So lernen Menschen

Worauf es beim richtigen und effizienten Lernen ankommt, und wie es nachhaltig funktioniert, lesen Sie in diesem Artikel von Michael Smetana.

Jeder Lernvorgang verändert das Gehirn. Menschen können schon sehr früh auch komplexe Dinge lernen, wenn sie ihnen bunt und alltagsnah präsentiert werden. Sie erwerben in rasanter Geschwindigkeit Wissen, wenn sie dabei möglichst viel selbst ausprobieren und mit Gegenständen experimentieren, die sie aus ihrem Alltag kennen. Selbstständig eine Lösung zu finden, bereitet Menschen offensichtlich ungeheure Lust. Jedes Mal, wenn man ein Erfolgserlebnis hat, schüttet das Gehirn verstärkt Dopamin aus. Mit diesem körpereigenen Opiat belohnt sich der Mensch selbst. Ein Kind lernt daher dann am besten, wenn es Aufgaben selbstständig löst. Das Lustgefühl, das damit einhergeht, ist nachhaltiger als jede Belohnung von außen. Dann verlangt das Hirn nach immer neuem Lehrstoff, um seinen Dopaminhunger befriedigen zu können.
Kommunizieren zwei Menschen miteinander, so muss jede Botschaft vom Sender zum Empfänger erst mehrere Filter passieren:

Physische Wahrnehmungsfilter
Teile von gesprochenen Botschaften können am Weg vom Sender zum Empfänger verloren gehen. Sie können durch Hintergrundgeräusche wie z. B. Wind übertönt werden. Genauso kann es bei visuellen Botschaften passieren. Es kann sich ein unerwartetes Hindernis dazwischen schieben z. B.: ein anderer Mensch geht dazwischen vorbei und wir sehen nur einen Teil der Bewegungen. Fixe visuelle Botschaften (z. B.: Verkehrsschilder) können verdreckt sein. Oder sie sind einfach nicht ausreichend beleuchtet. Und schon geht ein Teil der Botschaft verloren.

Emotionale Wahrnehmungsfilter
Die zweite Hürde für jede Botschaft sind die emotionalen Filter des Empfängers. Ist der Empfänger überhaupt gerade empfangsbereit oder ist er emotional abgelenkt? Kennen Sie vielleicht folgende Situation? Ihr Partner sitzt gerade vor dem Fernseher und gönnt sich einen spannenden Film. Sie sagen etwas zu ihm und haben den Eindruck, er nickt dazu. Zufrieden betrachten Sie das Thema als erledigt. Doch was passiert dann? Hinterher hat er keine Ahnung mehr, was Sie gesagt haben und behauptet felsenfest, Sie hätten NIEMALS mit ihm darüber gesprochen.

Kognitive Wahrnehmungsfilter
Tilgen: Lernen bedeutet, Informationen so im Gehirn zu verankern, dass sie jederzeit abrufbar sind. Das Gehirn muss sich jedoch davor schützen, zu viel zu lernen. Denn jede Sekunde wetteifern unermesslich viele Eindrücke und Wahrnehmungen um seine Aufmerksamkeit. Würden sie alle gespeichert – das Hirn wäre binnen kürzester Zeit von einer Flut sinnlosen Datenmülls lahm gelegt. Mehrere Millionen Informationen (visuell, kinästhetisch, auditiv etc.) gelangen pro Sekunde in unser Gehirn. Aber: Nur ca. 40(!) Informationen davon kann das Gehirn pro Sekunden auch bewusst verarbeiten. Zunächst destilliert das Gehirn daher aus all den Gedanken, Sinnesreizen, Empfindungen und Erlebnissen jenen winzigen Teil heraus, den es für wichtig genug befindet, verarbeitet zu werden.

Verzerren: Diesen Extrakt gilt es dann zu ordnen. Die gewaltige Arbeit des Filterns und Sortierens wird vom Netzwerk der rund 100 Milliarden Nervenzellen im Kopf vollbracht, die wiederum an insgesamt rund 100 Billionen Kontaktstellen (»Synapsen«) miteinander verknüpft sind. Jeder Eindruck, jeder Reiz, jeder Sachverhalt, dem ein Mensch sich aussetzt, verändert dieses fein gesponnene Netz, indem er bestimmte Neuronenverbindungen stärkt und andere abschwächt. Dazu müssen natürlich erst einmal passende Anknüpfungspunkte an vorhandene Nervenzellen gefunden werden. Die erhaltene Information wird daher notfalls so lange interpretiert und verzerrt, bis ein brauchbarer Nervenknoten gefunden wird. Mit dem Prozess des Lernens, der Häufung der Impulse in bestimmten Bahnen, verstärken sich die Synapsen. Die weniger genutzten verkümmern. Je vielfältiger die Anregungen sind, desto komplexere Strukturen bilden sich. Bis zum Ende der Pubertät reift das Gehirn heran, dann ist das Netz fein geknüpft. Lernen besteht nun zumeist nur noch darin, bereits vorhandene Synapsen zu stärken oder zu schwächen. Gänzlich neue Nervenverbindungen hingegen werden kaum mehr hergestellt. Deshalb haftet Wissen um so schlechter im Gedächtnis, je später es erworben ist.

Generalisieren: Je dicker Synapsen einmal geworden sind, desto fester sind wir davon überzeugt, dass diese Verbindungen passen und die dazugehörigen Erfahrungen auch »richtig« sind. Wann immer wir in eine ähnliche Situation gelangen, werden wir daher auf genau diese Erfahrungen zurückgreifen.

Lohnt sich das überhaupt?

Möglichst handfeste, praxisnahe Didaktik wirkt auch deshalb so gut, weil es damit am ehesten gelingt, das natürliche Misstrauen zu überwinden, das jedem Gehirn eigen ist. Denn Denken kostet tatsächlich rund 18 % des täglichen Kalorienbedarfs für die Bildung der Synapsen. Das Gehirn fragt sich deshalb vor jedem Lernakt unbewusst: Lohnt sich das überhaupt? In die Kosten-Nutzen-Analyse fließen dabei vor allem die zuvor gemachten Erfahrungen ein: Erinnert eine neue Information an etwas Interessantes, werden die Botenstoffe Dopamin und Acetylcholin vermehrt ausgeschüttet, verstärken die Aufmerksamkeit und machen Lust auf mehr. Das Gehirn will sich verführen lassen – und das gelingt am besten, wenn man an das anknüpft, was es schon weiß.
Versuchsergebnisse zeigen deutlich: Die volle Aufmerksamkeit der Teilnehmer steht Trainern beim Vortragen nur 10 bis 15 Minuten lange zur Verfügung. In dieser Zeit müssen Sie in ein neues Thema eingeführt und die wichtigsten Zusammenhänge vermittelt haben. Die restliche Zeit sollte für Anekdoten, Praxisbeispiele, Übungen und Diskussionen reserviert werden. Nach spätestens 20 Minuten ist die Konzentrationsfähigkeit so niedrig, dass die Teilnehmer abstrakte Informationen weder aufnehmen noch verarbeiten können. Das dümmste Rezept heißt dabei: Pauken. Auswendiglernen allein hilft auf Dauer wenig. Vorhandene Synapsen werden dann rein mechanisch verfestigt, ohne dass der Information eine besondere Bedeutung zugemessen wird. Neue Nervenverschaltungen hingegen werden erst gebildet, wenn z. B. die Vokabeln wirklich zum Einsatz kommen – im Idealfall mit viel Gefühl: Emotionen wirken als Verstärker jeder neuen Information. Am besten haftet Neues, wenn es in möglichst vielen Zusammenhängen auftaucht. Je bunter die Information daherkommt, desto besser. Pro Tag kann sich das Gehirn bis zu zehn komplexere Neuigkeiten merken. Was letztlich im Langzeitgedächtnis landet, entscheidet sich auch im Bett. Sowohl Traum als auch Tiefschlaf festigen Gedächtnisinhalte – allerdings nur, wenn die neuen Informationen tagsüber auch gebraucht werden. Fehlt ihnen der Alltagsbezug, so bringt die ganze Lernerei auf Dauer nichts.

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Smetana

Gastautor
Michael Smetana
ist seit 16 Jahren auf raffinierte Tipps und Tools für verblüffend wirksame Trainings  spezialisiert. Von seinen didaktischen Coachings profitieren Einsteiger wie erfahrene Top-Trainer.
www.trainergeheimnisse.com