In diesem Artikel beschreibt die Autorin Parallelen zwischen der Unter- und der Oberwasserwelt. Sie lesen, wie das Lernen mehr Freude bereiten kann, am Beispiel Tauchen.
Tauchen mit Atemgeräten lässt uns das Element Wasser erschließen. Der Auftrieb des Wassers und die leicht trainierbaren Möglichkeiten des Tarierens ermöglichen schwereloses Schweben und damit die Freiheit der Bewegung in allen Dimensionen. Ganz im Sinn von Fritz Perls, einem der Begründer der Gestalttherapie, der meint: »Lernen heißt erkennen, dass etwas möglich ist.« Erfolg braucht gerade in dynamischen Zeiten mit einem hohen Grad an Ungewissheit eine gesunde Balance zwischen entschlossenem Handeln und vertrauensvollem Einlassen. Ersteres ist in unserer Leistungskultur mit dem Führungsbild des Machers überproportional ausgeprägt. Zweiteres kann man beim Tauchen bestens trainieren.
In unserer (Lern-)Kultur wird viel zu wenig darauf Wert gelegt, unbewusste Kompetenzen bewusst zu machen, um sie gezielt einsetzen zu können. Dabei wusste schon Konfuzius: »Zu wissen, was man weiß, und zu wissen, was man tut, erst das ist Wissen.« Und Moshé Feldenkrais formuliert es handlungsbezogen: »Nur wenn ich weiß, was ich tue, kann ich tun, was ich will.«
Im März 2013 veröffentlichten Jack Zenger und Joseph Folkman im Harvard Business Review »The Ideal Praise-to-Criticism Ratio«. In einer Studie untersuchten sie, welches Verhältnis von positivem zu negativem Feedback am meisten Verhaltensänderung und Lernen bewirkt. Am meisten Wirkung zeigte Feedback mit einem Verhältnis von mehr als fünfmal so viel bestärkender als korrigierender Rückmeldung. Um Ihre Stärken zu erkunden, sind die Fragen hilfreich: »Was machen Sie in Ihrer Freizeit gut und gerne? Welche Fähigkeiten und Strategien bewähren sich dabei? In welcher Form könnten Sie diese Erfolgsfaktoren auch beruflich nutzen?«
Schon beim Schnuppertauchen und erst recht in der Tauchausbildung zeigt sich eindrücklich der Unterschied zwischen sozialer und innerer Motivation: Menschen, die anderen – z. B. ihrem Partner – zuliebe das Tauchen ausprobieren oder mitmachen, weil es alle anderen der Gruppe tun, suchen häufiger und finden ganz leicht Gründe, warum sie nicht tauchen können. Probleme mit dem Druckausgleich oder der Atmung haben manchmal anatomische und viel häufiger mentale Gründe. Ganz anders Menschen, die von sich heraus die Unterwasserwelt erkunden wollen. Sie stellen sich freudig Herausforderungen und kosten ihre ersten Trainingserfolge aus.
Souveränität 1. und 2. Ordnung
Den idealen Lernzustand können wir von kleinen Kindern lernen, die in herzhafter Neugierde Dinge be-greifen wollen, wie ein wissensdurstiger Schwamm Informationen verinnerlichen und mit beharrlich-leidenschaftlichen WARUM-Fragen Hintergründe erforschen. Bertolt Brecht bringt es auf den Punkt: »Talent ist Interesse.«
Unsere Bildungseinrichtungen zielen meist auf Souveränität 1. Ordnung: makellos und fehlerfrei zu funktionieren. Sich weiterzubilden hat so den bitteren Beigeschmack, noch nicht alles zu wissen und alles zu können. Von diesen Weiterbildungsmuffeln höre ich dann z. B.: »Jetzt haben wir schon alle ein Training verpasst bekommen. Bin ich so ein schwieriger Fall, dass ich jetzt sogar noch zusätzlich Coaching brauche?« Meine umpolende Antwort: »Sie spielen in der Profi-Liga. Da steht Ihnen nicht nur ein hoch professionelles Training, sondern auch ein persönlicher Coach zu.«
Souverän 2. Ordnung stellen wir uns bewusst den Lücken in unseren Wissenslandkarten: Anstatt unsere Inkompetenzen zu kaschieren, freuen wir uns, neue Lernfelder entdeckt zu haben, die wir erschließen können. Mit Interesse und Neugierde erkunden wir neues Terrain. Dem berühmten Ausspruch von Sokrates »Ich weiß, dass ich nicht weiß« folgt der deutlich weniger bekannte Nachsatz: »Und viele wissen nicht einmal das.«
Der beschränkende, defizitorientierte Irrglauben der Souveränität 1. Ordnung »Lernen muss man, wenn man zu wenig weiß« wird aufgelöst durch die neurobiologische Erkenntnis: »Je größer und buchtenreicherer die Inseln unseres Wissens sind, desto mehr neues Wissen kann andocken.«
Wie auch in allen anderen Lebensbereichen gilt beim Tauchen: Recherche und Wissen erhöhen die Chance, Erfreuliches wahrzunehmen, steigern die Lebensfreude und wecken die Lernbereitschaft.
Beim Tauchen erlebe ich es immer wieder beglückend: Je mehr ich weiß, desto mehr entdecke ich, desto häufiger freue ich mich und desto wissbegieriger werde ich. Langnasenbüschelbarsche sind z. B. Fische, die mir besonders gut gefallen. Zu wissen, dass sie auf Fächerkorallen und in Hartkorallenbüschen leben, erhöht die Chance, sie dort auch zu entdecken. Ich freue mich über jede dieser Korallen, weil dort mein Lieblingsfisch sein könnte. Wenn ich ihn dann wirklich entdecke, bin ich begeistert.
So habe ich auch das Ei eines Katzenhais in 40 m Tiefe an einem kroatischen Riff entdeckt. Das konnte ich nur deshalb, weil ich wusste, wie es aussieht und mir so der markante Querschnitt des ansonsten super getarnten Hai-Eies in der Vielfalt der vielen kleinen Details aufgefallen ist. Der Relevanzfilter unserer selektiven Wahrnehmung lässt nur das in unser Aufmerksamkeitszentrum, dem unser Unbewusstes Bedeutung zumisst. Wir können nur erkennen, was wir kennen.
Der viel zitierte Spruch von St. Exupéry »Wenn du ein Schiff bauen willst, dann trommle nicht Männer zusammen, um Holz zu beschaffen, Aufgaben zu vergeben und die Arbeit einzuteilen, sondern lehre sie die Sehnsucht nach dem weiten, endlosen Meer« gilt auch für das Tauchen: Eine gute Tauchausbildung beginnt nicht mit den Details des Equipments, die es natürlich in der Folge braucht, sondern vermittelt die Faszination des schwerelosen Schwebens unter Wasser und der üppigen Unterwasserwelt. In sicherer Umgebung, wenn möglich mit ersten schönen Eindrücken unter Wasser, können dann Standardsituationen und vor allem das ruhige Atmen trainiert werden.
Neulich habe ich während eines Urlaubs kryptisch auf Facebook als Status gepostet: »Mir geht es strahlend. Ich bin in meinem Element.« Eine Freundin hat darauf als Kommentar geschrieben: »Was jetzt: Bist du gerade in einem deiner Trainings oder auf Tauchsafari?« Das ist doch genial, wenn wir sowohl beruflich als auch in der Freizeit genau Unseres gefunden haben. Wie gut kennen Sie Ihre Stärken? Wissen Sie, wo Sie im richtigen Element sind und wie Sie freudvoll zur Höchstform auflaufen?
»Was heißt Erfüllung und Erfolg in meinem Leben?« und »Was tut mir gut, was sind meine Quellen des Auftankens?« sind im wahrsten Sinn des Wortes LEBENS-wichtige Fragen. »Was gilt in der Gesellschaft als Erfolg?« und »Wie kann ich andere beeindrucken?« sind hingegen die toxischen, stresserzeugenden Doppelgänger.
Bei Meeresströmungen wäre es sinnlos und Energie vernichtend, gegen diese ankämpfen zu wollen. Sehr wohl kann man mit leicht trainierbarer Technik seine eigene Körperhaltung und den Flossenschlag steuern. Bei Drifttauchgängen wird mit der Strömung getaucht. Gut im Fluss erreicht man in souveräner Gelassenheit und beglückender Leichtigkeit die angepeilten Ziele.