Tomaten in die Nasenlöcher stecken

Die auf Seminaren erlernten Memo-Techniken sind nur dann wirkungsvoll, wenn man sie danach im Alltag auch anwendet. Dieser Artikel versucht zu klären, wie das gelingen könnte und was man sonst noch für sein Gedächtnis tun kann.

Viele Menschen nehmen die Leistungsfähigkeit ihres Gedächtnisses als gegeben an – als von Faktoren bestimmt, auf die sie selbst keinen Einfluss haben. Sie akzeptieren auch, dass mit fortschreitendem Alter ihr Gedächtnis schlechter wird. Manche sagen schon mit 40 Jahren, dass sie sich nichts mehr merken können wie früher. Und sie erwarten sich, dass ihre Gedächtnisleistung weiter abnehmen wird – eine Erwartung, die sich dann wohl auch erfüllen wird.

Das ist sehr schade, denn das alles muss nicht sein. Man kann sehr viel für sein Gedächtnis tun, kann nicht nur eine Verschlechterung stoppen, sondern sogar eine Verbesserung erreichen. Das zeigt auch der Werdegang von zwei anerkannten Gedächtnisexperten: Der Schweizer Gregor Staub und die Österreicherin Luise Maria Sommer hatten jeweils als vergesslich gegolten und sich selbst auch so empfunden, bevor sie beschlossen, aktiv etwas dagegen zu tun. Dabei waren sie so erfolgreich, dass sie erstens fasziniert davon waren und zweitens beschlossen, diese Faszination, das Wissen und die Methodik mit anderen zu teilen. Sie wurden zunächst Gedächtnistrainer und sind heute begehrte Speaker zu diesem Thema.

Wenn man also vom »Ich-merk-mir-nichts« zum Gedächtnismeister werden kann, dann ist das Gedächtnis nicht nur – wie oft gesagt wird – »ein Muskel wie jeder andere«, sondern in der Tat noch viel besser trainierbar als andere Muskeln. Man braucht bloß mit dem Training zu beginnen! Das hat sich auch schon herumgesprochen, denn Seminare, Vorträge und Lern-DVDs zum Thema erfreuen sich wachsender Beliebtheit. Die Erkenntnis, dass man etwas für sein Gedächtnis tun kann, ist der erste Schritt. Der Besuch eines Seminars oder Vortrags ein möglicher zweiter Schritt. Und dann? Vielen geht es so oder so ähnlich: Man besucht ein Gedächtnistraining und bekommt dort tolle Tipps und Tricks vermittelt. Während des Seminars ist man auch ganz begeistert davon und überrascht sich selbst, indem man sich im Rahmen der Übungen viele Dinge merkt. Aber dann kommt der Alltag – und man findet es sehr schwer, das Erlernte anzuwenden. Nach ein paar Wochen sind die Techniken in Vergessenheit geraten. Was kann man als Teilnehmer tun, damit der Transfer in den Alltag besser gelingt?

Luise Sommer rät: »Am besten: Gleich ein ›Opfer‹ suchen, solange die Flamme der Begeisterung noch brennt – und dieses dann mit genau den Merktipps verblüffen, über die man im Seminar am meisten gestaunt hat. Also: Lernen durch Lehren praktizieren! Und dann – wo immer möglich – mit neuer AufMERKsamkeit durch den Alltag gehen und entscheiden, was man sich mit einem dieser ›Gedächtnis-Werkzeuge‹ nun bewusst merken möchte – sei es der Name der neuen Kollegin und des Kunden, die man heute kennen gelernt hat, oder die wichtigsten Zahlen im beruflichen oder auch privaten Umfeld. Aus eigener Erfahrung als Seminarteilnehmerin weiß ich: Es bedarf vieler Wiederholungen, bis eine neue Erkenntnis auch tatsächlich zur Gewohnheit wird. Also: dranbleiben – und die Latte nicht zu hoch legen! Kleine Erfolge machen Lust auf mehr.«

Walter Pötsch durfte ähnlich wie Luise Sommer und Gregor Staub an sich selbst erleben, wie wirkungsvoll bestimmte Merk-Techniken sind. Er erlernte einige davon zu Beginn seines zweiten Studiums und konnte dieses dann in weniger als der Hälfte der Mindeststudiendauer abschließen. Fasziniert davon, wie einfach es ist, die eigene Behaltensleistung zu vervielfachen, beschloss auch er, sein Wissen und seine Erfahrungen als Gedächtnistrainer weiterzugeben. Auf die Frage, was man als Teilnehmer bei einem Seminar für einen besseren Transfer in den Alltag tun kann, antwortet er: »Man folgt am besten der Empfehlung des Trainers, jede Merkgelegenheit, die sich im Alltag bietet (und da bieten sich jeden Tag sehr viele), zu nützen – besonders dann, wenn es etwas zu behalten gilt und kein Mikro oder Zettel samt Stift zur Verfügung steht. Im Basisseminar vermittle ich einfache Merkstrategien, die vollständig ›ausgearbeitet‹ und auch benützt und geübt vom Seminar mitgenommen werden. Ich empfehle den Teilnehmern ganz einfache, ja geradezu banale Themen dazu zu verwenden, Erfolgserlebnisse zu sammeln und Vertrauen in die gelernten Techniken zu entwickeln, z. B. To-do-Listen, Einkaufszettel oder neue Namen von Personen.  Und wenn es nur ein paar Sekunden nach einem Telefonat sind, die ich dafür aufwende zu überlegen, wie ich mir den Namen meines Gesprächsgegenübers (den ich mir während des Gesprächs natürlich auf einem Zettel notiert habe ) merken kann – alleine das bewirkt schon eine verbesserte ›Eindringtiefe‹ in die Gehirnrinde, wo unter anderen auch die kognitiven Langzeitstrukturen von Mutter Natur untergebracht sind.«

Welche Gedächtnisübungen sind besonders für die Zeit nach einem Seminar geeignet, welche sind besonders nachhaltig? Können Sie uns den konkreten Ablauf einer dieser Übungen verraten?

Luise Sommer: »Am nachhaltigsten sind sicherlich jene Übungen, die den Teilnehmern möglichst täglich ihren Alltag erleichtern und die – das ist entscheidend – ohne viel Aufwand eingesetzt werden können. Das kann der am Körper abgelegte Einkaufszettel sein oder der Pincode, der ab nun als liebenswürdig-verrückte Geschichte in vier Bildern an der Bankomatkarte ›klebt‹. Ehrgeizigere könnten sich an die Herausforderung ›Tolles Namensgedächtnis‹ machen nach dem Motto: ›A name a day keeps Alzheimer away.‹«

Auch Walter Pötsch erwähnt den »Körper-Einkaufszettel« und erklärt genau, was damit gemeint ist: »Alle vertrauten Strukturen sind günstig, zum Beispiel die ›Körperliste‹ meines lieben Freundes und Schweizer Kollegen Gregor Staub. Diese verwende ich selbst für mich und auch im Seminar, weil sie gut nachvollziehbar und vor allem ›immer am Mann‹ – und auch immer an der Frau – ist. Im Oktober gab es einen Beitrag im ORF in der Sendung ›Heute Konkret‹ über digitale Vergesslichkeit. Vor laufender Kamera habe ich dort gezeigt, wie man sich mit Hilfe von 10 bestimmten Körperstellen eben 10 zu kaufende Produkte rasch merken kann. Genau diese kleine Übung gab es sehr gut visualisiert als Teil der ›Willkommen Österreich‹-Sendung mit Stermann und Grissemann am 3. November. Die Redakteurin nannte mir ihre Einkaufsliste, die da lautete: Obst, Rosmarin, Knoblauch, Salat, Lasagne, Faschiertes, Mineral, Olivenöl, Tomaten und Kartoffeln.

Folgendes wurde dann von einem Schauspieler sehr treffend dargestellt:

Ich wühle mit den Zehen in der Obstschüssel

klemme mir den Rosmarin in die Kniekehle

reibe mir mit Knoblauch die Oberschenkel ein

setze mich mit dem Gesäß auf den Salat

die Lasagneblätter kleben an den Hüften (auch nach dem Essen)

forme mit Faschiertem meine Brüste nach

klemme eine Mineralwasserflasche unter meine Schulter

lasse Olivenöl durch meinen Hals gluckern

stecke mir Tomaten in die Nasenlöcher

und balanciere einen Sack Kartoffeln auf meinem Kopf.

Es konnten sich sofort alle alles merken! Die dabei benützte Technik ist die sogenannte Loci-technik (oder auch Wegetechnik, Methode der Orte, oder Routentechnik, wie unsere deutschen Freunde dazu sagen) und funktioniert auch ohne viel Vorbereitung immer und überall. Nachdem der mit Abstand wichtigste Eingangskanal in unser Gehirn der visuelle ist, funktioniert unser visuelles Gedächtnis auch am besten.«

Neben den richtigen Techniken und dem Üben dieser Techniken haben selbstverständlich auch andere Faktoren Einfluss auf unsere Gedächtnisleistung:

Was tut unserem Gedächtnis generell gut?

Luise Sommer: »Alles, was uns allgemein gesund erhält, kommt auch unserem Gedächtnis zugute: ausreichender Schlaf, gesunde, ausgewogene Ernährung, genügend Flüssigkeitszufuhr (›Klares Wasser, klares Denken!‹) – und Alkohol wirklich nur in Maßen genießen. Was unbedingt dazu gehört, ist Bewegung: Körperliche Aktivitäten, möglichst im Freien ausgeübt, machen auch geistig beweglicher! Ich plädiere auch hier für eine möglichst einfache Integration in den Alltag. Wo immer möglich, nehme ich zum Beispiel die Treppe statt des Lifts. Und was das ›geistige Fitness-Studio‹ betrifft: Suchen Sie sich mentale Herausforderungen, die schaffbar sind und Ihnen Spaß machen. ›Begeisterung ist Dünger für unser Gehirn‹, sagt Gerald Hüther. Also zum Beispiel die brachliegenden Französisch- oder Spanischkenntnisse aus der Schulzeit auffrischen – es gibt heute fantastische Lernprogramme am Computer, die alle Sinne ansprechen und wirklich Erfolgserlebnisse bringen. Apropos: Denken Sie daran, sich auch ab und zu zu loben und bei Ihrem Gedächtnis zu bedanken. Wenn Sie es ständig nur als ›Nudelsieb‹ beschimpfen, wird es Sie auch immer öfter beleidigt im Stich lassen.«

Walter Pötsch ergänzt: »Man muss dem Gedächtnis auch Zeit für die unbewusste Nachverarbeitung geben, die im Wesentlichen während der Nacht – oder vielmehr während des Schlafes – stattfindet. Sich dauerhaft zu wenig Schlaf zu gönnen, ist ein Schuss, der nach hinten losgeht. Sich einmal während einer zeitknappen und stressigen Prüfungsvorbereitung eine Nacht um die Ohren zu schlagen, ist genauso okay, wie vielleicht einmal ein Glas Wein oder ein Bier mehr als geplant zu trinken – aber eben: EINMAL, dauerhaft sicher nicht.«

Walter Pötsch ist auch Jongleur, die Adresse seiner Website lautet www.brainjuggling.com. Wir fragen ihn daher:

Kombinieren Sie Jonglier-Übungen mit Gedächtnisübungen? Wenn ja, wie machen Sie das konkret? Kann Jonglieren dem Gedächtnis helfen?

»In meinen Seminaren wechsle ich in einem Nacheinander Gedächtnis- und Jonglierübungen. Der Hintergrund ist die verstärkte Aktivierung und Durchblutung der Gehirnrinde über die koordinative Tätigkeit des Jonglierens. Mein Erfahrungswert ist der, dass es nicht länger als 30 Minuten Sinn macht, intensiv zu lernen. Nach eben ca. einer halben Stunde empfehle ich, ein paar Minuten mit Jonglieren als Konzentrationsturbo zu verbringen und danach die nächsten intensiven 30 Minuten kognitiven Lernens anzufügen. Um es ganz deutlich auf den Punkt zu bringen: Niemand bekommt ein besseres Gedächtnis, nur weil sie oder er mit drei oder mehr Gegenständen jonglieren kann.  Aber jeder kann günstigere Voraussetzungen für die Verwendung des Gehirns, im Speziellen des Gedächtnisses, durch gesteigerte Konzentration nach Jonglierübungen schaffen.«

Ein besseres Gedächtnis hätten wohl die meisten Menschen sehr gerne. Es liegt auf der Hand, wie viel einem das persönlich bringen kann. Aber auch ein Unternehmen profitiert davon, wenn seine Mitarbeiter ihr Gedächtnis trainieren und verbessern, z. B. im Rahmen eines Seminars oder in Folge eines Vortrags. Luise Sommer hält solche Vorträge zum Thema »Faszination Gedächtnis«, wir wollen von ihr wissen:

Wie profitiert ein Unternehmen von so einem Impulsvortrag?

»Wie der Name schon sagt, in diesem sehr interaktiv angelegten Vortrag können die Teilnehmer oft den entscheidenden Impuls erhalten, wie sie ihre Gedächtnisfähigkeiten mit faszinierend einfachen Merkmethoden um ein Vielfaches steigern können. Dies ist gerade in unserer heutigen digitalen Welt wichtig, wo wir immer mehr Gedächtnis- und Erinnerungsfunktionen an ›elektronische Gehirne‹ auslagern. Denn jede Fähigkeit, die wir nicht (mehr) nützen, verkümmert früher oder später. Hier gilt es, gegenzusteuern – mit kreativen, lustvollen Methoden.  Dies gemeinsam mit anderen interessierten Menschen in einem interaktiven Impulsvortrag zu erleben – sei es bei einem Kundenevent oder Jahrestreffen für Mitarbeiter – macht Spaß und garantiert einen humorvollen, erinnerungswürdigen Vortrag. Und: Ich lebe authentisch vor, was ich predige. Mein Vortrag startet immer mit einem Live-Gedächtnisexperiment meinerseits – 10 zehnstellige Telefonnummern, oder 30 willkürlich genannte Begriffe oder bis zu 80 Namen aus dem Publikum, die ich mir beim Begrüßen einpräge und über die ich dann ›geprüft‹ werde. Das verblüfft, macht neugierig (wie geht das?) und am Ende des Vortrags sind die Teilnehmer dann mindestens ebenso fasziniert von ihrer eigenen Gedächtnisleistung und nehmen diese Methoden in ihren Alltag mit – und damit die Erinnerung an eine erfolgreiche Veranstaltung.«

Fazit

Für sein Gedächtnis kann man viel tun. Man muss nur die Techniken erlernen und beginnen, sie auch tatsächlich einzusetzen!

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