichter fallen und einfacher aktiviert werden können. Im Umkehrschluss bleiben verstärkt jene Felder der Leadership Value Chains brach liegen, die weniger Freude bereiten oder mit Anstrengungen verbunden sind. Dennoch sind alle neun Felder relevant, die situationsspezifisch und im Idealfall bewusst aktiviert werden können, um Themen abzuarbeiten, Mitarbeiter einzubinden und die Zukunft zu gestalten.
Führungskräfte können mit dem Modell der Leadership Value Chains ihre Leadership Personality erkennen, indem sie über die Aufmerksamkeit und Zeit reflektieren, die sie den unterschiedlichen neun Feldern der drei Leadership Value Chains widmen. Daraus ergibt sich ein Bild ihrer Leadership Personality mit Stärken und Schwächen. Mit dieser Erkenntnis können Schlussfolgerungen für das eigene Führungsverhalten getroffen werden, indem Stärken bewusster eingesetzt und Schwächen durch verschiedene Maßnahmen ausgeglichen oder abgefedert werden. Führungskräfte können ihre Kraftfelder nun aktivieren, um auf individueller Ebene ihre Führungsrolle neu zu definieren, um auf die Leadership Value Chains bewusster zuzugreifen, klarer Prioritäten zu setzen oder ihre Mitarbeiter motivatorisch besser anzusprechen. Sie können auch Teamprozesse neu gestalten, um etwa im Team die Aufgaben so zu verteilen, dass durch Teammitglieder Schwächen der Führungskraft ausgeglichen werden. Schließlich können auf organisationaler Ebene besonders die Meeting-Strukturen weiterentwickelt werden, um effektiver Entscheidungen zu treffen, Themen nachzuverfolgen oder die Einbindung von Mitarbeitern zu fördern.

Fazit
Die Rahmenbedingungen, unter denen Führungskräfte ihre Entscheidungen treffen müssen, sind vielfach komplex, dynamisch und mehrdeutig. Umso bedeutsamer ist es für Entscheider, dass sie sich der Anforderungen aus Execution, Engagement und Enhancement bewusst sind, ihre Stärken und Schwächen kennen und auf dieser Basis effektiv den herausfordernden Führungsalltag meistern können. Die Leadership Value Chains bieten dazu einen Kompass, um durch stürmische See zu navigieren.

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Gastautor
Wolfgang H. Güttel
Dean TU Wien
Academy for
Continuing Education.
www.tuwien.at/ace

 

Literaturtipp:

Güttel, W.H. & Kleinhanns-Rollé, A. 2023. »Strategic Leadership durch Orchestrierung der Leadership Value Chains: Execution, Engagement und Enhancement«
Austrian Management Review, Vol. 13, 118-139.