Immersives Lernen mittels Virtual Reality kann Unternehmen dabei helfen, einige der wichtigsten Führungsherausforderungen der heutigen Zeit zu meistern.
Warum ist Virtual Reality für Führungskräfte auf dem Vormarsch?
Dominik Etzl: Mal abgesehen davon, dass VR cool ist und jedem Teilnehmer garantiert noch lange in Erinnerung bleiben wird, lösen VR-Führungskräftetrainings ein lange ungelöstes Problem: virtuelle Teams in einem (virtuellen) Raum zusammenzubringen, wo sie – nicht nur über die Kamera vorm Bildschirm – sondern mit vollem Körpereinsatz und beinahe Face-to-face-Feeling gemeinsam an Problemen und Lösungen arbeiten können.
Wie sehen neue VR-Führungskräftetrainings konkret aus?
Anita Berger: Manche der Trainingserfahrungen sind dafür ausgelegt, dass man sie allein »spielt« und für sich einzelne Situationen immer wieder übt und sich stetig verbessert – z. B. einen Vortrag vor einem virtuellen Publikum oder gar dem Vorstand zu halten. Andere VR-Trainings beziehen das ganze Team mit ein und man kann es sich eher wie einen virtuellen Escape-Room vorstellen. Wieder andere macht man zwar allein, hat jedoch physische Coachs neben sich, die einen durch die verschiedenen Szenarien begleiten und immer wieder zwischen den VR-Erfahrungen das Erlebte reflektieren. Darüber hinaus kann man noch zwischen jenen VR-Trainings unterscheiden, die auf das eigene Unternehmen und die Lernsituationen maßgeschneidert sind und jenen, die standardisiert und damit vielfältig eingesetzt werden können. Um eine möglichst hohe Wirkung zu haben, macht es – wie auch schon von Präsenztrainings bekannt – jedenfalls Sinn, VR-Führungskräftetrainings nicht als alleinstehende Lösungen zu betrachten, sondern sie in einen Lernprozess einzubinden, welcher eine gute Mischung aus synchronen und asynchronen sowie auch genügend On-the-job-Trainings beinhaltet.
Welche Chancen und Möglichkeiten bietet VR?
Anita Berger: VR bietet die Möglichkeit, sich aus verschiedenen Perspektiven in iterativen Schleifen mit einer Breite an inhaltlichen Themen erlebnisorientiert auseinanderzusetzen.
Verschiedene Perspektiven: Aktuell arbeiten wir bei MDI mit 3 Rollen: die Raumfahrer, die Guides/Coaches und die Beobachter. Alle haben die Möglichkeit, in alle Rollen einzutauchen.
- Die Raumfahrer sind die Spieler, die, wenn man die Analogie vom Fußball heranzieht, auf dem Spielfeld stehen und die Tore schießen sollen. Bei der Raumfahrtmission geht es darum, andere zu retten.
- Die Guides/Coaches haben die Möglichkeit, den Raumfahrern bei der Bewältigung der Mission zu helfen. Sie sind die Trainer am Spielfeldrand, die selbst nicht spielen, jedoch durch das Erkennen und Eingehen auf das, was die Raumfahrer benötigen, maßgeblich zum Erfolg der Mission beitragen.
- Die Beobachter haben die Aufgabe, das Geschehen am Spielfeld und am Spielfeldrand zu beobachten, und in den Nachbesprechungen zu teilen. Man kann die Rolle der Beobachter auch für Assessment bzw. Development-Settings nutzen.
Nach jeder Mission tauschen die Teilnehmer die Rollen und sammeln daher die Erfahrungen aus den verschiedenen Perspektiven.
Iterative Schleifen: Wie im richtigen Leben, gibt es viele Unklarheiten, Kenntnisse und Informationen, die erst erarbeitet werden müssen. Die Teilnehmer erleben bestimmte Phasen als spannend, faszinierend oder auch frustrierend oder chaotisch. Nach jeder Runde wird das Erlebte reflektiert, bearbeitet und in den jeweils inhaltlichen Kontext gesetzt. Die Mission wird wiederholt gestartet, bis sie gelingt. Daher können die Erkenntnisse aus der vorangegangenen Mission gleich umgesetzt werden.
Inhaltliche Themen: Die Apollo-Mission ermöglicht, verschiedene Themen und Fragenkomplexe zu bearbeiten. Wenn sich der inhaltliche Kontext beispielsweise auf »Overcoming Disruption« bezieht, so werden die unterschiedlichen Phasen »Fail Fast«, »Learning Together« und »Performing together« in den verschiedenen Missionen für die Teilnehmer erlebbar.
Reflexionsphase: Darüber hinaus kann eine inhaltliche Auseinandersetzung stattfinden, beispielsweise zu Themen wie:
- Umgang mit und Bewältigung von Unsicherheit, Komplexität und (über-)fordernden Situationen
- »Performance als (virtuelles) Team«, »Führen von (virtuellen) Teams zu Performance«, durch Kommunikation, Zusammenarbeit, Inklusion und situativ angepasstes Führen
- (Selbst-)Vertrauen und Resilienz stärken, Verantwortung übernehmen und übertragen.
Das neuartige Setting bietet attraktive und spannende Entwicklungsmöglichkeiten für Führungskräfte auf allen Senioritäts-Stufen bis hin zu Top-Executives und für gesamte Teams.
Kann man tatsächlich besser Lernen mit VR?
Anita Berger: Dazu lassen wir am besten die Ergebnisse aus Untersuchungen und die daraus gewonnenen Zahlen sprechen (Quelle: PWC Report, PwC VR Soft Skills Training Efficacy Studie, 2020):
- Lernen findet bis zu 4-mal schneller statt als im klassischen Seminarsetting.
- VR-Lernende sind bis zu 275 % zuversichtlicher, das Gelernte nach dem Training auch umzusetzen – eine Verbesserung um 40 % im Vergleich zum Präsenztraining und um 35 % im Vergleich zum E-Learning-Training.
- VR-Teilnehmer fühlten sich 3,75-mal mehr emotional mit dem Inhalt verbunden als Präsenzlerner und 2,3-mal mehr als E-Lernende.
- Drei Viertel der befragten Teilnehmer gaben an, dass sie während des VR-Kurses zu Vielfalt und Inklusion einen Weckruf hatten und erkannten, dass sie nicht so inklusiv sind, wie sie dachten.
- Beim VR-Lernen driften die Teilnehmer mit ihrer Aufmerksamkeit deutlich seltener ab.
- In der PWC-Studie waren Teilnehmer im VR-Setting während des Trainings bis zu 4-mal konzentrierter als ihre E-Learning-Kollegen und 1,5-mal konzentrierter als ihre Kollegen in Präsenztrainings.
Welche Technologie und Voraussetzungen benötigt man für die Durchführung?
Dominik Etzl: Noch bis vor Kurzem war die Hürde, mit VR im eigenen Unternehmen zu arbeiten, relativ hoch: Man brauchte nebst der speziellen VR-Hardware von z. B. Oculus, Vive, oder Sony noch einen leistungsstarken PC, um das System überhaupt erst zu starten. Hinzu kam eine Menge an Kabel und Sensoren. Wenn man dann noch dazu keinen permanenten VR-Raum zur Verfügung hatte, sondern immer wieder auf- und abbauen, oder gar an einen anderen Standort wechseln musste, kann man sich vorstellen, dass das teils abschreckend und nur für eine Nische passend war. Diese Zeiten sind jedoch spätestens seit 2021 großteils Geschichte. Heutzutage kauft man ein leistungsstarkes VR-Set ab 350,– € und hat dabei alles inkludiert, was man an Hardware zum Starten braucht. Rechenleistung und Sensoren wurden in den neusten Modellen, z. B. dem Oculus Quest 2, so im Headset verbaut, dass kein PC, Kabel oder externe Sensoren mehr notwendig sind. Das ermöglicht ein sehr einfaches und unkompliziertes Aufbauen und Transportieren – auch für alle, die noch keine Erfahrung mit VR haben. Früher war es noch Usus, sich VR-Hardware zu mieten – heute macht ein Kauf in den meisten Fällen deutlich mehr Sinn, weil die Preisdifferenz durch den Aufwand aufgehoben wird. Die einzige Voraussetzung ist damit nur noch ein Raum von ca. 2,5 x 2,5 Meter pro Spieler, welcher jedoch in den meisten Büros problemlos gefunden werden kann.
Kann sich dies jedes Unternehmen auch leisten?
Dominik Etzl: Wie bereits oben geschrieben, kann man zwischen jenen VR-Trainingserfahrungen unterscheiden, die auf das eigene Unternehmen maßgeschneidert sind und jenen, die standardisiert eingekauft werden können. Welches das Richtige für einen ist, hängt primär davon ab, ob die Fähigkeiten, die damit erlernt werden sollen, ganz spezifische Abläufe im Unternehmen betreffen, oder ob es z. B. um die allgemeine Fähigkeit der Kollaboration, agile Prinzipien, Umgang mit Widerständen etc. geht. Wohin gegen Ersteres in der Regel mehrere Monate Produktionszeit und entsprechende finanzielle Ressourcen benötigt, sind VR-Führungskräftetrainings, die auf allgemeine Softskills abzielen, schon zu einem leicht erhöhten normalen Trainingstagessatz erhältlich. Dann hat man auch entsprechend ausgebildete VR-Trainer, die sicherstellen, dass das VR-Trainingserlebnis unvergesslich wird.