Jeder 20. Arbeitnehmer ist in Österreich alkoholkrank. Beim nächsten HR-Circle-Netzwerktreffen am 27. November diskutieren Experten dieses brisante (Tabu)-Thema.
Alkohol gehört im österreichischen Berufsalltag irgendwie dazu. Bei Abendveranstaltungen, bei Firmenjubiläen oder auch bei einem After-Work-Treffen unter Kollegen werden gerne ein oder mehrere Gläser getrunken. Eher wird man schon schräg angesehen, wenn man ablehnt. Sofort werden Vermutungen angestellt, warum er oder sie nichts trinkt? Ist sie schwanger und hat es dem Chef noch nicht gesagt? Ist er gar trockener Alkoholiker?
Alkohol und Nikotin sind in Österreich mit Abstand die am meisten verbreitenden Suchtmittel. Aber auch die Medikamentensucht ist nicht zu unterschätzen. So leiden laut dem Artikel auf orf.at »Medikamentensucht als unterschätzte Gefahr« vom 18. April 2017 rund 200 000 Menschen in Österreich unter Medikamentensucht. Und es sind rund 35 000 Menschen in Österreich drogenabhängig.
An Spielsucht leidet in Österreich übrigens rund 1 % der Bevölkerung. Auch das kann für Arbeitgeber Auswirkungen haben, wenn z. B. während der Arbeitszeit online gezockt wird, oder wenn der Mitarbeiter sich häufiger krank meldet, um ins Casino zu gehen.
Konsequenzen für Unternehmen
Übermäßiger Alkoholkonsum ist nicht nur schlecht für den jeweiligen Mitarbeiter, er hat auch schwerwiegende Konsequenzen für das Unternehmen. Die WKO listet den möglichen Schaden für den Arbeitgeber auf:
Die Folgen des Alkoholkonsums des Arbeitnehmers liegen insbesondere
- in vermehrten und verlängerten Krankenständen,
- in vermehrter Verursachung von Unfällen,
- in erheblichem Sinken der Qualität und Quantität der Arbeitsleistung,
- in erheblicher Belastung des Betriebsklimas sowie
- im vorzeitigen Ausscheiden von qualifizierten Mitarbeitern und damit verbundener kostenintensiver Personalsuche und Einschulung neuer Mitarbeiter.
Die Kosten, die einer Gesellschaft und einem Arbeitgeber entstehen, können unterteilt werden in direkte Kosten (Behandlung, Arzneimittel, Gesundheitsdienstleistungen; aber auch durch Sachbeschädigungen, Verkehrsunfälle, Gerichtsverhandlungen) und indirekte Kosten (Produktivitätsverluste z. B. durch Arbeitsausfälle, Frühpensionierung, Qualitätsverluste etc.).
In dem Buch »Alcohol in Europe« von Anderson/Baumberg (2006) wird bereits im Jahr 2006 von Kosten in Europa von 125 Milliarden € gesprochen, wovon 59 Milliarden alleine auf Produktivitätsverluste fallen.
Die AUVA beschreibt in einer Broschüre, dass in Österreich ca. 5 % der Mitarbeiter als alkoholkrank bezeichnet werden können. Das ist jeder 20. Mitarbeiter. In »Männerbetrieben« sogar ca. jeder 12.
Gesetzlicher Rahmen
Arbeitnehmern ist es nicht gestattet, sich vor Dienstantritt, während der Arbeit sowie in den Pausen durch Alkohol oder andere Suchtgifte in einen Zustand zu versetzen, in dem sie sich oder andere gefährden können. Das beinhaltet allerdings kein 100-%iges Alkoholverbot während der Arbeit. Wenn das gewünscht ist, sollte ein Alkoholverbot während der Arbeitszeit sowie ein Nüchternheitsgebot im Arbeitsvertrag vereinbart werden.
In bestimmten Berufen (z. B. für Bauarbeiter, LKW- und Busfahrer) gilt unabhängig davon ein völliges Alkoholverbot.
Das Thema wird häufig in Unternehmen tabuisiert, niemand will sich damit so wirklich auseinandersetzen. Dabei sind die Kosten und die Auswirkungen für Unternehmen enorm.
Beim nächsten HR-Circle-Treffen am 27. November wird dieses Thema daher groß diskutiert. Am Podium sind Georg Psota (Psychiater und Leiter des Fachbeirates von ganznormal.at), Eva Höltl (Health Center Erste Group AG) und Christian Deutsch (Gemeinderat).
TRAiNiNG hat sich vorab schon einmal mit dem Facharzt für Psychiatrie Georg Psota unterhalten:
Was macht der Verein »ganznormal«?
Georg Psota: Die Plattform ganznormal.at ist eine Informations- und Kommunikationsplattform, die 2011 gegründet wurde. Sie leitet aus dem sozialen Menschenrecht auf den besten erreichbaren Gesundheitszustand das Menschenrecht auf die beste erreichbare seelische Gesundheit für alle ab. Deshalb fordert ganznormal.at die Gleichstellung von psychischen und physischen Erkrankungen und hat sich der Förderung der öffentlichen Diskussion über seelische Erkrankungen verschrieben. Dies versuchen wir über klassische Kampagnenarbeit, Fachvorträge/Seminare, Info-Veranstaltungen für Unternehmen, Podiumsdiskussionen und Events zur erreichen.
Welche Tipps haben Sie für HR, um mögliche Suchterkrankungen von Mitarbeitern zu erkennen?
Suchterkrankungen sind nicht so selten, wie die meisten glauben. Mein aller wichtigster Tipp dazu lautet: Denken Sie daran, dass es Suchterkrankungen tatsächlich gibt. Meist sind die Erkrankungen gar nicht so verborgen, sondern recht offensichtlich. Schauen Sie genau hin!
Welchen Stellenwert hat das Thema heutzutage in Unternehmen?
Das ist ein wichtiges Thema für Unternehmen, da alle Berufsbilder, alle Positionen, alle Altersgruppen betroffen sein können und die Ausfälle für Unternehmen nicht unbeträchtlich sind. Wichtige Themen dürfen nicht tabu sein!
Wie können Unternehmen betroffenen Mitarbeitern helfen?
Durch Präventionsveranstaltungen, offenen Umgang und ein klares Hilfs-Procedere.
Erkennen Sie einen Trend in den letzten Jahren?
Es gibt Daten, die darauf hindeuten, dass mehr Menschen Alkohol trinken als früher, aber nicht in höheren Mengen.
Welche Süchte sind das größte Thema? Alkohol? Drogen? Medikamente?
In Österreich ist eindeutig die Alkoholsucht die Nr. 1 der Süchte und danach kommt lange nichts. Bei den illegalen Substanzen geht es immer mehr um Haschisch und auch um Kokain. Heroin nimmt ab. Die Beruhigungs- und Schlafmittelsucht ist ebenfalls eher im Abnehmen. Substanzlose Süchte wie die Spielsucht und Internetsucht nehmen zu, auch in Kombination mit anderen Süchten.
Konkrete Hilfe durch Personalisten
Gehen wir davon aus, dass es die Aufgabe von HR und von Führungskräften ist, einem betroffenen Mitarbeiter zu helfen. Zuerst einmal gilt es, die Signale zu erkennen. Ein deutliches Signal ist z. B. die Alkoholfahne. Aber betroffene Mitarbeiter sind hier kreativ und lassen sich einiges einfallen, um die Fahne zu überdecken. Wenn jemand also permanent Minzbonbons lutscht, Kaugummi kaut oder übermäßig viel Parfüm verwendet, sollten sie näher hinsehen. Natürlich auch, wenn jemand häufiger und spontan nicht zur Arbeit kommt. Oft unterliegt auch die Leistung starken Schwankungen, der Mitarbeiter wird unzuverlässiger und ist überdurchschnittlich häufig an kleineren oder größeren Betriebsunfällen beteiligt. Schweißausbrüche, starkes Zittern, rote Augen sind mögliche körperliche Anzeichen.
Wenn Sie einen konkreten Verdacht haben, muss das Thema mit dem Mitarbeiter angesprochen werden. Dabei ist es wichtig, dass es sich um ein Vieraugengespräch handelt. Und es muss von einer Vertrauensperson geführt werden. Achten Sie auf die Wortwahl und stellen Sie niemals eine Diagnose nach dem Motto »Sie haben sicher ein Alkoholproblem«.
Bereiten Sie vor dem Gespräch eine Liste mit Kontaktadressen von Beratungsstellen vor. Machen Sie dem Mitarbeiter deutlich, dass er irgendetwas tun muss, da es sonst berufliche Konsequenzen bis hin zu Kündigung mit sich ziehen könnte.