Die Angst vor Diskriminierung am Arbeitsplatz ist für Homosexuelle groß. TRAiNiNG hat bei Betroffenen nachgefragt und Interessantes erfahren.
Laut einer Studie der Universität Köln haben in Deutschland 75 % der homosexuellen Frauen und Männer Diskriminierung am Arbeitsplatz mindestens einmal erlebt oder im unmittelbaren Freundeskreis davon gehört. Laut einer Studie der Agentur der EU für Grundrechte (FRA) haben 26 % der Homosexuellen und 35 % der Transgender-Personen innerhalb der letzten 5 Jahre wegen ihrer sexuellen Orientierung oder Geschlechtsidentität körperliche oder verbale Angriffe erfahren.
(Quelle: www.wien.gv.at/menschen/queer/-diskriminierung/zahlen.html)
Outing: ja oder nein?
Lotte und Martina (Namen von der Redaktion geändert) sind seit einiger Zeit ein lesbisches Paar und arbeiten gemeinsam auf einer Station in einem Wiener Spital. Beide haben sich bereits im Freundeskreis geoutet, wollen es aber nicht in der Arbeit. Martina: »Ich war früher mit einem Mann verheiratet und habe zwei erwachsene Kinder. Meine Arbeitskollegen kennen mich als verheiratete Frau mit Familie. Wenn ich mich jetzt outen würde, hätte ich einen riesigen Erklärungsbedarf. Kurz nach der Scheidung wollte ich nicht darüber reden, und jetzt ist es zu spät. Es ist für mich einfacher, mich nicht zu outen.«
Auch Vorerfahrungen spielen hier natürlich mit hinein. Lotte hat bei einem früheren Job in einem anderen Spital negative Erfahrungen gesammelt: »Mich hat eine Kollegin zufällig privat beim Einkaufen mit meiner damaligen Freundin gesehen und das sofort im Spital weitererzählt. Es wurde dann hinterrücks gelästert und getratscht, was nicht wirklich schön ist. Die Vorgesetzten haben sich nicht eingeschaltet. Ich wurde aber auch nicht in irgendeiner Weise sanktioniert. Außer blöden Sprüchen war es danach »business as usual«.
Was spricht nun dagegen, sich am Arbeitsplatz zu outen? Martina: »Ich sehe mehrere Probleme damit verbunden, auch weil wir auf der gleichen Station arbeiten. Dann wird viel hinter uns geredet und vielleicht wird es mühsam, gleichzeitig Urlaube zu bekommen oder Dienstwünsche werden nicht mehr so berücksichtigt etc.«
So wie es Martina und Lotte geht, geht es vielen homosexuellen Paaren in Österreich. Während bei manchen großen Unternehmen heute Gleichstellung im Betrieb großgeschrieben wird, spielt dieses Thema in vielen kleineren Unternehmen noch keine bzw. nur eine geringe Rolle – vor allem in ländlichen Gegenden. Demnach ist es nicht erstaunlich, dass über die Hälfte der Schwulen und Lesben am Arbeitsplatz nicht offen darüber reden. Häufig wissen es die Beteiligten untereinander, aber der Rest des Unternehmens hat keine Ahnung. So auch im Fall von Lotte und Martina. »Ich fühle mich im Krankenhaus nicht alleine. Ich weiß von vielen Kollegen und Kolleginnen, egal ob Pfleger oder Ärzte, das sie schwul oder lesbisch sind. Aber es wird einfach nicht darüber gesprochen, sondern ein Lügenkonstrukt aufgebaut. Auffallend ist, dass bei uns Schwule eher geoutet sind als Lesben«, erzählt Lotte.
Martina ergänzt: »Wir haben eine einzige Kollegin, die offen darüber spricht, von der es jeder weiß, dass sie lesbisch ist. Weil sie so fest dazu steht, hört man auch kaum etwas Negatives. Nur ganz selten kommen blöde Sprüche. Sie wird also in keiner Weise diskriminiert.«
Und auch das gibt es häufig: Angst vor Diskriminierung oder die Sorge, den Kollegen eine Angriffsfläche zu bieten. Dabei sind die Ängste oft unnötig. Die Reaktionen nach einem Outing sind meist weniger schlimm als erwartet. Das bestätigt auch eine Umfrage des psychologischen Instituts Köln: Von denen, die sich outeten, sagten 92 %, dass die Kollegen überwiegend positiv reagierten. Über den Chef sagten das immerhin 85 %.
Astrid Weinwurm-Wilhelm ist unter anderem Obfrau des Vereins »Queer Business Women«. Das Ziel des Vereins ist es, lesbische Lebensformen in der Arbeitswelt in ihrer Vielfalt sichtbarer zu machen und zur Verbesserung der Erwerbsbedingungen lesbischer Frauen beizutragen. Weinwurm-Wilhelm: »Es ist schwierig, wenn am Arbeitsplatz Freundschaften geknüpft werden, und das Thema Sexualität stets ausgeklammert werden muss.« Sexualität ist keine Privatsache mehr. Denn es wird häufig am Arbeitsplatz darüber gesprochen. Wenn Homosexuelle zum Beispiel glücklich in einer neuen Beziehung sind, es sich aber nicht zu erzählen trauen, ist das durchaus demotivierend. Bei homosexuellen Partnerschaften geht es ebenso wenig ausschließlich um Sexualität wie in heterosexuellen: Es geht um ein Lebenskonzept mit Verpflichtungen und Verantwortungen. Astrid Weinwurm-Wilhelm weiter: »Stellen Sie sich vor, Sie sind heterosexuell und niemand weiß es. Das ist unglaublich mühsam. Genauso geht es vielen nicht geouteten Homosexuellen.«
Meritus
Mit der Auszeichnung »meritus: lesbisch schwul ausgezeichnet« werden Organisationen prämiert, die sich im Diversity Management in der Dimension sexuelle Orientierung besonders engagieren. Seit der ersten Verleihung im Jahr 2009 wird der Preis zweijährlich verliehen. Das Projekt wird durch Bund, Länder, Sozialpartner und andere Organisationen gefördert. Organisationen, die sich mit der Diversity-Dimension sexuelle Orientierung auseinandersetzen, tun dies, weil sie erkannt haben, dass die Wertschätzung der Mitarbeiter in ihrer Gesamtheit dazu beiträgt, die Arbeitszufriedenheit, Loyalität und Arbeitsleistung zu erhöhen. Im Jahr 2013 ging der Diversity-Preis an die MedUni Wien, die Boston Consulting Group und brainworker. Im Herbst 2015 wird der Award zum vierten Mal vergeben. Unternehmen können sich noch bis zum 10. September unter www.meritus.or.at informieren und anmelden.
Was können Unternehmen tun?
Das ständige Versteckspiel mindert nicht nur die Lebensqualität der betroffenen Mitarbeiter, sondern auch ihre Arbeitsleistung: Wer sich nicht outet, muss seine Identität verleugnen, Partner erfinden und Telefongespräche verfälschen. Es geht soweit, dass Fotos von einer »anderen« Familie auf den eigenen Schreibtisch gestellt werden, um zu zeigen, dass man »ganz normal sei«. Obwohl sich – wie schon beschrieben – größere Unternehmen durchaus mit dem Thema Diversity beschäftigen, ist die Dimension der sexuellen Orientierung noch in den Kinderschuhen. Martina: »Bei uns im Spital gibt es sehr wohl einen Diversity-Beauftragten, aber es geht hier fast ausschließlich um die Diskriminierung von verschiedenen Ethnien.« Moderne Unternehmen nutzen die Vielfalt und schaffen eine positive Unternehmenskultur.
Astrid Weinwurm-Wilhelm gibt dazu Tipps: »Wichtig ist einerseits, das Thema im Leitbild verankert zu haben und wirklich vorzuleben. Manche Unternehmen zählen sogar ganz bewusst alle sexuellen Orientierungen auf. Das Thema muss sich durch das ganze Unternehmen ziehen, dafür muss ein Rahmen geschaffen werden – beispielsweise bei Einladungen zu Firmenfeiern: Es darf eben nicht nur stehen, dass der Ehepartner eingeladen ist, sondern dass auch gleichgeschlechtliche Partner gerne willkommen sind.« Hilfreich sind auch firmeninterne Netzwerke für schwule und lesbische Mitarbeiter. Entscheidet man sich für ein Outing, können Neulinge in einer Firma am besten im Gespräch mit Kollegen nebenbei die Wochenendausflüge mit dem Partner einfließen lassen. Wer schon einige Jahre im Unternehmen arbeitet, hat es natürlich schwerer. Ob Berufstätige dann zuerst mit dem Vorgesetzten oder den Kollegen sprechen oder einfach den Partner zu einer Firmenveranstaltung mitbringen, muss jeder mit sich selbst ausmachen. Wichtig bei einem Outing ist es, Verständnis für Reaktionen zu haben, die zunächst einmal unerwartet sind. Kommt zunächst ein blöder Kommentar, ist der zwar ärgerlich – häufig lässt er sich aber mit der Verunsicherung der Kollegen erklären. Arten die Bemerkungen jedoch in Mobbing oder Diskriminierung aus, sollten Mitarbeiter sich an den Vorgesetzten oder den Betriebsrat wenden.