Wenn Lernen neue Wege geht

E-Learning, Blended Learning, Mobile Learning, VR im Training oder Micro-Learning sind nur einige der Lernformen, die seit einigen Jahren in der Erwachsenenbildung »für Unruhe sorgen«. Welche Lernformen Zukunft haben, lesen Sie in diesem Artikel.

Früher war es klar und einfach: Sobald Mitarbeiter geschult werden mussten, fuhren sie entweder zum Seminar in ein Hotel oder der Trainer kam ins Unternehmen. Das Seminar erstreckte sich über 2 bis 3 Tage, davor und danach passierte wenig bis nichts. Meist tatsächlich gar nichts. Der Lerneffekt war gering, der Spaß vielleicht groß. Das Unternehmen trauerte dem vielen Geld nach, das häufig unnötig ausgegeben wurde.
Heute sind Präsenzseminare in den meisten Fällen in eine gesamte Personalentwicklungsstrategie eingebettet, es besteht eine didaktisch durchdachte Vor- und Nachbereitung, die Inhalte werden meist ergänzt durch elektronische Medien. Blended Learning ist bekanntlich die Kombination aus E-Learning und klassischem Präsenztraining. Dabei sollen vor allem theoretische Inhalte standardisiert via elektronischen Lernmedien vermittelt werden, um die immer knapper und teurer werdende Zeit im Seminarraum effizient für Übungen und konkreten Praxistransfer zu nutzen. Auch das sogenannte M-Learning, also Mobile-Learning, ist ein Trend unserer Zeit. Dabei wird das Smartphone zum Lernen verwendet. Im Unterschied zum E-Learning vor dem PC ist es informeller, beinhaltet schnellere und knappere Inhalte und lädt zum täglichen Lernen ein. TRAiNiNG hat drei Experten über moderne Lernformen interviewt.

Wie ist die Akzeptanz von E-Learning und anderen digitalen Lernmethoden heute in Österreich?

Wolfgang Reis (Geschäftsführer biz.talk): »Das Ausmaß der Umsetzung von E-Learning-Lösungen ist eine Frage der Betriebsgröße. Da Österreich in starkem Ausmaß durch KMU geprägt ist und E-Learning-Lösungen eher von Großunternehmen gepusht werden, ist die Verbreitung von E-Learning hier somit nicht an der europäischen Spitze.«

Birgit Fischer-Sitzwohl (Geschäftsführerin und Trainerin bei ­Coverdale Managementberatungs und -trainings GmbH) weiß, dass das Thema digitale Lernmethoden langsam in den Unternehmen ankommt: »Durch die höhere Flexibilität wird die Lernmethode bei unseren internationalen Kunden immer beliebter. Wir machen die Erfahrung, dass die Akzeptanz unseres digitalen Programms mit der Affinität zu elektronischen Medien generell, bzw. mit der Ausstattung am Arbeitsplatz zu tun hat. Wir hatten schon einige Fälle, in denen zwar die HR-Abteilung gerne digitale Lernprogramme eingesetzt hätte, aber die Rechner der Mitarbeiter so aufgesetzt waren, dass keine Videos abgespielt werden konnten und die klassischen Videotelefonie-Funktionen abgestellt waren.«

Martin Röhsner (Geschäftsführer die Berater® und stv. Obmann der Plattform für berufsbezogene Erwachsenenbildung – PbEB): »Die Akzeptanz ist vielfach höher als manche annehmen. Der Vergleich mit anderen Ländern muss zwangsläufig differenzierter ausfallen. Skandinavische Länder zum Beispiel sind eher weiter vorne bei der Umsetzung von digitalen Lernformen, aber eben auch bei der Digitalisierung im gesellschaftlichen Alltag. Österreich liegt im guten Mittelfeld und die Akzeptanz wird in den nächsten Jahren stetig ansteigen, sehr stark ausgehend von internationalen Konzernen, die bereits hohe Anteile der Weiterbildung online durchführen.«

Lernen im Wandel

Dass sich Menschen in den letzten Jahren an den Umgang mit Smartphone und PC gewöhnt haben, ist bekannt. Die Schnelllebigkeit der Inhalte erfordert jedoch ein Umdenken auch im Lernen. Die Halbwertszeit von Wissen wird immer kürzer – das Wissen muss daher regelmäßig aufgefrischt werden. Beim Umdenken muss ebenfalls beachtet werden, dass Erkenntnisse, die vor 5 Jahren zutrafen und auch richtig waren, heute unter Umständen nicht mehr zutreffen. Ja, schlichtweg falsch sind. Heute sind Seminare sehr teuer, kosten viel Zeit und Geld, daher haben sich die Lernmedien verändert. Digitales Lernen ist die kostengünstige, flexible Lösung zur Personalentwicklung, so die allgemeine Devise.

Birgit Fischer-Sitzwohl: »Ich kann mich noch gut an die ersten E-Learning-Angebote von großen US-Firmen erinnern. Das waren vertonte, staubige Powerpoint-Slides, sehr standardisiert und für den Lernenden unheimlich fad, weil zumeist ziemlich seicht. Die Produktion von E-Learning war wahnsinnig teuer, und viele Kunden waren der Meinung, dass der Aufbau von Skills zukünftig wie mit dem ›Nürnberger Trichter‹ vermittelbar sei: Der Lernende setzt sich vor den Rechner und nachdem er das ganze Training ›absolviert‹ hat, kann er die vermittelten Inhalte auch. Mittlerweile hat sich Blended Learning als ultraflexible Lernmethode etabliert. Gut gemachte Content-Elemente kombiniert mit persönlicher Betreuung durch einen Coach oder Trainer wird zielgerichtet bereitgestellt. Der Lernende steuert das Tempo, indem die Coaching-Einheiten flexibel vereinbar sind. Inhalte können vielsprachig angeboten werden, Coachingzeiten sind kurzfristig buchbar und können auch wahrgenommen werden, wenn man nicht am Unternehmensstandort tätig ist. Mit Hilfe von Programmen, wie zum Beispiel ›Articulate‹, können Content-Elemente relativ einfach, schnell und kostengünstig erzeugt werden. Damit ist ein flexibles Reagieren auf spezifische Anforderungen möglich.«

Wolfgang Reis nimmt die modernen Lernformen nicht unhinterfragt hin: »Erfolgreiche Lernumgebungen zeichnen sich nicht primär durch den Einsatz von möglichst viel High-Tech aus. Viel wichtiger ist, dass einzelne Elemente in sinnvoller Weise miteinander kombiniert werden und dass dabei nicht vergessen wird, dass es neben der elektronischen Welt auch noch die reale gibt. Ziel ist immer, ein optimales Lernergebnis zu erreichen, nicht der kurzfristige Wow-Effekt.«

Die richtige Lernumgebung

Nicht jede Technik ist für jedes Thema bzw. für jeden Lernenden richtig. Die Technik muss sich an den Menschen anpassen und umgekehrt. Wenn jemand lieber am Smartphone lernt, sollte er die Chance dazu haben. Auch unterschiedliche Lern-Management-Systeme müssen zum Unternehmen passen.
Birgit Fischer-Sitzwohl gibt wertvolle Tipps dazu: »Wir haben mehrere Lernplattformen ausprobiert und sind mit Moodle sehr zufrieden. Hat das Unternehmen eine Haus-IT, empfehlen wir, das System selbst zu hosten. Jede Einschränkung über eine Agentur beschränkt die Nutzung der Plattform. Auch SAP bietet eine Lernplattform an, die von einigen unserer Kunden genutzt wird. Diese hat nur eingeschränkte Funktionalität. Für reine ›Wissensvermittlungskurse‹ ist diese Plattform gut geeignet. Je mehr Interaktion – auch mit Externen – erforderlich ist, desto mehr Schwierigkeiten treten auf.«

Martin Röhsner über den Vorteil von Lernplattformen: »Lernvideos und Lernplattformen sind die am stärksten wachsende Gruppe im Onlinesektor und werden sich weiter durchsetzen. Gerade Lernplattformen bieten den wesentlichen Vorteil, differenziert nach einzelnen User-Gruppen in die Tiefe gehen zu können und zum Beispiel Content für Führungskräfte und Mitarbeiter einer Abteilung unterschiedlich zu gestalten.«

Je häufiger neues Wissen wiederholt wird, umso wahrscheinlicher ist der nachhaltige Lerneffekt. Eine neue Lernform hat sich diesem Prinzip besonders stark verschrieben.

Wolfgang Reis: »Micro-Learning ist hier das Stichwort. Kleine, immer wieder aufrufbare Lernmodule, eingebettet in ein übergeordnetes E-Learning, machen moderne E-Learnings handhabbar und geben dem Lerner die Möglichkeit, sich flexibel in kleinen Happen Wissen anzueignen. So wird der Wissenstransfer nachhaltig erhöht. Ich denke da konkret an E-Learnings, welche ganz gezielt z. B. als moderne Nachschlagewerke oder Wikis, mit den neuesten Methoden des Web- und Medien-Designs aufgebaut sind. Moderne Technologien helfen dabei natürlich immens.«

VR- und AR-Trainings

Virtual-Reality-Brillen sind in der Trainingsbranche auf dem Vormarsch, auch wenn sie bisher noch eine geringe Verbreitung haben. Einer der stärksten Einflussfaktoren für nachhaltige Trainingseffekte liegt im »erfahrungsbasierten Lernen«. VR kann diese »Erfahrung« durch virtuelle Präsenz viel stärker erzeugen als klassisches E-Learning.

Martin Röhsner ist dennoch realistisch und kennt die Zahlen: »Erst 8 % der heimischen Unternehmen setzen diese Lernformen ein, und der Anteil wird sicher in den nächsten zwei bis drei Jahren nicht wesentlich steigen. Der Kosten-Nutzen-Effekt ist noch zu gering, um hier einen Siegeszug antreten zu können. Darüber hinaus sind Prognosen sehr schwierig.«

Wolfgang Reis ist für die Zukunft etwas optimistischer: »Ganz grundsätzlich sind die Chancen, welche AR- und VR-Applikationen in Zukunft bieten, äußerst groß. Denkbar ist VR derzeit vor allem im Bereich der klassischen Präsenztrainings, wo es dann beispielsweise als Unterstützung für Produktpräsentationen und dabei zur innovativen, zusätzlichen Wissensvertiefung genutzt werden kann. Bei AR (Augmented Reality) sieht die Sache aktuell bereits etwas anders aus. AR-Applikationen können ohne zusätzliches technisches Equipment, wie eine extra Brille, bereits eine Vielzahl an Lerninhalten vermitteln. Grundsätzlich haben Sie alles, was Sie für ein AR-Training brauchen, immer in der Hosentasche dabei, nämlich Ihr Smartphone. Ausgestattet mit einer entsprechenden App und gesteuert durch beispielsweise Trigger-Punkte kann bereits jetzt die aktuelle Umgebung mit zusätzlichem Inhalt gefüllt werden. Stellen Sie sich vor, Sie betreten einen Raum und halten Ihr Handy in eine beliebige Ecke, und auf einmal sehen Sie dort ein neues Haushaltsgerät vor sich stehen. Sie können nun mit dem Gerät (virtuell) interagieren und es in seinen Funktionen und Anwendungen besser kennenlernen. Diese Vorgehensweise können wir auf alle möglichen Szenarien übertragen und der Lerntransfer ist immens.«

Ein Blick in die Zukunft

Laut der Weiterbildungsstudie 2019 der Plattform für berufsbezogene Erwachsenenbildung (PbEB) entfallen derzeit von allen Weiterbildungsmaßnahmen 63 % auf reine Präsenztrainings, 17 % auf Blended-Learning-Formate und 18 % auf reine digitale Lernformen (3 % sind sonstige). Von den Unternehmen, die digitale Lernformen einsetzen, liegen Lernvideos mit 41 % auf Platz 1, gefolgt von Webinaren (37 %) und Selbstlerntools (35 %). Auf Platz 4 finden sich Lernplattformen (34 %).

Abschließend wollen wir wissen, wohin die Reise gehen wird. Was erwartet uns in Zukunft?
Birgit Fischer-Sitzwohl: »Ich rechne damit, dass digitales Lernen noch viel stärker am Weiterbildungsmarkt verbreitet sein wird. Immer dann, wenn der Lernende keine Gruppe braucht, um zu lernen, ist das digitale Lernen die flexiblere und für eine Einzelperson günstigere Methode als klassisches Classroom-Training. Disloziertes Arbeiten ist mittlerweile in vielen Unternehmen Standard. Reisekosten sollten nicht explodieren – daher ist Lernen am Arbeitsplatz eine gute Alternative. Was viele Führungskräfte dabei noch lernen müssen: Lernen passiert nicht über Nacht oder von selbst. Die Mitarbeiter brauchen dafür Zeit. Egal, ob sie für die Lerneinheit am Rechner sitzen, oder im Seminarhotel.«

Wolfgang Reis: »In Zukunft wird Lernen immer und permanent stattfinden. Vor allem E-Learnings werden es in Zukunft durch technische Lösungen und Innovationen schaffen, Wissen jederzeit gezielt und auf Abruf zur Verfügung zu stellen. Hinterfragen Sie an dieser Stelle kurz, was Sie machen, wenn Sie ein ganz alltägliches Problem haben, sagen wir, Sie wissen nicht, wie Sie sich die Krawatte korrekt binden. Was machen Sie dann? Der Besuch von YouTube ist die Lösung. Stellen Sie sich nun vor, Sie sind neu im Job und Sie übernehmen dabei sehr bald erste, kleinere administrative Tätigkeiten. In Zukunft nützen Sie vielleicht eine Onboarding-App auf Ihrem Firmenhandy, wenn Sie dafür Unterstützung brauchen.«

Martin Röhsner: »Kürzere Lerneinheiten und individuell zusammengestellter Content wird die Lernform der Zukunft sein. Wir wollen selbst entscheiden, wann und wo wir lernen, und vielfach empfinden wir dadurch Lernen nicht mehr als Lernen im früher verstandenen Sinn. Parameter verschieben sich diesbezüglich in den nächsten Jahren, dies setzt aber ein Grundverständnis digitaler Kompetenz voraus.«

Fazit
Lernen soll, darf und kann Spaß machen. Genau das können digitale Lernmedien schaffen, wenn jeder individuell so lernen kann und darf, wie er möchte. Voraussetzungen dafür sind Offenheit für neue Medien und die Bereitschaft, auch Neues auszuprobieren. Präsenzseminare wird es bei einigen Themen sicherlich auch in Zukunft geben – alleine schon wegen des sozialen Aspekts. Gut gemacht können digitale Lernformen relativ kostengünstig schnell aktuelles Wissen an eine Vielzahl von Menschen weitergeben.

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