Führen auf Distanz stellt für viele Führungskräfte eine große Umstellung dar. Weniger Kontrolle über die Mitarbeiter zu haben, erfordert Vertrauen. Wie Unternehmen und Führungskräfte lernen, mit dieser neuen Situation umzugehen, erfahren Sie in diesem Artikel.
Bei einer kürzlich abgehaltenen Podiumsdiskussion sprachen junge Menschen über ihre Erwartungen an Unternehmen und Führungskräfte. Dabei kam ein Punkt überhaupt nicht vor, nämlich die Möglichkeit zu Home-Office bzw. zu flexiblen Arbeitszeiten. Auf Nachfrage haben die beiden ca. 25-jährigen Herren erstaunt reagiert. »Das ist ja wohl eine absolute Selbstverständlichkeit heutzutage, das muss nicht extra erwähnt werden.« Diese Reaktion war für die anwesenden HR-Manager ganz und gar nicht selbstverständlich. Viele Unternehmen sehen das (noch) anders und werden ein großes Problem damit haben, junge, neue Talente anzuwerben, sollten sie sich und ihr Unternehmen nicht umstellen. Das »neue Arbeiten« ergibt sich aus einem neuen Verständnis von Arbeit in Zeiten der Globalisierung und Digitalisierung. Die zentralen Werte von New Work sind Freiheit, Selbstständigkeit und Teilhabe an der Gemeinschaft. Fixe Arbeitsorte und -zeiten sind, wenn nicht unbedingt nötig, ein Relikt aus alten Tagen.
Die Arbeitswelt steht vor Änderungen und das bringt Herausforderungen, wie auch Monika Herbstrith-Lappe (Speaker und Trainer, Vorstand VBT) weiß: »Die Zahlen im BKK-Gesundheitsreport 2021 für Deutschland sind sicher auch für Österreich aussagekräftig. Sie zeigen die Herausforderungen, vor denen die Arbeitswelt steht:
- 22,7 % der Erwerbstätigen arbeiten regelmäßig mobil bzw. im Home-Office, was einer Steigerung von 14,3 % entspricht.
- 44,3 % der Beschäftigten sehen die Arbeitswelt schlecht auf Krisen vorbereitet.
- 2020 waren die Beschäftigten im Durchschnitt 18,2 Tage arbeitsunfähig gemeldet. Davon 17,5 % aufgrund psychischer Störungen.
- Aus Sicht jedes vierten Befragten hat sich vor allem die eigene Arbeitsmotivation und der Zusammenhalt in der Belegschaft durch die Corona-Pandemie verschlechtert.
- Aus Sicht der Befragten wird deren Arbeit zukünftig deutlich digitaler und häufig mobiler bzw. im Home-Office erbracht werden.
Das Bedürfnis nach Zugehörigkeit zu einer Organisation hat sich verringert und damit auch die Bindung der Arbeitnehmer an das Unternehmen. Dem steht ein steigendes Bedürfnis nach Sinn in der Arbeit gegenüber.«
Besonders für Manager und Führungskräfte bedeuten diese Veränderungen der Rahmenbedingungen auch den Bedarf nach veränderten (Führungs-)Strategien.
Wolfgang Güttel (Dean TU Wien Academy for Continuing Education): »Für Führungskräfte ist die Komplexität aus drei Gründen markant gestiegen. Erstens sind im Moment die äußeren geopolitischen, wirtschaftlichen und sozialen Entwicklungen sehr schwer einzuschätzen. Zweitens hat sich durch die Corona-Pandemie die Form des Arbeitens verändert und die Erwartungen oszillieren – auch innerhalb der Teams – zwischen der Rückkehr ins Büro und der vollständigen Arbeit im Home-Office. Führungskräfte müssen daher innerhalb der unternehmensspezifischen Rahmenbedingungen einen Modus für eine gelingende Zusammenarbeit finden, der den strategischen Notwendigkeiten entspricht und die Interessen der Mitarbeiter berücksichtigt. Drittens vergrößert die Digitalisierung die ›digitale Distanz‹ zwischen der Führungskraft und den oft disloziert sitzenden Mitarbeitern, zwischen den Mitarbeitern, wo ein Erfahrungsaustausch nicht mehr spontan ›im Vorbeigehen‹ organisiert werden kann, oder zwischen Netzwerkpartnern oder Kunden. Führungskräfte brauchen daher auch hierzu einen Plan, wie sie dennoch die Zusammenarbeit und die Interaktion gewährleisten können, um auch eine soziale Bindung entstehen zu lassen, die wiederum die Voraussetzung für ein vertrauensvolles Miteinander darstellt.«
Peter Dziergas (Geschäftsführer Dale Carnegie): »Lineare Top-Down-Management-Strukturen lösen sich in zunehmend mehr Branchen zugunsten von Projektorientierung und projektübergreifenden Strukturen auf. Die Kultur und Haltung der neuen Arbeitswelt drückt sich in der Ergänzung von Management (Prozesssteuerung) und Leadership (Menschenführung) aus. New Work bedeutet, ein innovatives und werteorientiertes Arbeitsumfeld zu schaffen!«
Die moderne Führungskraft
Die Anforderungen an Führungskräfte sind demnach andere als früher. Während im Taylorismus noch über Kontrolle und Bestrafung geführt wurde, stehen heute Selbstorganisation, Vertrauen und Motivation am Programm.
TRAiNiNG wollte von den Führungsexperten wissen, was eine Führungskraft von heute mitbringen muss, um erfolgreich zu sein.
Peter Dziergas: »Die zugrunde liegende Kompetenz ist die Fachkompetenz und dazu gehört heute auch die digitale Kompetenz. Genauso wie von den Mitarbeitern Eigenverantwortung erwartet wird, so tragen auch die Führungskräfte für ihre eigene Weiterentwicklung die Verantwortung. Selbstreflexion führt zu Selbsterkenntnissen, die Selbststeuerung und Selbstregulierung ermöglichen. Speziell junge Mitarbeiter schätzen die Ehrlichkeit und Integrität ihrer Führungspersonen.«
Monika Herbstrith-Lappe: »Der traditionelle Führungsstil von Command and Control wird einerseits den komplexen, dynamischen Anforderungen in unserer VUCA- und BANI-Welt nicht gerecht und wird andererseits von vielen Arbeitnehmern auch nicht mehr akzeptiert. Führen über Distanz in Zeiten von Home-Office, Mobile Working und internationalen Teams funktioniert nur auf der Basis von einerseits Vertrauen und andererseits Ergebnisverantwortung aller Akteure. Für Distance Leadership ist es entscheidend, Orientierung zu geben, gegenseitiges Vertrauen zu entwickeln und Vertrautheit herzustellen.«
Veronika Aumaier (Geschäftsführer Aumaier & Partner Coaching GmbH): »Sozial-kommunikative Kompetenzen sind für Führungskräfte die neue Schlüsselkompetenz. Fragen stellen und zuhören, statt Monologe halten und vorgefertigte Lösungen anweisen. Kein Wunder, dass Coaching so hoch im Kurs steht. Dazu ist in der Persönlichkeit eine neue, natürliche Authentizität gefragt, die auf einem satten Rollenverständnis fundiert. Das bedeutet, dass man sehr genau die Anforderungen der Rolle verstehen muss und, wenn notwendig, auch unbequeme Entscheidungen treffen und die Verantwortung dafür übernehmen muss. Jegliche Arroganz und Dominanz sind den neuen Führungskräften fremd. Für Topmanager gilt, dass sie sehr offen, visionär und lösungsorientiert zu agieren haben. Operatives Mikromanagement ist mittlerweile unverzeihlich.«
Wie Führung heute funktioniert
Wie Mitarbeiter richtig geführt werden, ist seit vielen Jahren Forschungsgebiet und die Meinungen ändern sich laufend. Klar ist, dass es immer auf die Umstände ankommt, und es kein Patent-Rezept dafür gibt. Der Stil muss authentisch sein und zur eigenen Persönlichkeit und zum Umfeld passen. Eine motivierende Art zu haben, ist immer von großem Vorteil.
Wolfgang Güttel kennt als Wirtschaftsprofessor die Fakten: »Bei unseren Delphi-Befragungen mit rund 70 Geschäftsführern und Personalisten zu Leadership & New Work bzw. zur Digitalisierung & Leadership zeigte sich, dass besonders in Zeiten wie diesen ein effektives Leadership mehr denn je gefragt ist. Im Gegensatz zu unseren Erwartungen werden weder besondere digitale Skills gefordert noch werden technologische oder rechtliche Rahmenbedingungen als problematisch wahrgenommen. Vielmehr braucht es Führungskräfte, die die Herausforderungen der schwierigen Zeit annehmen, Change-Prozesse gut steuern können und ihre Mitarbeiter in den Veränderungen mitnehmen können. Dazu muss das Mindset stimmen, um die Führungsverantwortung vollumfänglich anzunehmen und sich nicht in fachliche Themenfelder zurückzuziehen. Deshalb sind Führungskräfte-Entwicklungsaktivitäten besonders jetzt wichtig. Nicht, dass nur das Skill-Set erweitert werden kann; vielmehr ist durch gruppendynamische Übungen, Reflexionen oder Feedbackprozesse das Mindset für die neuen Zeiten – New Work – neu zu kalibrieren.«
Monika Herbstrith-Lappe: »Um intrinsische Motivation zu ermöglichen, braucht es zwei unterschiedliche Dimensionen von Sinnerleben: Einerseits die emotionale Dimension, nämlich das natürliche Bedürfnis von Menschen, etwas Sinnvolles zu tun und die innere Kraft zu verspüren, die zum Handeln motiviert. Und andererseits die sachlich-inhaltliche Dimension, das Bedürfnis nach Orientierung als Bezugspunkt für grundlegende Fragen und zum Ausrichten des Handelns. Entscheidend sind kraftvolle, fordernde Ziele, die nicht überfordernd sind. Mitarbeiter brauchen Rückmeldung, die ihr Vorankommen auf dem Weg der Zielerreichung erkennen lassen. Agile Konzepte mit kurzen Etappenzielen und immer wieder funktionierenden neuen Einheiten sind daher sehr hirngerecht. Darüber hinaus ist auch Feedback von den Führungskräften förderlich. Eine Harvardstudie aus dem Jahr 2013 besagt, dass ein Verhältnis von mehr als fünfmal so viel bestärkender wie korrigierender Rückmeldung am meisten Lernen und Veränderung bewirkt.«
Führung in New Work bedeutet also einen Wandel von inhaltlicher Verantwortung hin zum Coaching der Mitarbeiter: Der Fokus liegt bei den Teammitgliedern. Sie müssen mehr Verantwortung bekommen und selbstständiger agieren können. Die Führungskraft sollte ihnen als Sparringspartner zur Verfügung stehen und die Rahmenbedingungen schaffen, in denen die Mitarbeiter erfolgreich arbeiten können.
Veronika Aumaier bringt noch weitere wichtige Punkte ins Gespräch ein: »Es braucht einerseits gutes Verständnis für Strukturen. Das unterstützt die Fokussierung und damit die Performance- und Ergebnisorientierung. Durch hybride Arbeitsformen, die mehr Selbstorganisation und Eigenverantwortung erfordern, ist dies die Basis, um das richtige und rechtzeitige Tun im Sinne des Unternehmens sicherzustellen. Und andererseits braucht es ein hohes Ausmaß an Empathie, Kommunikationsgeschick und Toleranz, um so viel Individualität wie möglich zuzulassen, das den Bedürfnissen des einzelnen Teammitgliedes Rechnung trägt. Also so viel Struktur wie nötig, so viel Freiraum wie möglich!«
Peter Dziergas: »Die Aufgabe des Managements ist es, die Komplexität und den rasanten Wandel zu bewältigen, die Arbeit innovativ zu definieren und zu organisieren, um einen proaktiven Beitrag zur Erreichung der Unternehmensziele zu leisten. Die Aufgabe modernen Führens ist es, andere erfolgreich zu machen. Den eigenen Erfolg hinter den der anderen zu stellen und ihn stattdessen durch den Erfolg der anderen zu definieren.«
Tipps für das »neue« Führen
Was Führungskräfte nun konkret tut können, um in dieser neuen Arbeitswelt erfolgreich zu führen, fassen die von uns befragten Experten wie folgt zusammen.
Veronika Aumaier gibt ein paar praktische Tipps:
- »Regelmäßige Treffen mit kurzer Taktung helfen, im Kontakt zu bleiben.
- Bei Online-Meetings unbedingt Kamera einschalten (lassen), denn es können keine Beziehung und keine Bindung entstehen, wenn man sich nicht sieht.
- Unmittelbares Feedback zur Qualität und Quantität des Outputs geben, gibt Orientierung.
- Präsenztreffen vorsehen und einfordern, sowohl 1:1 mit der Führungskraft als auch mit dem Gesamtteam.
- Eine Grundvoraussetzung für Home-Office ist die dafür notwendige Eigenverantwortung und Selbstorganisation der einzelnen Teammitglieder. Ist beides in zu geringem Ausmaß vorhanden, sind die Home-Office-Tage zu kürzen oder ganz einzustellen, bis die erforderliche Reife gezeigt werden kann.«
Wolfgang Güttel: »Führungskräfte müssen geschickt neue Regeln etablieren, wie nun die neue Form der Zusammenarbeit aussehen soll. Hilfreich ist die Etablierung einfacher Regeln der Zusammenarbeit, bei denen sich die Teams auf wenige, aber wichtige Spielregeln in der Interaktion und bei der Zusammenarbeit verständigen (z. B. Kernarbeitszeiten mit uneingeschränkter Erreichbarkeit, Dokumentationsformen, Meetingstruktur und -häufigkeit).«
Peter Dziergas: »Schaffen Sie Verbindung zu den Mitgliedern Ihres Teams und der Teammitglieder untereinander. Studien zeigen, dass Verbindung die Produktivität erhöht. Regelmäßige persönliche und empathische Kommunikation, Transparenz in Entscheidungen und Veränderungsprozessen verstärken die Bindung. Kreative und innovative Ideen für Teaming machen Spaß und lassen die Menschen zusammenwachsen. Mit transparenter und wertschätzender Kommunikation unterstützen Sie Verbindung, Vertrauen und Kooperation. Innerhalb der Unternehmen ist interdisziplinäre sowie bereichsübergreifende Kooperation unabdingbar, um der steigenden Komplexität zu begegnen, wie auch Innovation zu fördern. Gemeinsam vereinbarte Verpflichtungen und Verantwortungsübernahmen ermöglichen den Rahmen für sinnstiftendes Engagement und eine lernorientierte Fehlerkultur.«
Monika Herbstrith-Lappe: »Noch mehr als beim Führen in Präsenz ist bei Remote Leadership klare Kommunikation entscheidend. Das gilt einerseits für das Aussprechen der gegenseitigen Erwartungen, genauso wie für die Vereinbarungen bezüglich der Zusammenarbeit, als auch andererseits für die Rückmeldung der (Teil-)Ergebnisse. Dafür eignen sich regelmäßige engmaschige, kurze, knackige Online-Meetings. Weil aber Kommunikation viel mehr ist als nur Austausch von Informationen, braucht es dazwischen auch informelle Gespräche, in denen es um die Befindlichkeiten der Menschen geht. Der Volksmund hat recht: ›Durch das Reden kommen die Leute zusammen.‹ Ohne die Beziehungspflege der Kommunikation kommt kein Wir-Gefühl auf.«
Fazit
Führung funktioniert heute anders als früher. Durch weniger physischen Kontakt zum Team und der Teammitglieder untereinander ist richtige Kommunikation noch wichtiger geworden. Regelmäßige – auch informelle – Treffen im Team halten die Bindung zum Unternehmen hoch. Die neuen Spielregeln sollten klar definiert und kommuniziert werden. Darüber hinaus müssen die neuen Strukturen klar sein, gleichzeitig soll den Mitarbeitern genügend Freiraum ermöglicht werden.