Eine Führungskraft sollte eine eierlegende Wollmilchsau sein. Sie muss das komplette Unternehmen und alle Abläufe kennen und die Zusammenhänge verstehen. Sie sollte in der Lage sein, ein Team zu führen und zu motivieren. Zu alledem sind auch Methodenkenntnisse aus dem Projektmanagement eine starke Erleichterung für den Arbeitsalltag. Warum das so ist, und welche Skills besonders relevant sind, haben wir für Sie recherchiert.
Die Aufgabe einer Führungskraft ist es, ihr Team zu führen. Das ist natürlich stark vereinfacht. Wenn wir die Aufgaben etwas genauer ansehen, fallen Schlagworte wie Menschen fördern, Systeme schaffen, delegieren, kontrollieren, rekrutieren, kündigen etc. Es geht jedenfalls darum, das Verhalten des Teams so zu beeinflussen, dass Unternehmensziele erreicht werden. Häufig diskutiert werden Eigenschaften, die erfolgreiche Führungskräfte mit sich bringen müssen: Glaubwürdigkeit, Verlässlichkeit, entscheidungsfreudig, delegationsbereit, offen für Änderungen, Menschlichkeit etc. sind nur einige davon.
Doch auch das Wissen über Projektmanagement ist heutzutage für Führungskräfte im Alltag hilfreich. Warum das so ist, und für welche Führungskräfte es relevant ist, haben wir einige Experten aus der Branche gefragt. Wolfgang Rabl (CEO next level consulting Österreich GmbH): »Projektmanagement Wissen ist definitiv fokussiert auf die potenzielle Zusammenarbeit mit Projektmanagern. Wobei anzumerken ist, dass Know-how in Bezug auf strukturiertes Arbeiten, vor allem auch für Führungskräfte, nie verkehrt sein kann.«
Lorenz Gareis (Principal Consultant bei Roland Gareis Consulting GmbH) hat eine prägnante und klare Ansicht, warum Führungskräfte PM-Wissen haben sollten: »Projektmanager haben ein Recht auf Führung. Daher müssen auch die Vorgesetzten von Projektmanagern im Projektmanagement qualifiziert sein.«
Qualifiziert heißt aber nicht zertifiziert, aber dazu später.
Günter Rattay (Geschäftsführer Primas CONSULTING GmbH): »Führungskräfte müssen neben ihren angestammten Aufgaben selbst auch Projekte leiten, oder als Projektauftraggeber strategisch steuern. Vor allem die zukunftsgerichteten Entwicklungen (Organisationsveränderungen, Produkt- oder Dienstleistungsentwicklungen …), die über den Routinebetrieb hinausgehen und mit anderen Bereichen gemeinsam gemacht werden, sind Projekte, die von den Führungskräften in der Linie geleitet oder strategisch gesteuert werden sollten. Führung von Projektteams heißt in der Regel, ein herausforderndes Ziel erreichen zu müssen, auch ohne formale Macht. Auch in übergreifenden Aufgaben in der Linie sind Führungskräfte mehr denn je damit konfrontiert, mit nutzenorientierter Kommunikation, mit gezieltem Stakeholdermanagement, mit Abstimmung und Einbindung anderer ihre Ziele zu erreichen. SMART führen ohne Macht ist eine der wichtigsten Kompetenzen der Zukunft, für Projektleiter und Führungskräfte.«
Es gibt heute kaum noch ein Unternehmen, in dem größere Veränderungsvorhaben, Umstrukturierungen etc. nicht über eine projektartige Struktur abgewickelt werden. Eine gute und bewährte Führungskraft aus der Linienorganisation ist nicht automatisch eine gute Führungskraft in Projekten. Laut einer Untersuchung der Deutschen Gesellschaft für Projektmanagement aus dem Jahr 2012 verbringen 50 % der Beschäftigten in Deutschland ihre Zeit in Projekten.
Gernot Winkler (Managing Partner pmcc consulting GmbH): »Die zunehmende Projektorientierung in Unternehmen verlangt von Führungskräften immer häufiger ein gewisses Maß an Projektmanagement-Know-how. Dabei ist kein Expertenwissen, sondern die Fähigkeit gefragt, den Status von Projekten richtig einzuschätzen, über die Auswahl von Projekten zu entscheiden und die Ressourcen adäquat zu managen. Denn erst dann ist ein Unternehmen in der Lage, Projekte professionell zu managen und Strategien umzusetzen. Das bedeutet: Führungskräfte spielen in projektorientierten Organisationen eine zentrale Rolle. Einerseits sind sie als potenzielle Projektauftraggeber bzw. Mitglieder eines Lenkungsausschusses elementarer Bestandteil einer Projektorganisation, andererseits stellen sie Kraft ihrer Linienposition die notwendigen Ressourcen zur Durchführung von Projekten zur Verfügung. Commitment der Führungskräfte zu den bestehenden Projektmanagement-Standards und -Prozessen im Sinne einer Leitkultur ist einer der Erfolgsfaktoren in projektorientierten Organisationen.«
Doch es gibt auch Parallelen zwischen Linienführung und Führung in Projekten.
Brigitte Schaden (Vorstandsvorsitzende pma und Chairman GAPPS): »Professionelles Projektmanagement bedeutet, effizient und effektiv zu Ergebnissen zu kommen. Das ist ein Erfolgskriterium, das nicht nur für das Projektmanagement, sondern genauso auch für das Linienmanagement gilt. Außerdem können Führungskräfte mit PM-Know-how meist professioneller Aufgaben verteilen. Sie können die Kompetenzen der Mitarbeiter besser einschätzen, sie dadurch zielführender einsetzen und ihnen mehr Gestaltungsfreiräume geben. Kriterien, die sowohl für die Führungskraft, als auch für die Mitarbeiter arbeits- und lebenserleichternd sind. Fakt ist jedenfalls: Unsere Arbeitswelten verändern sich. Unsere Arbeitsweisen und unsere Jobprofile werden komplexer und anspruchsvoller. Und damit einhergehend auch die Anforderungen an Führungskräfte. Führungskräfte ohne ein Basiswissen in Projektmanagement werden in Zukunft kaum mehr reüssieren können.«
Auch Wolfgang Rabl ist davon überzeugt, dass Projektmanagement-Know-how für Führungskräfte erfolgsentscheidend sein kann und wird: »Führungskräfte nehmen in projektorientierten Unternehmen zwei zentrale Funktionen wahr: Erstens, als Projektauftraggeber ist die Führungskraft ›Eigentümer‹ des Projektes und stellt damit dem Projekt Ressourcen (Personal und Budget) zur Verfügung. Als oberste Entscheidungsinstanz unterschreibt der Projektauftraggeber den Projektauftrag, trifft Grundsatzentscheidungen in Bezug auf Leistungen, Termine und Ressourcen (Personal, Kosten) und gibt Projektfortschrittsberichte frei. Zum Projektabschluss verantwortet er die Projektabnahme und entlastet den Projektleiter. Zweitens, in der Linienfunktion stellt die Führungskraft Personalressourcen in erforderlicher Qualität und ausreichender Quantität für Projekte zur Verfügung. Das ist für Führungskräfte eine zentrale Herausforderung, da die Projekte in der Regel nicht direkt auf die Ziele jeder beteiligten Organisationseinheit einzahlen. Die Führungskraft ist dann nicht mehr und nicht weniger als ein Ressourcenpoolmanager, der die Verantwortung trägt, Know-how und Kapazität für eine interdisziplinäre Aufgabenstellung bereitzustellen. Ein ausgeprägtes Projektmanagement-Verständnis der Führungskraft ist daher Grundvoraussetzung für ein professionelles und erfolgreiches Projektmanagement in einem Unternehmen.«
Die entscheidenden Unterschiede zwischen einer Führungskraft in der Linie und einer Projekt-Führungskraft ergeben sich aus den Besonderheiten: Projekte sind meist etwas Neuartiges, haben ein begrenztes Budget und begrenzte Zeit, sind häufig risikobehaftet und komplex.
Inhalte
Das vorhandene und trainierbare Wissen rund um Projektmanagement ist enorm. Daher stellt sich die Frage, was davon für eine Führungskraft von Bedeutung sein kann.
Lorenz Gareis: »Die Anwendung von strukturiertem, ganzheitlichem und kontextorientiertem Denken sowie Hausverstand sind im generellen Management nicht verboten. Die Kenntnis der Projektmanagement-Methoden, um Projektpläne als eine wesentliche Grundlage der Projektkommunikation einsetzen zu können, erachte ich als überaus relevant für Führungskräfte jeglicher Hierarchiestufen. Aber genauso wichtig sind soziale Kompetenzen, um der sozialen Komplexität und der Dynamik von Projekten entsprechen zu können.«
Günter Rattay: »Führungskräfte sind heutzutage in einem Umfeld tätig, das sich durch hohe Komplexität und viele Widersprüche auszeichnet. Cutting complexity, Umgang mit Organisationswidersprüchen und Führen von Teams, auch ohne formale Macht, gehört mittlerweile zu den zentralen Kompetenzen von Führungskräften. Die genannten Anforderungen sind im Projektmanagement Umfeld nicht neu. Es gibt hier bereits sehr professionelle Lösungsansätze, mit denen viel praktische Erfahrung gesammelt wurde, wie z. B. Konzentration auf die erfolgskritischen Momente in der Führung (Momente der Wahrheit). Das sind meist Kommunikationssituationen, die eine große Hebelwirkung für den Erfolg haben!«
Brigitte Schaden: »Leadership-Skills sind wichtig, um Menschen von Ideen und Projekten zu überzeugen. Leadership selbst ist für mich gekennzeichnet durch eine motivierende Idee und ansteckende Begeisterung. Und die Fähigkeit, Schwierigkeiten und Rückschlägen unverzagt die Stirn zu bieten. Weiters halte ich Risikomanagement für wichtig. Die Aufgaben von Risikomanagement sind: Risikoidentifizierung, Risikobeurteilung, Risikobewältigung und Risikoüberwachung. Stakeholdermanagement hat ebenfalls eine enorm hohe Bedeutung. Denn diese Personen/Gruppen haben berechtigte – wenngleich auch oft gegensätzliche – Interessen am Verlauf und/oder Ergebnis eines Projektes bzw. Unternehmens. Und natürlich ist auch Konfliktmanagement eine essenzielle Aufgabe einer Führungskraft – egal ob im Projekt oder in der Linie. Auch wenn die Methoden des Projektmanagements dabei unterstützen, Konflikte zu reduzieren, da sie die Strukturen und Ziele von Projekten festlegen und so Unsicherheiten bzw. Unklarheiten beseitigen.«
Gernot Winkler: »Wesentlich für Führungskräfte ist es, einen Überblick über die relevanten Themen des Projektmanagements zu haben. Sie sollten die kritischen Erfolgsfaktoren kennen, um das Projektmanagement im eigenen Unternehmen analysieren zu können und Anstöße zur Optimierung des Einzel-, Projektportfolio- und Ressourcenmanagements geben zu können.
Denn erfolgreiche Projekte sind kein Zufall, sondern ein Ergebnis durchdachter Prozesse und etablierter Standards, was bedeutet, dass in diesen Unternehmen nicht nur auf Projektebene, sondern auch auf Ebene des Portfolio- und Ressourcenmanagements professionell gearbeitet wird. Dementsprechend müssen Führungskräfte keine PM-Experten werden. Aber: Sie müssen – vollständig in der Themenvielfalt und reduziert in der inhaltlichen Komplexität – genug wissen, um die richtigen Entscheidungen für ihr Unternehmen treffen zu können! Auch betreffend Projektmanagement-Methoden, Instrumente und Tools geht es für Führungskräfte weniger um Wissenstiefe als um Wissensbreite im Sinne einer einheitlichen Sprache und Kultur. Essenziell ist die aktive Wahrnehmung der Rollen Projektauftraggeber (Lenkungsausschuss) und/oder die Bereitstellung der organisatorischen Rahmenbedingungen zur professionellen Abwicklung von Projekten.«
Zertifizierungen
Im Projektmanagement gibt es zahlreiche Zertifizierungsstufen mehrerer Verbände. Die IPMA bietet z. B. ein vierstufiges Zertifierzungssystem an, Prince2 und PMI bieten jeweils drei Zertifizierungsstufen an. Die jeweiligen Stufen unterscheiden sich in Inhalt und Umfang voneinander. Ist es für eine Führungskraft sinnvoll und wichtig, sich den teils anspruchsvollen Zertifizierungsprozessen zu stellen?
Gernot Winkler: »Primär wendet sich eine Zertifizierung an Personen, die gegenwärtig bzw. zukünftig Projekte leiten. Da Führungskräfte nur in seltenen Fällen operativ Projekte leiten, ist eine Zertifizierung zwar hilfreich, jedoch nicht zwingend notwendig.«
Wolfgang Rabl: »Aus unserer Sicht zahlt sich eine PM-Zertifizierung für Führungskräfte nur dann aus, wenn kontinuierlich Programme oder sehr große Projekte von Führungskräften in der Rolle als Projektmanager übernommen werden sollen.«
Eine Führungskraft sollte sich also zumindest in Grundzügen über Projektmanagement informieren. Ein Einführungsseminar schafft Klarheit und ermöglicht, sich danach noch in weitere Spezialthemen zu vertiefen.