Praxisfragen: Massenkündigungen

Fehler bei der Prüfung der rechtlichen Voraussetzungen für eine »Massenkündigung« können für den Arbeitgeber teuer werden. Dieser Artikel bietet eine erste Hilfestellung.

»Massenkündigungen« und das dabei einzuhaltende »Frühwarnsystem« sind den meisten Unternehmen vor allem im Zusammenhang mit Medienberichten über Betriebsschließungen und einer entsprechend große Anzahl an gleichzeitig vom Arbeitgeber auszusprechenden Kündigungen ein Begriff. Dass in bestimmten Konstellationen aber auch eine vergleichsweise geringe Anzahl an Kündigungen ohne Betriebseinschränkungen o. Ä. die Kriterien der »Massenkündigung« erfüllen kann und zudem auch einvernehmliche Auflösungen unter Umständen bei der Berechnung zu berücksichtigen sind, ist in der (Personal-)Praxis nicht jedem bekannt und kann bei Unterlassung der Meldung an das AMS zu erheblichen finanziellen Nachteilen für das betroffene Unternehmen führen.

Schwellenwerte und Zeitfenster

Arbeitgeber, die beabsichtigen, eine bestimmte Anzahl an Arbeitsverhältnissen innerhalb eines Zeitraums von 30 Tagen aufzulösen, haben darüber vorab die zuständige Regionalstelle des AMS zu verständigen. Aus § 45a AMFG (Arbeitsmarktförderungsgesetz) ergeben sich Schwellenwerte, die im Wesentlichen von der Betriebsgröße abhängen, ab denen die Anzeigepflicht ausgelöst wird. Bei 21 bis 99 Beschäftigten im Betrieb besteht diese Pflicht z. B. bereits bei 5 beabsichtigten Beendigungen innerhalb eines Zeitraumes von 30 Tagen. Vorsicht ist vor allem bei der Auflösung von Dienstverhältnissen mit Arbeitnehmern geboten, die das 50. Lebensjahr bereits vollendet haben. Hier lösen bereits fünf beabsichtigte Beendigungen innerhalb eines Zeitraums von 30 Tagen, und zwar unabhängig von der Betriebsgröße (!), die Meldepflicht gemäß § 45a AMFG aus.

Relevanter Betriebsbegriff

§ 45a AMFG ist nach der aktuellen Rechtsprechung des EuGH i.S.d. Massenentlassungs-RL auszulegen. Insofern muss bei der Beurteilung, ob überhaupt ein »Betrieb« mit der relevanten Anzahl an Beschäftigten vorliegt, auch auf den Betriebsbegriff der Massenentlassungs-RL Bedacht genommen werden, der weiter gefasst ist als die Definition des »Betriebes« nach dem österreichischen Arbeitsverfassungsgesetz (ArbVG). Im Ergebnis kann die Frühwarnpflicht nach § 45a AMFG daher bereits dann ausgelöst werden, wenn die Schwellenwerte in einzelnen Arbeitsstätten oder in einzelnen, organisatorisch nicht (völlig) eigenständigen Betriebsteilen überschritten werden, die über ein gewisses Maß an organisatorischer Struktur sowie über entsprechende technische Mittel im Hinblick auf die Erfüllung bestimmter Aufgaben verfügen, auch wenn sie keine Betriebe i.S.d. ArbVG sind.

Anzuzeigende Beendigungsarten

Von § 45a AMFG erfasst sind alle Arbeitgeberkündigungen. Darüber hinaus müssen auch vom Arbeitgeber initiierte einvernehmliche Auflösungen von Arbeitsverhältnissen dem AMS angezeigt und auf die Schwellenwerte angerechnet werden. Bei vom Arbeitnehmer initiierten Beendigungen innerhalb des relevanten Zeitfensters ist daher tunlichst darauf zu achten, dass die entsprechende Initiative schriftlich dokumentiert wird.

Erfasste Personen

Von der Anzeigepflicht sind nach dem Gesetzeswortlaut in § 45a AMFG nur echte Arbeitsverhältnisse erfasst, nicht hingegen freie Dienstverhältnisse. Nach der Rechtsprechung des OGH ist auch die Auflösung von Arbeitsverhältnissen geringfügig Beschäftigter zu berücksichtigen. Der EuGH hat in einer kürzlich ergangenen Entscheidung festgehalten, dass auch der Arbeitnehmerbegriff europarechtskonform auszulegen und demnach auch die Auflösung des Dienstverhältnisses mit einem GmbH-Geschäftsführer bei der Berechnung der erwähnten Schwellenwerte mit zu berücksichtigen ist. Dieser könne nämlich trotz seiner Leitungsfunktion jederzeit gegen seinen Willen abberufen werden und unterliege den Weisungen und der Aufsicht der Gesellschafterversammlung.

Bewegliches Zeitfenster

Anzeigepflichtig ist die beabsichtige Auflösung von Arbeitsverhältnissen innerhalb eines Zeitraums von 30 Tagen. Für die Feststellung, ob eine anzeigepflichtige Auflösung von Arbeitsverhältnissen innerhalb dieses Zeitraumes vorliegt, ist der Zeitpunkt des Ausspruchs der Kündigungen und nicht der Zeitpunkt des tatsächlichen Endes der Arbeitsverhältnisse relevant. Maßgeblich ist sohin jener Zeitpunkt, in dem der Kündigende die Kündigung aus seinem Herrschaftsbereich entlässt, also das Kündigungsschreiben z. B. zur Post gibt, dieses einem Boten mit dem Auftrag übergibt, das Schreiben zu überbringen oder das Schreiben dem Gekündigten selbst ausfolgt. Auch bei vom Arbeitgeber initiierten einvernehmlichen Auflösungen kommt es auf den Zeitpunkt der Erklärung der einvernehmlichen Auflösung innerhalb des 30-tägigen Zeitraums und nicht auf den vereinbarten Beendigungstermin an. Der 30-tägige Zeitraum des § 45a AMFG verschiebt sich kontinuierlich. Der Arbeitgeber kann daher durch entsprechende zeitliche Streuung von Kündigungen bzw. einvernehmlichen Auflösungen das Erreichen der Schwellenwerte verhindern.

Unterschiedliche Praxisansichten

Praktische Schwierigkeiten bei der Anwendung der oben erwähnten Regelungen bereitet u. a., dass betreffend den Zeitpunkt der Auslösung der Meldepflicht unterschiedliche Meinungen bestehen. Neben der oben geschilderten und herrschenden Ansicht, es komme darauf an, ob die beabsichtigten Auflösungen innerhalb eines 30-Tage-Zeitraums stattfinden, existiert in der Praxis auch die Mindermeinung, es käme auf den Zeitpunkt der Mitteilung(en) an den Betriebsrat über die geplante Zahl an Kündigungen bzw. vom Arbeitgeber initiierten einvernehmlichen Beendigungen innerhalb von 30 Tagen an. Abzuraten ist daher von allgemeinen, rechtlich nicht gebotenen Vorabmeldungen an den Betriebsrat vor Einleitung des betrieblichen Vorverfahrens (das bei Kündigungen gesetzlich verpflichtend ist).

Rechtsunwirksamkeit der Auflösungen

Kündigungen, die eine Auflösung von Arbeitsverhältnissen in einer laut § 45a AMFG relevanten Anzahl bezwecken, sind alle rechtsunwirksam, wenn sie vor Einlagen der Anzeige beim AMS oder innerhalb der 30-tägigen Sperrfrist nach Einlangen der Anzeige (sofern nicht eine vorherige Zustimmung der Landesgeschäftsstelle des AMS erfolgt) ausgesprochen werden. Betroffene Arbeitnehmer können die Rechtsunwirksamkeit der ihnen gegenüber ausgesprochenen Kündigung mittels Klage auf Feststellung des aufrechten Bestandes des Arbeitsverhältnisses geltend machen, was bei erfolgreicher Klagsführung – abhängig vom Zeitpunkt der Klage und den einzuhaltenden Kündigungsfristen und -terminen – zu u. U. erheblichen Nachzahlungen führen kann. Allerdings trifft den angeblich unwirksam gekündigten Arbeitnehmer hierbei eine Aufgriffsobliegenheit; er kann daher nur innerhalb enger zeitlicher Grenzen ab Kenntnis der (behaupteten) Unwirksamkeit seiner Kündigung die Fortsetzung seines Arbeitsverhältnisses verlangen.

Was Arbeitgeber tun können

Der Arbeitgeber muss sich daher gut überlegen, ob bei Kündigungen bzw. von ihm veranlassten einvernehmlichen Auflösungen in größerer Anzahl mit den Beendigungen zugewartet und diese daher – sofern sie überhaupt erfolgen – zeitlich gestreut werden können. Andernfalls sollte in Zweifelsfällen besser eine (an sich unkomplizierte) Meldung an das AMS erfolgen, wobei dieser nachweislich eine Konsultation mit dem Betriebsrat (soweit vorhanden) vorangehen muss. In der Praxis werden häufig viel mehr Mitarbeiter zum Frühwarnsystem angemeldet als in der Folge tatsächlich ausscheiden. Zudem sind die erwähnten unterschiedlichen Ansichten in der Praxis zur Auslösung der 30-Tage-Frist zu berücksichtigen und Informationen an den Betriebsrat über beabsichtigte Personalreduktionen entsprechend koordiniert zu erteilen.

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Vogt-Majarek

Gastautorin
Birgit Vogt-Majarek

ist Rechtsanwältin mit Schwerpunkt Arbeits- und Gesellschaftsrecht und Partnerin der Kanzlei Kunz Schima Wallentin Rechtsanwälte OG (KSW).

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