Theaterarbeit und Führungsarbeit im Unternehmen haben zahlreiche Parallelen. In diesem Artikel lesen Sie, was Führungskräfte vom Theater lernen können.
Klassische Führung von Command and Control funktioniert nicht mehr. Die Welt ist im Umbruch. Management reicht nicht mehr. Es braucht Leadership. Wie muss sich dieses in Anbetracht der vielen radikalen Veränderungen im Umfeld ändern? Wo kann man dafür Orientierung finden?
Reflexio als Voraussetzung
Der Physiker Moshé Feldenkrais, Begründer der Feldenkrais-Methode, bringt es auf den Punkt: »Nur wenn ich weiß, was ich tue, kann ich tun, was ich will.« In der Feldenkrais-Methode geht es um Bewegungsabläufe, die in Richtung Gesundheitsförderung optimiert werden. Für Verhaltensweisen gilt es analog: Selbstreflexion und Bewusstheit meiner Gewohnheiten sind die Voraussetzung, um Vertrautes in Richtung noch effektiverer und zielführenderer Möglichkeiten weiter zu entwickeln. Seit der Entwicklung der Quantenphysik ist klar: Jede Beobachtung wird durch die Beobachter beeinflusst. Für die Selbstbeobachtung gilt das ganz besonders.
Verdichtung der Wirklichkeit
Der Begriff »Dichtung« verdeutlicht, dass gute Literatur reale und mögliche Wirklichkeiten verdichtet, d. h. auf wesentliche Aspekte konzentriert. Tiefgründige Literatur macht das auch – ganz besonders Theaterstücke: Die Schicksale von einzelnen Menschen oder sogar Generationen von Menschen werden in wenigen Stunden erfahrbar. Die langfristige Wirkung von Verhaltensstrategien, Taktiken und Aktionen wird so unmittelbarer sichtbar.
Theater als Spiegel der Erkenntnis
Anna Badora (erste Frau, die am renommierten Max Reinhardt Seminar Regie studiert hat) hat unterschiedliche Führungsverhalten in der Weltliteratur gesammelt. Mit einem Ensemble setzt sie diese theatralisch um. Anna Badora: »Seit der griechischen Antike bis heute beschäftigen sich Theaterautoren mit dem Wirken autokratischer Herrscher, Könige, Diktatoren, mit Formen der Machtausübung, der Personenführung, mit einem Diskurs, welche Rolle dabei die sog. Stimme des Volkes spielt. Von Aischylos über Shakespeare bis zu Schiller geht es auf der Bühne immer um Figuren, die Macht haben, erleiden, erkämpfen oder verlieren, nicht viel anders als im täglichen Machtkampf unter Managern, wenn auch meist weniger tödlich, aber letztlich auch existenziell.«
In geschütztem Rahmen erproben
In der Grundhaltung, dass unterschiedliche Führungsstrategien jeweils Vor- und Nachteile haben und in unterschiedlichen Situationen jeweils sinnvoll sein können, können sich Führungskräfte sowohl mit den Führungsstilen befassen, die für sie besonders ansprechend sind, als auch mit jenen, die ihnen besonders fern liegen. Im Sinne von C. G. Jungs Ausspruch »Alles, was uns an anderen irritiert, kann zu mehr Verständnis unserer selbst führen« wird beides genutzt, um für sich als Leader zu lernen und das Handlungs-Repertoire zu erweitern. Die verfeinerte Wahrnehmung von Schauspielern und Regisseuren wird dabei wie ein Vergrößerungsspiegel genutzt.
Agile Führung lernen
Regie-Führung ist Projekt-Führung: Regisseure sind meist nicht im Theater angestellt, sondern werden als Externe für ein einzelnes Stück engagiert. Auch wenn sie angestellt sind, sind sie in der Regel nicht disziplinarische Führungskräfte der angestellten Schauspieler. Regisseure sind Leader, die nicht mit der Macht der Hierarchie, sondern nur mittels Vertrauens führen können. Schauspieler zeichnen sich durch hohe Selbstmotivation und Eigeninitiative aus, so wie agile Methodiken nur dann Erfolgschancen haben, wenn die Mitarbeiter hohe Selbstwirksamkeit aufweisen. Führungsverantwortung der Regisseure ist einerseits, für klare Ziele zu sorgen. Das zeitliche Ziel ist – im Gegensatz zu so manchen Business-Projekten – in Stein gemeißelt: Der Termin der Premiere im Spielplan ist mit Ausnahme von extrem seltenen Sonderfällen NICHT verschiebbar. Das inhaltliche Ziel ist das Thema und die zentrale Botschaft des Stückes. Zwar sind Theaterstücke meist von den Autoren vorab verfasst, doch die Regisseure beleuchten es aus einer von ihnen vorgegebenen und mit dem Team verfeinerten Fragestellung. Die Regisseure geben vor, WAS das Stück erzählen soll. Die Schauspieler gestalten, WIE es erlebbar wird. Damit das gelingen kann, ist es das Leadership der Regisseure, das eine schützende Blase aus Konzentration und Vertrauen schafft und es so Schauspielern ermöglicht, ganz in ihrer Rolle aufzugehen und ihr Bestmögliches zu geben. Im Probenprozess nehmen die Figuren allmählich Form an und es kristallisieren sich die Szenen aus. Hier ist es Aufgabe der Regisseure, den Akteuren Feedback zu geben. Dies wird nicht wertend im Sinne von richtig oder falsch bzw. gut oder schlecht formuliert, sondern immer nur, welchen Beitrag es in Bezug auf das angestrebte Ziel leistet.
Ensemble zusammenstellen
Im Theater wie im Business ist das Casting von wesentlicher Bedeutung. Einerseits geht es darum, wer welche Rolle(n) übernimmt. Übrigens nicht nur im Business sind dafür häufig die Entscheidungsbefugnisse und Wahlfreiheit beschränkt. Es sind Glücksfälle, wo »Idealbesetzungen« möglich sind.
Andererseits ist die stimmige Zusammensetzung des Ensembles erfolgsentscheidend. Gegenseitiges Vertrauen ist die Voraussetzung für engagiertes Zusammenspiel. Was sich im Business erst langsam herumspricht, ist im Theater selbstverständlich: Diversität ist für ein Team höchst bereichernd.
Gewinnende Wirkung
Peter Zadek (prägender Regisseur des deutschsprachigen Theaters) ist um eine Grußbotschaft für die Schauspielstudenten am Max Reinhardt Seminar gebeten worden. Seine Wortspende: »Wir wollen Euch ermöglichen, Euch kennenzulernen, dazu zu stehen, wer Ihr seid und nicht immer demonstrieren zu müssen, wer Ihr seid. Technik ist ein nützlicher Zusatz.« Das kann man auch als Grundsatz für Leadership-Aus- und Weiterbildungen nehmen.
Aufeinanderprallen von Interessen
Aufgabe der Schauspieler ist es, durch die Augen der von ihnen verkörperten Figur auf das gemeinsame Thema zu schauen und die Interessen der Figur glaubhaft und mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln zu vertreten. Wenn im Zuge der Begegnungen Interessen aufeinanderprallen, dann gilt es diese zu verhandeln. Daraus entsteht dann die Handlung.
Das ist für mich die spannendste Erkenntnis aus der Zusammenarbeit mit vielen Theaterschaffenden: Jede Inszenierung lebt von einem zentralen Konflikt, der im Zuge des Stücks – in welcher Weise auch immer – die Handlung vorantreibt. Der Appell von Robert Kegan »Betrachte Konflikte immer als Aufeinanderprallen von Ideen, nicht von Menschen« wird im Theater konsequent gelebt. Auch wenn Schauspieler die ärgsten Feinde verkörpern, gilt immer als oberster Grundsatz, die anderen in ihren Rollen gut aussehen zu lassen. Erfolg kann sich nur einstellen, wenn man MITEINANDER spielt. Für gegenseitiges Ausspielen ist im Ensemble kein Platz.
Möge sich auch im Business dieses Zitat von Max Reinhardt aus seiner großen »Rede über den Schauspieler« durchsetzen: »Diese Kunst ist eine gemeinschaftliche Kunst, eine Ensemblekunst und nur im Ensemble, in dem einer für alle und alle für die Sache wirken, blüht das unverwelkliche Wunder des Theaters.«
Konkurrenz macht krank. Nur gemeinsam können wir die Herausforderungen meistern.