Wie hat Corona das Coaching verändert? Was wird sich dabei nachhaltig verändern? Was sind die größten Herausforderungen? Veronika Aumaier im Interview.
Wie hat Corona das Coaching verändert?
Corona hat vor allem das Coachingsetting in Summe flexibilisiert. Eine mehrmonatige Coachingbegleitung wechselt mittlerweile ganz selbstverständlich zwischen Präsenz und online hin und her, je nach gesetzlichen oder betrieblichen Lockdown-Einschränkungen, persönlichem Aufenthalt, Terminsituation und Brisanz der Themenstellungen etc. Nach 18 Monaten sind beiden Seiten – Coach und Coachee – darin geübt. Online-Coaching ist nichts Besonderes mehr und wird vom Kunden zum eigenen Vorteil wahrgenommen, so wie es eben situativ am besten passt. Und, Online-Coaching hat die Zielgruppe erweitert. Für Mitarbeiter werden nun eher zwei Einzelstunden Online-Coaching ermöglicht. Entweder, weil man unmittelbar »Rat auf Draht« für eine ganz konkrete Situation braucht oder weil man coronabedingt durch Home-Office an die persönlichen Leistungsgrenzen gestoßen ist.
Was sind Ihrer Erfahrung nach die Schwächen bei Online-Coaching?
Online-Coachingtermine werden im Vergleich zu Präsenzterminen kurzfristiger abgesagt, aber auch eingebucht. Die Hemmschwelle in beide Richtungen ist niedriger, wobei die »Verschieberitis« am Vormarsch ist. Speziell in intensiven Arbeitszeiten fällt das Online-Coaching sehr schnell dem Termindruck zum Opfer. Das ist kurzfristig eine Lösung, mittel- und langfristig kann es für Coachee und Unternehmen nachteilig sein, weil sich die Coachingzielsetzungen im Regelfall nicht alleine lösen lassen.
Ein absoluter Horror im Online-Coaching ist, wenn während des Coachings die Internetverbindung ausfällt, die Kamera nicht mehr benutzbar ist, der Ton weg ist etc. Ein Vertagen ist oft die einzig wirkliche Lösung. Schade, wenn dadurch der Coachingprozess unterbrochen wird und man wichtige Zeit verliert. Ebenso nachteilig wirken sich bei Online-Coachings die stark reduzierte Methodeninterventionsmöglichkeiten aus. Auch wenn die Coaches noch so erfinderisch mit Gläsern und Utensilien am Schreibtisch agieren oder verbal durch Methoden führen. Der Effekt und das Ergebnis halten keinem Vergleich mit dem Präsenzerleben stand. Die Reduktion auf den Dialog lässt die Vielfalt an Interventionsmöglichkeiten deutlich schrumpfen und verlängert die Coachingdauer.
Wie haben sich die Themen verändert?
Eine Krise braucht schnelle Entscheidungen in der Gegenwart. Die Themen sind konkret und kurzfristig. Das ruft auch im Business-Coaching nach theoretischen Inputs, inhaltlichen Lösungsangeboten und Entscheidungshilfen. Coaching wurde daher tendenziell zur Beratung – und das ist online wunderbar inhaltlich und settingmäßig machbar.
Für professionelle Business-Coaching-Sessions, in denen intensiv reflektiert wird – beispielsweise zur Strategie- und Lösungsfindung bei komplexen Themenstellungen – ist eindeutig dem Präsenzsetting Vorzug zu geben. Führungskräfte haben dem intuitiv Rechnung getragen und so ist es nicht verwunderlich, dass sie während der Lockdowns bereits gestartete Coachings aussetzten und auf Präsenztreffen gewartet haben. Es gibt ein schwer zu beschreibendes, absolutes Highlight-Erlebnis im Präsenz-Coaching, das auf dem non-verbalen, emotionalen und mentalen Austausch zwischen Coach und Coachee basiert. Man könnte es behelfsmäßig als »Energie zur Verfügung stellen« auf der emotionalen Ebene und »intuitiv die richtigen Fragen stellen und Methoden auswählen« auf der mentalen Ebene bezeichnen. Beide Phänomene unterstützen neben qualitativ hochwertigen inhaltlichen Ideen, Lösungen und Ergebnissen auch die hohe Wahrscheinlichkeit der Umsetzung und eine persönliche Tiefenentspannung, die im dislozierten Online-Coaching nicht annähernd erreicht werden kann. Das macht bei der Bewältigung von tief greifenden und komplexen Themenstellungen einen riesen Unterschied. Präsenz-Coaching ist da absolut der Vorzug zu geben!
Was ist in naher Zukunft die größte Herausforderung, der wir uns zu stellen haben?
Aus heutiger Sicht gibt es kurz- und mittelfristig zwei große Themen, die dringend Lösungen bedürfen. Eines davon stellt die rasch zunehmende Kurzfristigkeit der Terminorganisation dar. Sie führt aus wirtschaftlichen Überlegungen zu Über- und Mehrfachbuchungen, so wie wir es bereits seit geraumer Zeit in der Ticketszene erleben. Was aber tun, wenn der Mensch mit seiner zeitlich verknappten Ressource, die im Vergleich zu beispielsweise Veranstaltungen oder Linienflügen nicht so einfach erweiterbar ist, auf den einkalkulierten Ausfällen sitzen bleibt, weil sie nicht eintreffen? Ärger bei und mit den Kunden ist damit vorprogrammiert. Trotzdem sitzen wir immer öfter in Termindilemmas, was zur stellenweisen Überforderung bei den Betroffenen führt: »Ich könnte täglich mehrmals bei drei Meetings auf einmal teilnehmen«, ist der O-Ton einer Führungskraft stellvertretend für viele andere. Das sorgt für Unzufriedenheit sowohl bei den Meetingorganisatoren als auch bei den Meetingteilnehmern. Man riskiert permanent, dass man wichtige Informationen oder Entscheidungen nicht treffen kann, weil die betroffenen Personen nicht vollzählig zu versammeln sind. Zu hoffen ist, dass die Meetingkonzentration wieder abnimmt, wenn die Rückkehr aus den Home-Offices in die Büros stattgefunden hat, weil die passive Kommunikation durch das Mithören im Großraumbüro und in der Kaffeeecke die aktive Kommunikationserfordernis entlastet.
Ein anderes, mindestens genauso schwer wiegendes Thema ist der Trend, den Hotellerie und Gastronomie schon seit Längerem kennen: die Unverbindlichkeit bei Buchungen jeglicher Art wie Räume, Menschen, Waren. Wir sagen zu und sagen ab – oftmals in letzter Sekunde, weil wir das seit Corona auch noch verstärkt ohne Konsequenzen machen dürfen, denn Stornogebühren gehören der Vergangenheit an. Das bringt zwar Flexibilität, aber wenn sie im wirtschaftlichen Miteinander zur generellen Unverbindlichkeit gesteigert wird, führt sie bei allen Beteiligten zu Verlusten. Denn der bankrotte Lieferant ist nicht mehr buchbar und die dadurch bewirkte Verknappung des Angebotes führt à la longue zur Verteuerung. Das ist zwar ein schleichender aber dennoch ständig fortschreitender Prozess. Verbindlichkeit, Handschlagqualität und Verlässlichkeit sind Werte, die eine starke Betonung brauchen, um der Unverbindlichkeit Einhalt gebieten zu können. Dafür braucht es Einsicht oder spürbare Konsequenzen. Dieser Ausgang ist leider derzeit – ohne zu pessimistisch klingen zu wollen – ungewiss!