Wenn Ordnung out ist

Wie sich Agilität in Controlling und Finance niederschlägt, beschreibt Gastautor Christian Kreuzer in diesem Artikel.

Stellen Sie sich vor, Sie haben als Controlling-Leiter ein Wunder vollbracht. Der Budgetierungsprozess läuft schlank, die Kostenstellenstruktur bildet das Operating Model gut ab und Ad-hoc-Reports sind auf das Minimum reduziert. Es herrscht Ordnung. Auf einmal hören Sie, dass Ordnung out ist und das ganze Unternehmen agil werden muss. Überall werden agile Projekte gestartet, die Ihr wunderschönes Bauwerk zum Einstürzen bringen.
Der digitale Wandel verändert alles und stellt Unternehmen vor die Aufgabe, sich einem stetig veränderten Markt anzupassen. Daher arbeiten Unternehmen digitaler, schneller und agiler. Wie können sich Unternehmen auf diese Veränderungen einstellen? Ziel ist, mit der Konkurrenz mitzuhalten, sich an die Geschwindigkeit einer digitalen, fluiden und niemals stillstehenden Welt anzupassen und dabei ein solides Umfeld für alle Mitarbeitenden zu schaffen. Wie das gelingen kann? Über die Grenzen herkömmlicher Führungsmethoden und Managementkonzepte hinaus zu denken und zu agieren. Und hier kommt die Agilität ins Spiel. Doch was bedeutet Agilität eigentlich? Ist es mehr als ein Buzzword? Und welchen Stellenwert hat es in den Bereichen Controlling und Finance?
»Agility is an emergent property that appears when an organization has the right mindset, the right skills, and the ability to multiply those skills through collaboration. To count agility as a core competence, you have to embed it into the culture. You have to encourage an enterprise-wide appetite for radical ideas. You have to keep the company in a constant state of inventiveness. It’s one thing to inject a company with inventiveness. It’s another thing to build a company on inventiveness«, schreibt Marty Neumeier (The Designful Company).

Produktiver und schneller?

Agile ist ein Prinzip, das ursprünglich aus der Software-Entwicklung kommt und in den 1970er-Jahren populär wurde. Agile versuchte, aus den damals starren Software-Entwicklungsprozessen auszubrechen und die Produktentwicklung schlanker, schneller und kundenfokussierter zu machen. Dies soll durch vier Prinzipien erreicht werden: Fokus auf Individuen und nicht Prozesse; Fokus auf Funktion und nicht Dokumentation; Fokus auf den Kunden und nicht Regeln; Fokus auf Veränderung und nicht Planung. Durch dieses agile Vorgehen soll eine Reihe von Vorteilen erzielt werden, die sich in Kosten, Zeit und Qualität bemerkbar machen. Studien zeigen, dass über 80 % agiler Projekte produktiver und schneller am Markt sind als traditionell geführte Projekte.
Exemplarischen Ausdruck finden diese Veränderungen 2001 in einem Manifest, dem »Manifesto for Agile Software Development«
(http://agilemanifesto.org):
»Through this work we have come to value:

  • Individuals and interactions over processes and tools
  • Working software over comprehensive documentation
  • Customer collaboration over contract negotiation
  • Responding to change over following a plan

That is, while there is value in the items on the right, we value the items on the left more.«
Das damit postulierte »neue Arbeiten« wurde sehr rasch zum generellen Paradigma einer zukunftsfähigen Arbeits- und Lebenswelt. Scrum, Kanban, Lean oder Crystal haben gemeinsam, dass sie Teams zu laufender Kommunikation und Zusammenarbeit zwingen, den Projektfortschritt auch visuell zum zentralen Thema machen und durch zeitlich enge Arbeits-, Lern- und Testphasen rasch zu brauchbaren Ergebnissen kommen. Gepaart mit hohem Kundenfokus und pragmatischen Management-Strukturen ergibt sich ein schlagkräftiges und zielgerichtetes Vorgehen.

5 Merkmale agiler Organisationen

Die Bausteine agilen Managements zeigen sich vor allem auf Team-Ebene. Agile Teams sind funktionsübergreifend zusammengestellt, organisieren sich selbst mit gemeinsamer Verantwortung und bearbeiten Aufgaben in Vollzeit sequenziell. Dadurch werden Ablenkungen vermieden und es wird sichergestellt, dass Aufgaben abgeschlossen werden, bevor neue beginnen. Kein Wunder also, dass diese Methoden und Prinzipien auch außerhalb der IT Anwendung finden und sich derzeit zu einem Managementstil für das ganze Unternehmen entwickeln.

Nach McKinsey entstehen fünf Merkmale agiler Organisationen:

  • Agile Strategie: von der Eroberung knapper Ressourcen zur Co-Creation von Werten mit den Stakeholdern.
  • Agile Strukturen: von strikten Hierarchien zu Netzwerken selbstständiger Teams.
  • Agile Prozesse: von strikten Plänen zu schnellen Lernzyklen und Experimenten.
  • Agile Mitarbeiter: von Abwicklern zu eigenverantwortlichen Team-Playern.
  • Agile Technologie: von einer Support-Funktion zum integralen Bestandteil der Wertschöpfung.

Agile erhebt den Anspruch, durch schrittweise Veränderungen nachhaltige Wirkung zu erzielen. Während radikale Vertreter des agilen Managements z. B. die gesamte Unternehmensplanung in Frage stellen, ergeben sich für Realisten zahlreiche weniger dramatische, inkrementelle Anknüpfungspunkte für agile Veränderungen. So kann z. B. der Anspruch hinterfragt werden, das gesamte Budget – von der Unternehmensplanung bis zur Kostenstelle – im Controlling zu integrieren. Durch OKR-Methoden (Objectives & Key Results) könnten Teams eigene Steuerungsmechanismen anwenden, die nicht im Controlling abgebildet werden, und dadurch flexible, individuelle und kurzfristige Netzwerke über Abteilungen, Kostenstellen und Reporting-Zeiträume hinaus ausbilden. Erfahrene Controller werden an dieser Stelle sofort auf die Problematik des »single point of truth« oder der Abweichungsanalyse hinweisen, die dann in der Praxis rasch die Motivation des Vorstands, »mal was Neues auszuprobieren«, einschränkt, vor allem wenn das Jahr nicht so gut läuft. Die Herausforderung besteht nun genau darin, den feinen Grat zwischen »laissez faire« und »command and control« für das eigene Unternehmen in seiner spezifischen Situation zu finden.

Transparenz und Stabilität

Zwei Prinzipien für das »Agile Controlling« können dabei als Anregung dienen. Das erste ist vollständige Transparenz. Verteiltes, flexibles Arbeiten bedeutet nicht, dass niemand weiß, was geschieht. Im Gegenteil: Jedes Team muss genau über den Fortschritt aller anderen Teams Bescheid wissen, Ziele und Zielerreichungsgrad sind über das gesamte Unternehmen für jeden transparent. Ein derartiges Reporting wochenaktuell aufzusetzen, ist eine interessante Herausforderung für das Controlling und ein wichtiger Schritt zur agilen Organisation.
Das zweite Prinzip ist die Verbindung von Stabilität und Agilität. Es ist ein großes Missverständnis, dass agile Organisationen chaotisch sind. Im Gegenteil: Agile Organisationen verfügen über einen hohen Grad an Standardisierung und Klarheit, der es erst ermöglicht, agile Bausteine zu entfalten. Erst wenn ich sicher bin, dass ich die Kosten im Griff habe, kann ich den Rahmen geben, innerhalb dessen sie zu gestalten sind; erst wenn mir die Ziele klar sind, kann ich den Weg zu ihnen freigeben; und erst wenn mein Reporting stabil ist, kann ich die Erfolge der Agilität klar erkennen.

Vielleicht ist also die Aufgabe des Controllings im Zuge der Agilität gar nicht, agiler zu werden, sondern eine stabile, verlässliche, strenge Basis für die Agilität zu schaffen.

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kreuzer_christian

Gastautor
Christian Kreuzer
ist Geschäftsführer des Österreichischen Controller-Instituts.

 

Lehrgang Digital Leadership in Controlling & Finance
Competence First – Individuelle Lösungen in Coaching,
Inhouse Trainings & Beratung
www.controller-institut.at