In diesem Artikel beantworten Experten die Fragen, welche Methoden in der Wissensvermittlung gerade aktuell sind, was wirklich neu daran ist und wie man sie in Unternehmen zum Einsatz bringen kann.
Virtual-Reality-Brillen in Kombination mit Software, die ein völlig neues Lern-Erlebnis bieten und das Lernen beschleunigen? Chips, die uns implantiert werden, direkt mit unserem Gehirn interagieren und somit Wissen sofort abrufbar machen – ohne dass wir den mühsamen Weg des Lernens und Erlernens gehen müssen? Was die Zukunft bringen wird, wissen wir nicht. So viel ist aber sicher: Die Methoden des Lernens ändern sich – und sie ändern sich mit immer größerer Geschwindigkeit.
Welche neuen Lern-Methoden werden aktuell in Unternehmen zum Einsatz gebracht, was darf man sich von ihnen erwarten und wie setzt man sie am besten ein? TRAiNiNG hat dazu 3 Experten befragt: Birgit Fischer-Sitzwohl ist Geschäftsführerin von Coverdale Österreich, Sebastian Körber ist Gründer und Entwickler der WIDD-App, einer Lern- und Persönlichkeitsentwicklungs-App und Niklas Tripolt ist geschäftsführender Gesellschafter von VBC. Aus ihren unterschiedlichen Sichtweisen geben sie uns Einblick in das Thema.
Ganz generell: Welche neuen Methoden und Instrumente fördern das Lernen?
Niklas Tripolt stellt einleitend fest, dass die Einstellung wichtiger ist als die Methoden: »Völlig unabhängig von Methode und Instrument ist die wichtigste Voraussetzung das eigene Bewusstmachen des Lernpotenzials des Lernenden. Zusätzlich sind Interesse, Lust und Freude am Lernen wesentlicher, als jede Methode und jedes Instrument.«
Birgit Fischer-Sitzwohl berichtet aus ihrer Praxis: »Wir haben die Erfahrung gemacht, dass es sehr unterschiedliche Lerntypen gibt. Wenn es um den Aufbau neuer Fähigkeiten geht, gilt für die meisten Menschen, dass es leichter ist, auf positive Erfahrungen aufzubauen. Wir unterstützen das durch die Methode des Erfahrungslernens. Ich glaube nicht, dass man nachhaltig Fähigkeiten durch Beobachten von anderen aufbauen kann. Geht es um Wissensaufbau, gibt es Leute, die durch Lesen lernen, manche durch das Hören und andere wieder durch das Schreiben. Ich habe als Studentin viele Bücher exzerpiert, mir das danach nie wieder angeschaut, aber dann hatte ich den Stoff intus.
Was Instrumente angeht: Zum Aufbau von Fähigkeiten: Präsenztraining oder eine spezielle Form von Blended Learning, die eine persönliche Betreuung sicherstellt. Zum Wissensaufbau: alle analogen Formate (lesen, Vorträge, klassische Seminare) und E-Learning.«
Sebastian Körber hebt die Bedeutung der Emotionen hervor: »Ergebnisse von Studien zeigen, dass mit positiven Emotionen verbundene Information besser abgespeichert werden. Deswegen kommt das spielerische Lernen immer mehr in Mode. Apps unterstützen diesen Prozess perfekt.«
Besseres Lernen durch neue Technologien, Apps usw. – was bedeutet das? Was am Lernen oder Lehren können neue Methoden und Instrumente konkret verbessern?
Sebastian Körber: »Das bedeutet, dass die Apps bzw. die Lerninhalte zu unserem täglichen Wegbegleiter werden. Was diese Apps noch verbessern können, ist, die Intuitivität der Bedienung erhöhen. Es geht darum, ein technisches Hilfsmittel zu schaffen, das ohne Erklärung bedient wird.«
Birgit Fischer-Sitzwohl: »Für mich bringt das Lernen mit den sogenannten neuen Medien Selbstbestimmung. Ich entscheide, wann und wo ich lerne. Ein bisschen zusätzlichen Spaß, wenn die Lernelemente gut gemacht sind. Ich halte in dem Zusammenhang wenig von Gamification. Am ehesten noch für den Wissensaufbau, allerdings muss das wirklich gut gemacht sein, sonst produziert man bei den Lernern Unlust und Gähnen.«
Niklas Tripolt: »Neue Technologien, meist digitaler Natur, eignen sich vor allem zur Vermittlung von Wissen (Know-how). Gut gemachte Apps und E-Learning bringen vor allem größeren Organisationen den Vorteil, viele Mitarbeiter zeit- und ortsunabhängig in ihrem Wissen (Know-how) weiter zu bringen. Als isolierte Maßnahme zur meist erwünschten Verhaltensveränderung sind all diese technischen Hilfsmittel ungeeignet. Dazu braucht es nicht nur Know-how, sondern vor allem How-to-do, also Handlungskompetenz. Um das zu bewerkstelligen, benötigt man reflektierte Mitarbeiter und vor allem persönliches Training oder Coaching.«
Was können neue Methoden (z. B. Lern-Apps) leisten, das herkömmliches Lernen (z. B. aus Büchern, Skripten, Vorträgen, Seminaren, Lernvideos usw.) nicht leisten kann?
Birgit Fischer-Sitzwohl fallen dazu zwei Dinge ein: »Selbstbestimmt lernen und 1:1-Training auf hohem Niveau im Virtuellen Classroom.«
Niklas Tripolt: »Der größte – vermutlich einzige wesentliche – Unterschied ist die Zeit- und Ortsunabhängigkeit, was, wie oben schon erwähnt, vor allem große Organisationen in die Lage versetzt, die oft dezentral agierenden Mitarbeiter in ihrem Wissen (Know-how) zu entwickeln. Geht es auch um Verhaltensveränderung, also Handlungskompetenz, reichen all diese Maßnahmen isoliert betrachtet nicht. Verhalten, das sich über Jahre, oft Jahrzehnte, entwickelt hat, lässt sich weder durch eine App noch durch ein Seminar wirklich verändern. Das ist Geld verbrennen auf höchstem Niveau. Verhaltensveränderung bedarf des Bewusstmachens der Lernfelder und der richtigen Lernimpulse (z. B. Seminare, Vorträge, elektronische Medien etc.) – und das Ganze am besten in einem für das Unternehmen und die Mitarbeiter individuell angepassten Programm.«
Sebastian Körber: »Apps können eine Sache leisten, die mit Skripten und Seminaren sicherlich nicht möglich ist: Unmittelbarkeit! Das Handy ist immer dabei. Die App kann dadurch im Alltag unmittelbar mit einer herausfordernden Situation verbunden werden. Dadurch wird zerebral, also im Hirn, viel besser vernetzt und gelernt.«
Was also war auf das Lernen bezogen vor 10 oder 20 Jahren noch nicht möglich, das aber nachgewiesener Maßen eine Verbesserung bringt?
Sebastian Körber: »Eben genau das. Die Universität, das Seminar in der Hosentasche. Und noch dazu Spaß dabei erfahren durch intuitive unkomplizierte Bedienung.«
Niklas Tripolt: »Wie gesagt für das Thema Wissensvermittlung die Multiplikation und Zeit- und Ortsunabhängigkeit. Darüber hinaus hat sich natürlich gemeinsam mit der Entwicklung der Gehirn- und Lernforschung die Trainingsdidaktik weiterentwickelt, speziell auch in den Bereichen lustvolles und vor allem personenzentriertes individuelles Lernen.«
Was konkret müssen Lern-Apps können, damit sie Lern- und Lehrprozesse unterstützen?
Laut Niklas Tripolt müssen sie vor allem Folgendes sein: »Einfach, einfach, einfach, lustvoll und kurz!«
Sebastian Körber ergänzt: »Aus meiner Sicht ist die Adaptivität das zentrale Merkmal. Nachdem Menschen unterschiedlich schnell unterschiedliche Inhalte internalisieren, ist es wichtig, dass die technologische Unterstützung auf die Bedürfnisse und Geschwindigkeit des einzelnen Users eingeht.«
Wie wichtig ist dabei das Thema Lern-Motivation?
Sebastian Körber: »Dieses Thema ist das Um und Auf, weil Menschen heute nicht mehr gewohnt sind, intrinsisch – das heißt aus sich selbst heraus – Konzentration aufzubringen. Die Generation Y setzt sich also nicht mehr hin und konzentriert sich, wenn es Ablenkung gibt. Der neue Kampf, der ausgebrochen ist, ist der Kampf um Aufmerksamkeit. Es ist bewiesen, dass die Aufmerksamkeitsspannen immer kürzer werden. Jene App, die am meisten Aufmerksamkeit bekommt, ist die Gewinnerin am Markt.«
Niklas Tripolt: »Die Lern-Motivation ist ganz entscheidend! Es braucht das Bewusstsein fürs Lernen und wie schon McCarthy, eine US-Forscherin in den 70ern/80ern festgestellt hat, lernen Menschen vor allem in 4 Kategorien:
Warum? (Warum tun wir das); Was? (Erzähle mir davon); Wie? (Wie mache ich das?); Was ist wenn? (Welche Konsequenzen ergeben sich?) In jeder Trainingsgruppe befinden sich Menschen aus allen 4 Kategorien – übrigens in etwa zum gleichen Anteil. Für den Lernerfolg entscheidend ist daher, dass in Gruppentrainings alle 4 Kategorien berücksichtigt und damit die unterschiedlichen Lerntypen auch ›abgeholt‹ werden.«
Birgit Fischer-Sitzwohl sagt zur Motivation in Lern-Apps: »Ich würde es eher so nennen: Wenn jemand keine Lust auf TECHNIK hat, wird man scheitern, oder wenn die Lernplattform instabil ist. Sonst ist es nicht anders wie bei analogen Settings.«
Wie können Personalentwickler die neuen Methoden in ihren Unternehmen am besten zum Einsatz bringen?
Birgit Fischer-Sitzwohl: »Indem sie das Angebot selbst testen, dort die Spreu vom Weizen trennen und sich dann für ein Gesamtkonzept entscheiden. Meistens sind folgende Elemente ein Muss:
Verwaltbar mit der existierenden Personalsoftware (z. B. Schnittstelle zu SAP).
Kursergebnisse müssen irgendwie in den Personalakt kommen, mit möglichst wenig Zwischenschritten.
Der Personalentwickler muss wissen, wer was wie absolviert hat.
Das Erstellen von Lernelementen v. a. für klassische Schulungen, die inhouse abgewickelt werden, muss leicht gehen, ohne Programmierkenntnisse und möglichst ohne teure Zusatzprogramme.
Die neuen Medien müssen irgendwie ›chic‹ daherkommen, zum Look and Feel des Hauses passen und möglichst viel Interaktion möglich machen, ohne diese zu erzwingen.
Kann eine Plattform das, kommt sie in Frage.«
Niklas Tripolt: »Am besten in einem individuell für das Unternehmen entwickelten Personalentwicklungsprogramm. Standardtrainings, Gießkannenprinzip (alle lernen das Gleiche) bringen wenig bis keinen Nutzen. Es geht also um die individuelle Anpassung des Lernprogrammes und um einen klugen Mix aus Präsenztraining mit anderen Lernmethoden (oft digital).«
Sebastian Körber: »Es gibt bereits eine Anzahl an Lern-Apps. Im Bereich der Persönlichkeits- und Führungskräfteentwicklung jedoch noch sehr wenig, da dies ein sehr schwieriges Thema ist. Wir haben 2015 ein Unternehmen gegründet – die www.widdfactory.com mit der WIDD-App, die sich genau darauf fokussiert. Mit Microlearning, also kurzen, humorvoll gestalteten Videos, werden die User motiviert, ihre Komfortzone zu verlassen und spielerisch ihre Persönlichkeit weiter Richtung erfolgreiche Führung zu entwickeln, nach den Werten des Unternehmens.«
Ist es aus Ihrer Sicht überhaupt noch angebracht, herkömmliche Seminare ohne diese Instrumente anzubieten? Hängt das auch vom Thema ab?
Niklas Tripolt: »Im Verkaufstraining kann VBC als Marktführer mit großer Sicherheit behaupten, dass weder reine Präsenztrainings einen großen Nutzen bringen, noch isolierte E-Learnings oder Onlineakademien. Verhaltens-Veränderung gelingt am besten durch intelligente Blended-Learning-Personalentwick-lungs-programme.«
Birgit Fischer-Sitzwohl: »Meines Erachtens hängt das vom Thema ab, und vom Entwicklungsstand der Leute. Ein Beispiel: Wenn man mit 12 Personen von einem Standort ein Verhandlungstraining durchführt, mit einem Trainer, Präsenz 3 Tage, kommt das das Unternehmen garantiert günstiger, als das gleiche Training Blended Learning durchzuführen.
Der Vorteil von Präsenz: Die Leute machen in drei Tagen einen ähnlich gelagerten Erfahrungslernprozess durch, entstehende Gruppendynamik kann genutzt werden. Würde man dieselbe Maßnahme als Blended-Learning-Training durchführen (wieder mit 12 Personen, an einem Standort) würde das um einiges mehr kosten als die Präsenzmaßnahme. Also aus Kostengründen wird man sich bei einer 12er-Gruppe wohl eher nicht für den Blended-Learning-Ansatz entscheiden. Wann dann?
Wenn es sich um eine Gruppe handelt, die disloziert, vielleicht auch noch an international verschiedenen Standorten sitzt, und ein gemeinsamer Termin nur schwer möglich ist.
Wenn es sich schon um eine erfahrene Gruppe handelt, und das 1:1 nicht nur für Übungsfälle, sondern auch für ›Coaching on the Job‹genutzt werden soll.
Für mich gibt es eine Themengruppe, wo meines Erachtens die neuen Methoden nur begrenzt ›besser‹ sind als herkömmliche Trainings: Wenn es darum geht, Gruppendynamik als Lernaspekt mit zu integrieren. In Blended-Learning-Trainings arbeiten wir zumindest maximal mit 2 bis 3 Personen gleichzeitig, sodass da die Gruppendynamik einer 12er-Gruppe nie stattfinden kann.
Können neue Methoden klassische Seminare ablösen? Ja, sofort. In einem klassischen Seminar geht es nicht um Training, sondern um Anwendungswissen. Dazu braucht es keine Lerngruppe und auch keine Person, die mir etwas ›vorkaut‹. Das können moderne Medien längst auch liefern. Natürlich nicht ohne den ›Online-Coach‹ als Sparringpartner, allerdings mit einem geringeren Aufwand als im Präsenztraining.
Sebastian Körber: »Es hängt davon ab, in welchem Bereich. Im rein fachlichen Lernen kann die App den persönlichen Kontakt unterstützen bis ersetzen.
Bewegen wir uns jedoch im Bereich der Persönlichkeitsentwicklung, wo es um soziale Kompetenzen geht, wird nichts jemals den persönlichen Kontakt ersetzen. Die Technologie kann perfekt als Unterstützung für Microlearning genutzt werden.
Eine Sache wird sich jedoch nicht ändern. Der Mensch möchte fühlen. Da fällt mir ein sehr gutes Beispiel dazu ein: Ich habe unlängst von einer Bank gelesen, die mit persönlichen Kontakt wirbt. Das heißt, dass sie als Bonus anbieten, dass man mit einem richtigen Menschen kommunizieren kann. Genau diese Entwicklung zeigt, dass die persönliche Auseinandersetzung niemals ganz abgelöst werden kann, besonders wenn es um heikle Themen wie Persönlichkeitsentwicklung geht. Menschen vertrauen Menschen. Technologie als Unterstützung zur Multiplikation: 100 % ja!