Die Digitalisierung hält auch im Bildungsbereich mit raschem Tempo Einzug. Was es in Österreich dafür noch braucht, lesen Sie in diesem Interview mit Valerie Höllinger.
Welche Herausforderungen stellt die Digitalisierung an Österreich? Wie kann sich das Land mit einer wissensbasierenden Ökonomie für die digitale Zukunft rüsten?
Wir stehen vor einer großen Veränderung, ähnlich der industriellen Revolution. Plötzlich gibt es Social Media, Cloud Computing, Cognitive Computing und all die anderen technologischen Entwicklungen, die sich unglaublich rasch abspielen. Dadurch bleibt in der Arbeitswelt kein Stein auf dem anderen. Einige Experten denken, dass 50 % der heutigen Tätigkeiten der Digitalisierung zum Opfer fallen. Andere widersprechen diesen Zahlen. Eine konkrete Prognose abzugeben, ist auch aus heutiger Sicht sehr schwierig. Fakt ist: Die Arbeitswelt wird sich maßgeblich verändern. Es geht hier aber nicht nur um Jobs für Niedrigqualifizierte. Es betrifft vielmehr alle Berufsfelder: vom Gärtner, der mit dem Internet of Things seine Bewässerung optimieren kann, über die Anwältin, die Roboter einsetzt, um sich durch Berge von Unterlagen, Gesetzesbüchern, Notizen und Anträgen zu wühlen, bis hin zur KFZ-Mechanikerin, die künftig quasi rollende Computer reparieren muss. Mit »Wir rüsten unsere IT auf« zu reagieren, ist keine Lösung. Wir müssen jetzt in die Schulung der Menschen investieren, Kompetenzen im IT-Umfeld, aber auch im kulturen- und branchenübergreifenden Zusammenarbeiten aufbauen. Hier sind Politik, Wirtschaft und jeder Einzelne von uns gefragt.
Gewinnt das Thema lebenslanges Lernen aus Ihrer Sicht also noch mehr an Bedeutung?
Es war nie wichtiger als jetzt. Die permanenten Veränderungen im Privat- und Arbeitsleben führen dazu, dass ein Schritthalten zur Herausforderung für alle wird. Die persönliche Aus- und Weiterbildung muss daher zum absoluten Leittopic für jeden werden. Und die Beobachtung der stetigen Entwicklung des eigenen Umfelds und die direkte Reaktion durch Aus- und Weiterbildung sind essenziell, um am Arbeitsmarkt bestehen zu können. Die Erwerbsbiografien haben sich schon vor dem Einzug der Digitalisierung verändert und den Job, den man mit 15 Jahren beginnt und bis zur Pensionierung ausübt, gibt es kaum noch. Jetzt in die eigene »Wettbewerbsfähigkeit« zu investieren, sollte daher im Interesse jedes Einzelnen sein. Gleiches gilt für die Unternehmen. Der Fachkräfte-Pool – gerade Menschen mit IT-Kompetenzen – ist noch überschaubar und alle Unternehmen fischen darin. Wer hier nicht den Kürzeren ziehen möchte, sollte seine eigenen Mitarbeiter weiterentwickeln und wirtschaftlich davon profitieren.
Wird der Schlüsselfaktor Bildung also auch für die Wettbewerbsfähigkeit des Standorts Österreich aus Ihrer Sicht immer entscheidender?
Absolut. Bildung ist die wichtigste Infrastruktur des Landes. Österreich kann nicht über den Faktor Kosten bestehen. Unser Wettbewerbsvorteil kann nur Know-how sein. Daher gilt es, neben dem Angebot moderner Ausbildung auch gegen den Brain Drain anzukämpfen. Wir bilden großartige junge Menschen aus und verlieren sie ans Ausland, weil sie dort bessere Rahmenbedingungen vorfinden, um innovativ zu sein. Wir brauchen eine andere Fehlerkultur, die es jungen Wissensträgern ermöglicht, auch etwas auszuprobieren. Und wir benötigen inspirierende Unternehmen. Nur so können wir inspirierte Menschen anziehen. Was aber noch wichtiger ist: Wir brauchen ein Umdenken bei der Bildungsfinanzierung. Lernen wird zu unserem permanenten Begleiter. Es kann aber nicht sein, dass die Lernenden mit den Kosten alleine gelassen werden. Hier stellt sich unter anderem die Frage der Finanzierbarkeit. Es wird notwendig sein, Co-Finanzierungsmodelle von Privaten, Unternehmen und der öffentlichen Hand in Form eines bei Bedarf abrufbaren Weiterbildungskontos anzudenken. Ein Teil dieser staatlichen Zuschüsse könnte wiederum durch eine für digitale Aus- und Weiterbildung zweckgewidmete Wertschöpfungsabgabe gespeist werden. Die Unternehmen, die von der Digitalisierung profitieren, sollten demnach einen Beitrag zur digitalen Bildung der Menschen leisten.
Wir scheinen uns gerade in unserer Entwicklung selbst zu überholen: Wieso ist es für die einzelnen Unternehmen, den einzelnen Arbeitnehmer überhaupt wichtig, mit dem Innovationstempo mitzuhalten?
Wer sich jetzt nicht verändert, wird verändert. Es ist keine Frage, ob die Digitalisierung einen Einfluss auf uns hat, sondern wie groß das Ausmaß ist. Es wäre sehr blauäugig, den Kopf in den Sand zu stecken und die »Digitialisierungsphase« aussitzen zu wollen. Schon in der Vergangenheit haben wir uns an neue Gegebenheiten anpassen müssen. Und durch das rasante Tempo wird diese Weiterentwicklung noch wichtiger, um in der Wirtschaft sowie am Arbeitsmarkt Chancen zu haben. Wer stehen bleibt, läuft Gefahr, links und rechts von jenen überholt zu werden, die ihre Digitalkompetenzen auf- und ausbauen.
Nun ist noch kein Meister vom Himmel gefallen. Wie sieht es mit dem Bildungsangebot im Bereich der Digitalisierung aus?
Wir haben in Sachen Digitalisierung und Bildung noch großen Aufholbedarf. Derzeit scheitern 900 000 Österreicher immer noch an grundlegenden IT-Anforderungen, die sie zur Ausübung ihres Jobs benötigen würden. Das sind aus unserer Sicht um 900 000 zu viel. Um diese Zahl gegen Null zu drücken, müssen wir an einigen Hebeln ziehen: So sollte die Digitalisierung fächerübergreifend frühzeitig in das Bildungssystem integriert werden. Damit das funktionieren kann, müssen wir natürlich auch die Pädagogen dahin gehend schulen und nicht zuletzt durch die verschwimmenden Grenzen zwischen den Disziplinen müssen neben den Digitalkompetenzen verstärkt auch Teamfähigkeit und Kooperationsfähigkeit ganz stark vermittelt werden.
Was kann das BFI Wien hier beitragen?
Wir haben uns zum Ziel gesetzt, Österreich jetzt digi-fit zu machen. Wir entwickeln daher täglich Kurse vom Basislevel bis zum Expertenstatus, die die Menschen bestmöglich auf die Digitalisierung vorbereiten. Bestes Beispiel: unser Ausbau des Programmiersprachen-Angebots. Ich bin überzeugt, dass heutige Marketingmitarbeiter um 20 % mehr verdienen, wenn sie auch Codingkompetenzen mitbringen. Oder unser Diplomlehrgang Innovationsmanagement: Wer nicht nur Ideen hat, sondern diese erfolgreich umsetzt und mit Design-Thinking-Wissen den Entwicklungszyklus reduzieren kann, wird sich den Arbeitgeber künftig aussuchen können. Selbiges gilt für Start-ups: Selbst mit der besten Geschäftsidee kann ich morgen wieder zusperren, wenn ich keine Ahnung von digitaler Vermarktung habe. Es muss unser Ziel sein, attraktive Arbeitsplätze in Österreich zu schaffen. Unser Beitrag ist es, hier die Menschen zu empowern und die digitale Fitness der Österreicher zu sichern. Und das wollen wir mit dem im Juni gestarteten Digi-Campus ermöglichen. Erstmals findet man künftig dieses umfassende Portfolio an Kursen im Digitalisierungsbereich an einem Ort übersichtlich zusammengestellt. Egal ob Programmieren, Design, Marketing, Projektmanagement oder der richtige Umgang mit den wichtigsten Anwendungsprogrammen – wer Know-how in Sachen Digitales sucht, wird hier fündig werden.
Wie sieht es in Österreich mit modernen Konzepten im Bildungsbereich aus, zum Beispiel E-Learning, Blended Learning?
Österreich hat noch Boden gut zu machen. Aber es tut sich vor allem in der Erwachsenenbildung mittlerweile einiges: Wir setzen bereits seit Jahren Lernplattformen wie Moodle und Co. ein. Auch im Bereich Webinare und Videolektionen haben wir maßgeblich aufgestockt. Und unser jüngster »Neuzugang« in Sachen Blended Learning ist KnowledgeFox – eine auf Mikrolernen spezialisierte Applikation. So ermöglichen wir Lernen in kleinen Schritten auf allen digitalen Kommunikationsgeräten, also Smartphones, Tablets, Notebooks, Laptops oder PCs, wobei hier Wissen nicht mehr linear in Aussagen vermittelt wird, sondern in Form von »Frage- und Antwort-Spielen«. Das war aber sicher noch nicht alles. Ich bin mir sicher, dass wir in den nächsten Jahren noch viele neue Lehr- und Lernformate sehen werden.