Selbstgesteuertes Lernen

In diesem Artikel lesen Sie wissenschaftliche Erkenntnisse zum Thema adaptive Lernumgebungen und über deren Chancen und Gefahren.

Mitarbeiter sind selbst für ihr Lernen verantwortlich. Laut Hays-HR-Report (2020) wird insbesondere von Führungskräften der Stellenwert für das lebenslange Lernen der Mitarbeiter als hoch eingeschätzt, allerdings sehen sowohl die Personalabteilungen, als auch Führungskräfte und Mitarbeiter selbst, die Verantwortung für das Lernen eher beim Mitarbeiter. (Erst sekundär werden hier die Führungskräfte genannt.)
Zudem treibt der schnelle, ortsunabhängige Zugang zu digitalen Lerninhalten eine Individualisierung des Lernens voran. Das Thema des selbstgesteuerten Lernens, bei dem die Lernenden selbst die Initiative ergreifen und, mit oder ohne Hilfe anderer, Lernbedürfnisse und Lernziele erfassen, mögliche personelle und materielle Lernressourcen wählen, passende Lernstrategien erarbeiten und letztendlich auch Lernergebnisse bewerten, wird hier relevant.

Auf der anderen Seite wird es von Unternehmen als zunehmend schwierig empfunden, die Lernzeiten und Lernerfolge zu erfassen, sowie einen Überblick über vorhandene und fehlende Kompetenzen der Belegschaft und einen Abgleich mit entsprechenden Schlüsselpositionen zu erhalten.

Adaptive Lernumgebungen

Adaptive Lernumgebungen könnten Abhilfe schaffen. Adaptive Lernsysteme oder intelligente Tutorensysteme werden zu »Lernassistenten«. Idealerweise passen sie sich dem Lernenden an. In Form von Kompetenzmessungen können Lernerfordernisse erfasst werden. Damit können zum Beispiel Lerninhalte, die bereits bekannt sind, übersprungen, andere wiederum vertieft bearbeitet werden. Je nach Lernpräferenz werden passende Unterrichtsstrategien angeboten und Lerninhalte zusammengestellt. Durch Feedback kann das Lernen adaptiert und letztendlich der Lernerfolg gemessen werden. Dabei ist nicht die Dauer des Lernens, sondern das Ausmaß des Erreichens des Lernergebnisses relevant. In Form von Blended Learning oder in Verbindung mit Coaching wird das Lernen mit anderen Menschen verbunden und bereichert. Grundsätzlich kann es aber auch ohne Lehrer oder Trainer erfolgen. Der Unterschied zum selbstorganisierten Lernen: die Einschätzung übernimmt ein Computer oder besser ein Algorithmus. Mittlerweile nutzen (nicht alle!) adaptiven Lernumgebungen Algorithmen. Künstliche Intelligenz (KI) kann weit mehr, schneller und genauer Informationen verarbeiten als herkömmliche Software. Damit wird es möglich, eine personalisierte Lernumgebung, ähnlich dem eines 1:1 Verhältnisses zwischen Lerner und Tutor zu kreieren. Für die Personalabteilung birgt das das Erfordernis, sowohl technische Kompetenz als auch Mittel zur Verfügung zu stellen. Im Gegenzug können z.B. Kompetenzen automatisch erfasst, mit Job-Profilen abgeglichen, und im Weiteren passende Lerninhalte kuratiert werden. Dies kann sowohl firmenintern als auch über die Firmengrenzen hinweg erfolgen. Ein durchaus spannender Aspekt auch für Mitarbeiter, die dadurch einen Vergleich ihrer Kompetenzen mit jenen am Arbeitsmarkt einsehen und entsprechende Weiterbildungen anstreben könnten.
Die Arbeit mit adaptiven Lernumgebungen folgt einigen Basisannahmen.
Erstens: Dem Lerner sollte bewusst sein, was er weiß und was er nicht weiß. Während der Lerner mit der Lernplattform interagiert, werden seine Daten (verwendete Zeit, Sicherheit der Anwendung) bewertet und die Inhalte entsprechend adaptiert. Kritisch kann hier der Zugang oder die Nutzungshäufigkeit der Lernplattform sein. Lernen geschieht in der Person selbst. Es kann also sein, dass der Lernende bereits gelernt hat und das Gelernte auch anwendet, seine Ergebnisse aber nicht im Lernsystem erfasst, z.B. aus Zeitgründen. Dann ist die Datenerfassung unvollständig und kann keine guten weiteren Ergebnisse erzielen.
Zweitens: Wenn man seine Schwächen versteht, kann man seine Lerntechniken entsprechend ausrichten und neue Lernwege beschreiten. Haben Lernszenarien zu keinem Erfolg geführt, können diese durch andere ersetzt werden. Sobald der Lernende einen Schritt weiter auf seinem Lernweg gegangen ist, wird er wieder eingeladen, neue Inhalte zu erlernen und somit wiederholt seine Komfortzone zu verlassen. Diese Vorgehensweise wäre auch für das Stärken stärken interessant, ist aber derzeit offenbar noch nicht im Einsatz.
Drittens: Lerner sollten herausgefordert, aber nicht überfordert werden. Das nötige Engagement und die Motivation zum Lernen soll durch den Aufbau von Selbstvertrauen erzielt werden. Kann ein Lerner eine Aufgabe mehrmals nicht erfolgreich beantworten, wird der Schwierigkeitsgrad automatisch gesenkt, um noch einmal an die bereits vorhandenen Kenntnisse anzuschließen und wieder Sicherheit herzustellen. Die Lernenden können sich so ausgiebig mit dem Lernmaterial beschäftigen, solange bis genügend Selbstbewusstsein besteht, das Erlernte auch in die Praxis umzusetzen. Vorteil kann hier sein, dass kein Konkurrenzkampf zu anderen Kollegen besteht, über ein bestimmtes Wissen schneller oder besser zu verfügen, sondern man tritt gegen sich selbst an. Auf der anderen Seite wird das Lernen durch den Austausch mit anderen an dieser Stelle nicht gefördert.
Viertens: Die Bildung des Langzeitgedächtnisses ist wichtig. Entsprechend der Vergessenskurve nach Ebbinghaus wird davon ausgegangen, dass Wissen nach einer bestimmten Zeit wieder in Vergessenheit gerät. Die adaptive Lernplattform errechnet anhand der vorhandenen Daten, den möglichen Zeitpunkt dieses Vergessens und greift dementsprechend Inhalte noch einmal auf.

Grenzen künstlicher Intelligenz

KI entfaltet dann ihre Wirksamkeit, wenn viele Menschen, die gleiche Technologie zum gleichen Zweck einsetzen. Zudem muss die Datenbasis genau sein. Ist sie dies nicht, folgen ungenaue Ergebnisse. In diesem Punkt wird um das Thema »Bias« gestritten. Unternehmen setzen künstliche Intelligenz ein, damit sie unvoreingenommene Entscheidungen z. B. über die Besetzung von Stellen treffen können. Auf der anderen Seite werden Algorithmen anhand von Daten trainiert, die aus dem Leben, Denken und Handeln von Menschen generiert werden. Sind diese von Verzerrungen geprägt, sind auch die Ergebnisse entsprechend verändert. Des Weiteren werden ethische Aspekte diskutiert, die sich auf die Privatsphäre der Mitarbeiter beziehen und der möglichen Kontrolle dieser ohne deren Wissen. In Bezug auf die Plattform-Anbieter ist hier darauf zu achten, welchem Land und welchen datenschutzrechtlichen Bedingungen diese zugehörig ist. Gegebenenfalls muss hier an die zumeist strengeren europäischen Bestimmungen angeglichen werden!

Nicht alle adaptiven Lernumgebungen arbeiten mit KI. Sollte man Wert auf KI-basierte adaptive Lernumgebungen legen, ist es wichtig, vorher abzuklären, was das jeweilige Produkt mit und ohne KI kann und welche tatsächlichen Verbesserungen sich dadurch ergeben. Des Weiteren sollte transparent sein, welche Daten und Rechenleistungen erforderlich sind und was mit den jeweilig gesammelten Informationen geschieht.
Adaptive Learning – ein Thema für die Zukunft? 52 % antworteten mit »Ja« (Poleshova, 2019).

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bärmann_steffi

Gastautorin
Steffi Bärmann
Academic ­Coordinator Human Resources ­Development, Training &
Coaching, ­Department of Management, Human Resources & ­Organisation Study Programs, FHWien der WKW.
steffi.baermann@fh-wien.ac.at