Coaching erlebt derzeit einen Boom und gewinnt in verschiedenen Bereichen an Bedeutung. Doch: Werden Coaches in Zukunft von einer Künstlichen Intelligenz abgelöst? Und welche Themen brennen den Klienten derzeit unter den Fingernägeln?
Menschen erkennen zunehmend den Wert von Coaching für ihre berufliche und persönliche Entwicklung. Coaching hilft, Fähigkeiten zu erweitern, den Umgang mit Herausforderungen zu verbessern und persönliches Wachstum zu fördern. Die Globalisierung und der technologische Fortschritt haben zudem die Arbeitswelt verändert, was die Nachfrage nach Fachleuten mit neuen und spezialisierten Fähigkeiten erhöht. Coaching unterstützt Menschen dabei, ihre Fähigkeiten auszubauen und ihre Karrierechancen zu verbessern. Dazu kommt, dass die Möglichkeiten und das Angebot für Online-Coaching stark gewachsen sind. Die Flexibilität und Bequemlichkeit, die Online-Coaching bietet, trägt zu seiner Beliebtheit bei.
TRAiNiNG hat bei einigen Coaching-Experten über die aktuelle Nachfrage nach Coaching, die Themen und über die »künstliche Konkurrenz« nachgefragt.
»Unternehmen erkennen zunehmend, dass die Investition in die persönliche Entwicklung ihrer Mitarbeitenden langfristig zu einer höheren Mitarbeiterbindung, Produktivität und Wettbewerbsfähigkeit führt«, weiß Sabine Prohaska (Geschäftsführung seminarconsult). »Menschen sind gefordert, sich rasch an die neuen Anforderungen und Herausforderungen anzupassen. Coaching ist dafür ein zielführender Ansatz, das belegt eine wachsende Menge an Forschungsergebnissen. Ein Vorteil des Einzelsettings im Vergleich zu den Gruppensettings in klassischen Seminaren ist, dass es auf die spezifischen Bedürfnisse und Ziele des Klienten zugeschnitten ist und vor allem im digitalen Setting sehr schnell und flexibel organisiert werden kann.«
Corinna Ladinig (Geschäftsführung ctc-Academy) erklärt, warum die Nachfrage nach professionellem Coaching weiterhin so stark steigt: »Die Arbeitswelt wird komplexer und viele Unternehmen haben den Nutzen einer externen Sichtweise von gut ausgebildeten Coaches erkannt. Teilweise schaffen sie es auch nicht, ausreichend Unterstützung für neue Führungskräfte bereitzustellen und greifen daher auf externe Coaches zurück. In manchen Bereichen ist es auch ›State of the Art‹ geworden, Coaches zu haben.«
Coaching unterstützt die Suche im Inneren eines Menschen. Genau auf diese Suche begeben sich immer mehr Menschen, wie auch Dagmar Grafeneder (KICK OFF Management Consulting) weiß: »Die Mehrheit der Menschen versucht in der Regel, die Lösung ihrer Probleme im Außen zu erreichen; also über die Veränderung von Rahmenbedingungen, Festsetzen von Regeln, Erwartungen an die anderen etc. Die Haltung hinter dieser Vorgehensweise ist meist das Denkmodell ›Der andere ist schuld, dass es mir schlecht geht‹ bzw. ›Der andere soll etwas tun, damit es mir gut geht‹. Nur leider ist das ein Mythos, denn solange wir in dieser Haltung leben, sind wir immer von anderen abhängig und weit davon entfernt, ein eigenverantwortliches Leben zu führen. Immer weniger funktioniert damit auch die Suche nach Lösungen im Außen in dieser aktuellen Welt. Je mehr Menschen dies erkennen, umso mehr suchen damit auch neue Lösungswege – und einer davon ist Coaching.«
Ursula Autengruber (Geschäftsführung Structogram Österreich) erklärt den Coaching-Boom so: »Das Image des Coachings hat sich verändert. Man arbeitet nicht mit einem Coach zusammen, weil man ›schlecht‹ ist, sondern weil man besser werden will, ähnlich wie im Sport.«
Die aktuellen Themen
Coaching deckt eine Vielzahl von Themen ab, je nach den Bedürfnissen der Klienten. Im Bereich der Karriere unterstützt Coaching häufig bei der Karriereplanung, dem Umgang mit Konflikten am Arbeitsplatz oder der Vorbereitung auf Beförderungen und Gehaltsverhandlungen.
Roman Braun (Geschäftsführung TRINERGY) sagt über die Themen seiner Klienten: »Aktuell haben wir Themen rund um berufliche und private Zukunftsängste, Umgang mit Krankheit, Depression, finanzielle und gesellschaftliche Unsicherheit, Persönlichkeitsentwicklung, sowie Liebe und Partnerschaft. Ein weiteres wichtiges Thema ist die Stärkung der internen Referenz: Viele Menschen leiden darunter, dass sie ihrer eigenen Wahrnehmung und Meinung nicht mehr trauen, sie nicht mehr proaktiv sind, sondern auf Institutionen hören.«
»Je nach Alter und Funktion werden andere Themen bearbeitet«, beobachtet Ursula Autengruber. »Bei jungen Mitarbeitern stehen eher die Karriereplanung, Themen der Persönlichkeitsentwicklung und die Zusammenarbeit im Team im Fokus. Bei älteren Mitarbeitern geht es eher um den Umgang mit Veränderungen und den Herausforderungen unserer Zeit (Tempo, Generationenvielfalt, Übergang zur Pension). Führungskräfte konzentrieren sich im Coaching eher auf Leadership-Themen, das Führen von ›heiklen‹ Mitarbeitergesprächen und Konflikten in der Abteilung. Mitarbeiter im Vertrieb arbeiten daran, wie sie die Bindung zu ihren Kunden stärken können und wie sie die Hürde zur Kaltakquise am besten bewältigen.«
Coaching und KI
Kann eine Künstliche Intelligenz in Zukunft einen Coach ersetzen? Die Frage stellen sich Experten schon lange. So sieht die Antwort von ChatGPT selbst aus: »Obwohl ChatGPT als KI-gestütztes Modell hilfreiche Informationen, Ratschläge und Unterstützung bieten kann, kann es derzeit einen professionellen Coach nicht vollständig ersetzen. Ein Coach bringt persönliche Erfahrungen, emotionale Intelligenz und die Fähigkeit zur Empathie in den Coaching-Prozess ein, die eine KI noch nicht in demselben Maße bieten kann.« Es ist spannend, hier Wörter wie »derzeit« und »noch nicht« herauszulesen. ChatGPT glaubt also offenbar daran, in Zukunft einen Coach ersetzen zu können. Unsere Interviewpartner sehen das kritischer.
Roman Braun: »Das Live-Coaching ist ein wichtiger Gegenpol zur stattgefundenen sozialen Isolation, die Live-Interaktion mit einem anderen Menschen nicht ersetzbar. Deshalb kann Künstliche Intelligenz nicht die körperliche Anwesenheit eines Coaches mit dessen Wahrnehmungsgenauigkeit, Rapportfähigkeit, kognitiver Empathie, Mitmenschlichkeit und Flexibilität ersetzen. Sie hat keinen Zugriff auf dieselben emotionalen Erfahrungen, die ein erfahrener und kompetenter Coach mitbringt.«
Corinna Ladinig: »Ich glaube nicht, dass eine KI einen Coach ersetzen kann – aber sie kann im Selbstcoaching hilfreich sein. Wenn die Benutzer der KI die ›richtige‹ Fragestellung eingeben, dann könnten sie Selbst-Reflexionsfragen zu einem Thema generieren und diese für sich dann beantworten.«
Sabine Prohaska ist hier etwas anderer Meinung: »Ich habe in den letzten Wochen damit experimentiert und kann sagen: Die Künstliche Intelligenz coacht erstaunlich gut. Die KI passt sich im Gesprächsverhalten sogar meinen Wünschen an. Wenn wir bedenken, dass wir erst am Anfang der Arbeit mit KI sind, dann steht für mich außer Frage, dass sich die Künstliche Intelligenz in Zukunft immer besser unseren individuellen Bedürfnissen anpassen und in der Lage sein wird, auch Emotionen der Benutzer zu erkennen und darauf passend zu reagieren. Die Künstliche Intelligenz wird bei bestimmten Anliegen einen Termin beim Coach nicht mehr nötig machen, denn sie kann helfen, Menschen bei der Problemlösung und Ideengenerierung zu unterstützen. Ich gehe aber nicht davon aus, dass sie Coaches oder Berater vollständig ersetzen wird. In einer Welt, die immer stärker digitalisiert wird, kann eine persönliche Beratung besonders wichtig sein oder als besonders wertvoll erlebt werden.«
So coacht die KI
Um Ihnen eine Idee davon zu geben, wie eine KI bereits jetzt gute Coaching-Fragen stellen kann, hier ein Beispiel von verlagwirl.com/coach:
User: »Ich fühle mich im Job überfordert.«
KI: »Es tut mir leid, dass Sie sich überfordert fühlen. Lassen Sie uns versuchen, das Problem besser zu verstehen. Können Sie mir ein Beispiel geben, bei dem Sie sich in letzter Zeit überfordert gefühlt haben?«
User: »Mein Vorgesetzter gibt mir immer mehr Aufgaben, obwohl ich mit den bestehenden Aufgaben schon zeitlich nicht klar komme.«
KI »Das klingt in der Tat herausfordernd. Haben Sie bereits versucht, mit Ihrem Vorgesetzten über Ihre Arbeitsbelastung zu sprechen?«
User: »Nein, ich fühle mich für so ein Gespräch nicht gut genug.«
KI: »Ich verstehe, dass es schwierig sein kann, solche Gespräche zu führen. Gibt es bestimmte Gründe, die Sie davon abhalten, das Gespräch mit Ihrem Vorgesetzten zu suchen?«
Dagmar Grafeneder über moderne Technik im Coaching: »Heute werden oft Sprachprogramme eingesetzt, um in hybrider Form – Kombination von Mensch und KI – Erfolge im Coaching-Prozess zu generieren. Es gibt auch die verschiedensten virtuellen Möglichkeiten – wie der Einsatz von Virtual Reality – oder Chatbots für Bewerbungsprozesse. Die Möglichkeiten sind schier unbegrenzt, aber am Ende des Tages werden es trotzdem Menschen bleiben, die zusammenarbeiten werden. Der damit verbundene Lebensfunke kann nicht ersetzt werden. Es ist fraglich, ob ein aufmunterndes Lächeln eines Avatars jemals gleich bedeutsam sein kann wie das der Kollegen, der Vorgesetzten oder des Coaches.«
Ursula Autengruber erweitert die Diskussion um einen spannenden Aspekt: »ChatGPT kann im ›Dialog‹ gute Fragen stellen – ähnlich wie sie auch ein Coach stellen würde. Haben die Coachees eine ›blaue Biostruktur‹ (Zahlen, Daten, Fakten sind interessant; analysieren und planen viel; schätzen Ruhe und Distanz), dann können sie sich von den Fragen gut leiten lassen, denn diese unterstützen bei der Reflexion und geben Zeit zum Nachdenken. Haben Klienten allerdings eine ›rote Biostruktur‹ (praktisches Tun und Ausprobieren sind interessant; schätzen Tempo und Dynamik, eher ungeduldig), werden sie vermutlich spätestens nach der 3. Frage ›aussteigen‹, es geht einfach zu langsam. Und haben Klienten eine ›grüne Biostruktur‹ (schätzen das Gespräch und die Zuwendung, wollen Geschichten erzählen und schweifen oft ab), dann wollen sie mit einem Menschen sprechen und werden so ein Werkzeug nicht verwenden. Oft steht hinter der Antwort eines Coachees ›eigentlich‹ ein ganz anderes Thema. Als Coach erkennt man verschiedene Signale des Gegenübers und kann hier nachhaken. Bei einem KI-Coach könnten die Coachees einfach die Fragen ›logisch‹ weiter beantworten und kommen so nie auf das eigentliche, zugrundeliegende Thema.«
Die Coaching-Zukunft
Die Welt des Coachings befindet sich also an der Schwelle zu einer spannenden Zukunft. Mit rasanten Fortschritten in Technologie und sich verändernden sozialen Normen ist das Feld des Coachings ständig in Bewegung und bereit, sich auf innovative Weisen weiterzuentwickeln. Wie sehen das die interviewten Experten?
Sabine Prohaska: »Ich gehe davon aus, dass die Kombination aus menschlicher Expertise und KI dazu beitragen wird, die Effektivität von Coaching zu verbessern und die Menschen besser auf Veränderungen und Herausforderungen in ihrem Leben vorzubereiten.«
Dagmar Grafeneder: »KI ist nicht mehr aus unserem Weltbild wegzudenken und wird rasch Einzug auch im Coaching-Business halten. Für das Coaching kann das bedeuten, uns für neue Formen der Kommunikation zu öffnen, uns für neue Formen der Wissensvermittlung zu interessieren, uns auf neue Erfahrungsmöglichkeiten einzulassen und vielleicht auch auf ganz neue Coachingthemen.«
Corinna Ladinig: »Coaching wird es noch viel öfter und gezielter geben. Eine Evaluierung der Coachingprozesse wird punktgenauer möglich sein. Viele – wenn nicht die meisten – Coachings werden virtuell stattfinden. Möglicherweise in ansprechenderen virtuellen Welten als momentan in Zoom oder MSTeams.«
Roman Braun: »Rückblickend hat sich Coaching in den letzten 10 Jahren nicht verändert: Coaching bedeutet nach wie vor, dass ein Coach sein Bewusstsein in den Dienst der Klienten stellt, sodass die Klienten gemeinsam mit dem Coach wieder anfangen können, sich selbst zu überraschen. Die Folge sind Lösungen, die immer unerwartet sind, nicht immer bequem und bisweilen nicht mal angenehm, aber immer hilfreich. Das wird auch in Zukunft so bleiben.«
Fazit
Die Zukunft des Coachings hält ein enormes Potenzial bereit. Trotz aller technologischen Innovationen darf jedoch nicht vergessen werden, dass die menschliche Komponente im Coaching unerlässlich bleibt. Der Weg in die Zukunft des Coachings ist daher vermutlich kein Entweder-Oder zwischen Mensch und Maschine, sondern ein harmonisches Miteinander, das das Beste aus beiden Welten nutzt.