Durch eine kürzlich beschlossene Gesetzesnovelle soll es zu der bereits lange thematisierten Gleichstellung von Arbeitern und Angestellten kommen. Eine genauere Prüfung zeigt jedoch, dass mit der Novelle bei weitem keine gänzliche Angleichung geglückt ist.
Im österreichischen Arbeitsrecht wird traditionell zwischen Arbeitern und Angestellten unterschieden, was unmittelbare Auswirkungen auf die Rechte und Ansprüche der Arbeitnehmer hat. Angesichts der immer stärkeren Angleichung beider Gruppen in der Praxis wurde eine rechtliche Umsetzung dieser Entwicklung schon lange diskutiert. Kernpunkte der am 12. Oktober 2017 (und somit unmittelbar vor der jüngsten Nationalratswahl) beschlossenen Angleichungsnovelle sind verbesserte Kündigungsschutzbestimmungen für Arbeiter und einheitliche Regeln für die Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall. Damit sich die Unternehmen auf diese Veränderungen einstellen können, sind ungewöhnlich lange Übergangsfristen für die Änderungen vorgesehen. Während auf Arbeiterkammer-Seite die beschlossene Novelle begrüßt wurde, ortet die Wirtschaftskammer einen erheblichen Kostenschub für Unternehmen und Nachteile für den Wirtschaftsstandort Österreich.
Entgeltfortzahlung
Die bisherige gesetzliche Regelung sieht vor, dass Arbeiter und Angestellte ihren Entgeltanspruch im Krankheits- oder Unglücksfall in voller Höhe bis zu einer Dauer von sechs Wochen behalten, wobei sich der Anspruch abhängig von der Dienstdauer auf bis zu zwölf Wochen erhöht. Im Anschluss daran haben Arbeiter und Angestellte Anspruch auf das jeweils halbe Entgelt für die Dauer von bis zu vier Wochen. Künftig besteht ein Anspruch auf acht Wochen volle Entgeltfortzahlung für Arbeiter und Angestellte bereits ab dem zweiten (anstelle dem fünften) Arbeitsjahr. Unterschiedliche Regelungen gibt es bisher bei Arbeitern und Angestellten hinsichtlich Folgeerkrankungen. Für Angestellte wird in punkto Dauer der Entgeltfortzahlung zwischen Erst- und Folgeerkrankung unterschieden. Als Folgeerkrankung gilt jede Arbeitsunfähigkeit, die innerhalb eines Zeitraums von sechs Monaten nach Wiedereintritt des Angestellten in den Dienst auftritt. Hierfür sieht das Angestelltengesetz begünstigende Regelungen (d. h. zusätzlicher Anspruch im Ausmaß der Hälfte der Ansprüche im Rahmen der Grunderkrankung) vor. Nach Ablauf der sechs Monate wird eine Arbeitsunfähigkeit wieder als Ersterkrankung definiert. Bei Arbeitern bezieht sich der Entgeltfortzahlungsanspruch dagegen – ohne die erwähnte Differenzierung – bisher stets auf ein ganzes Arbeitsjahr. Erst mit Beginn eines neuen Arbeitsjahres entsteht der Anspruch daher wieder in vollem Umfang.
Künftig besteht auch für Angestellte im Fall einer Wiedererkrankung innerhalb eines Arbeitsjahres Anspruch auf Fortzahlung des Entgelts nur insoweit, als der Anspruch im Rahmen der Grunderkrankung nicht bereits ausgeschöpft wurde. Die neue Regelung bedeutet insofern eine Schlechterstellung für Angestellte gegenüber der bisherigen Rechtslage. Vereinheitlicht wird künftig auch die Entgeltfortzahlung im Zusammenhang mit Arbeitsunfällen oder Berufskrankheiten. Hier werden die in diesen Fällen bereits bisher bestehenden, separaten Entgeltfortzahlungsansprüche für Arbeiter (sog. »zweiter Topf«) künftig auch für Angestellte vorgesehen sein.
Eine weitere Gleichstellung erfolgt durch die Novelle betreffend Dienstverhinderungen aus anderen wichtigen Gründen (z. B. gerichtliche Vorladungen, familiäre Termine, wie Hochzeit, Geburt, Teilnahme an Beerdigungen etc.). Künftig sind die entsprechenden Regelungen in punkto Entgeltfortzahlungspflicht des Arbeitgebers auch für Arbeiter – so wie schon bisher für Angestellte – zwingend und nicht mehr durch Kollektivvertrag abdingbar. Mit der Novelle wird ferner der Entgeltfortzahlungsanspruch von Lehrlingen von 4 auf 8 Wochen (volles Entgelt) bzw. von 2 auf 4 Wochen (halbes Entgelt) angehoben.
Kündigungen
Neuerungen gibt es auch im Hinblick auf die bisher unterschiedlich geregelten Kündigungsfristen von Arbeitern und Angestellten. Während für Angestellte die unabdingbaren Kündigungsregelungen des Angestelltengesetzes gelten, kommen auf die Arbeiter die abdingbaren Regelungen der Gewerbeordnung 1859 zur Anwendung. In der Praxis ergeben sich die Kündigungsfristen und -termine für Arbeiter meist aus dem anzuwendenden Kollektivvertrag. Mit der Angleichungsnovelle treten die bislang geltenden Kündigungsbestimmungen für Arbeiter außer Kraft und finden für Arbeiter in Zukunft ebenfalls die für Angestellte geltenden Regelungen Anwendung. Das bedeutet, dass abhängig von der Dauer des Arbeitsverhältnisses die Kündigungsfrist gegenüber Arbeitern künftig auch sechs Wochen bis fünf Monate beträgt.
Mit Ende 2019 wird ferner die sogenannte Auflösungsabgabe abgeschafft. Diese Abgabe ist (bis 2019) von Unternehmen beim Ausspruch einer Kündigung zu bezahlen (und beträgt für das Jahr 2017 € 124,–).
Inkrafttreten der Bestimmungen
In Kraft treten werden die erwähnten Änderungen in punkto Entgeltfortzahlung mit 1. Juli 2018. Der verbesserte Kündigungsschutz für Arbeiter wird erst ab Anfang 2021 gelten. Zunächst war auch insofern ein Inkrafttreten noch 2018 ins Auge gefasst worden; die deutliche Verschiebung des Zeitpunkts nach hinten soll den Unternehmen laut Gesetzgeber aber ermöglichen, sich auf die verlängerten Kündigungsfristen für Arbeiter entsprechend einzustellen. Branchen, in denen Saisonbetriebe überwiegen, dürfen zudem über das Jahr 2021 hinaus abweichende Regelungen durch Kollektivvertrag festlegen (z. B. Baubranche oder Tourismus).
Verpasste Chancen
Die oben angeführten Neuerungen umfassen leider schon alle aktuell beschlossenen Änderungen zur Angleichung der Rechtsstellung von Arbeitern und Angestellten. Eine vollständige Gleichstellung wird damit entgegen diversen (kursorischen) Berichten nicht erreicht. Vielmehr werden bis auf Weiteres auch künftig zentrale Bereiche im Arbeitsrecht von der Unterscheidung Arbeiter oder Angestellter geprägt sein. Ein elementarer Punkt ist u. a. die Tatsache, dass es nach wie vor getrennte Betriebsräte geben wird. Gesetzlich ist eine Trennung zwischen der Belegschaftsvertretung nach Arbeitern und Angestellten vorgesehen, weswegen pro Gruppe grundsätzlich ein eigener Betriebsrat zu errichten ist. Damit besteht naturgemäß mehr (Koordinierungs)Aufwand. Zwar gibt es auch die freiwillige Möglichkeit, einen gemeinsamen Betriebsrat zu errichten, der Gesetzgeber hätte aber die Gesetzeslage im Rahmen der obigen, mit erheblichen Kosten für die Arbeitgeber verbundenen Änderungen im Sinne einer Abfederung gleich in Richtung eines einheitlichen Betriebsrats abändern können. Schließlich möchte er erreichen, dass Arbeiter und Angestellte gleichgestellt sind.
Auch wenn die obigen Änderungen gewisse Anpassungen bringen werden, werden zudem in den Kollektivverträgen auch weiterhin Unterschiede zwischen Arbeitern und Angestellten existieren. In der Kollektivvertragspraxis bestehen bisher in diversen Branchen unterschiedliche Kollektivverträge für Arbeiter und Angestellte, die sich in der inhaltlichen Ausgestaltung zum Teil grundlegend unterscheiden. Spürbar sind diese Unterschiede u. a. bei der Entgeltfestsetzung (im Rahmen der oftmals deutlich weniger differenzierten Verwendungsgruppen für Arbeiter oder generell beim Lohnniveau). Im Ergebnis bleiben die Arbeiter im Kollektivvertragsrecht daher weiterhin schlechter gestellt als die Angestellten.
Das Entlassungsrecht ist ebenfalls ein Bereich, der auch nach der Novelle unverändert bleiben wird. Die Entlassungsgründe der Angestellten richten sich nach wie vor nach dem Angestelltengesetz (nicht abschließende Aufzählung der Gründe), jene der Arbeiter nach den abschließend aufgezählten Gründen in der Gewerbeordnung 1859. Ob ein Entlassungsgrund gesetzt wurde, ist daher für Arbeiter und Angestellte auch weiterhin nach unterschiedlichen Gesetzen zu beurteilen. So setzt der Entlassungsgrund der Vertrauensunwürdigkeit gegenüber Arbeitern ein strafbares Verhalten voraus (z. B. Diebstahl), bei Angestellten hingegen nicht.
Neben dem Arbeitsrecht bestehen auch im Sozialversicherungsrecht weiterhin Unterschiede, weil u. a. bei den Anspruchsvoraussetzungen der geminderten Arbeitsfähigkeit zwischen Arbeitern (Invaliditätspension) und Angestellten (Berufsunfähigkeitspension) unterschieden wird.
Im Ergebnis ist eine Angleichung aufgrund der nicht mehr zeitgerechten Differenzierung durchaus geboten, eine Gleichstellung erfolgt durch die Novelle jedoch nur in speziellen Teilbereichen des Arbeitsrechts und so wird auch für die Zukunft weiterhin zwischen Arbeitern und Angestellten unterschieden werden müssen.