Warum lockere Chefs den Karren an die Wand fahren – Laissez-faire? Eher, lass es lieber sein, oder?
Während flachen Hierarchien und Employee-Empowerment durch Laissez-faire-Führung oftmals positive Effekte auf das Arbeitsklima nachgesagt werden, trauen sich Führungskräfte in diesem Umfeld jedoch immer weniger, Disziplinarmaßnahmen anzuwenden, wo es jedoch dringend notwendig ist. Dies führt einerseits zu einer Demotivation jener Kollegen, die sich korrekt verhalten. Andererseits bleibt falsches Verhalten ungesühnt und wird oftmals wiederholt, was das betriebliche Gesamtgefüge empfindlich stören kann. Wie können sich jedoch Laissez-faire-Führung und Disziplinarmaßnahmen im Firmenalltag konstruktiv ergänzen?
Das Problem
Wir leben im Zeitalter des Employer Brandings – Unternehmen wollen sich im »War for Talents« die besten und innovativsten Köpfe sichern. Korrespondierend mit den Werten der neuen Talente am Arbeitsmarkt, wurden flache Hierarchien das neue Must-Have im Unternehmensprofil. Man verspricht sich dadurch mehr »Wir-Gefühl«, direktere Entscheidungswege und dadurch mehr Dynamik und Innovationskraft. Leider nutzen manche Führungscharaktere eben diese strukturellen Gegebenheiten dazu, sämtliche Verantwortung in die Sphäre der Mitarbeiter zu schieben. Unter der Fassade einer »coolen« Chefität, die sich als humorvoll, entspannt und auf Augenhöhe präsentiert, bildet sich durch Abwesenheit und einen übersteigert lockeren Führungsstil im Team- und Organisationsgefüge ein Macht-Vakuum, in dem sich leider nicht jedes Talent so leicht beweisen kann, und Missstände oftmals ohne Korrektiv fortbestehen.
Was charakterisiert Laissez-fair-Chefs?
Positiv formuliert wird dieser Führungsstil durch Freiheit, Selbstbestimmung und Eigenverantwortung für die Mitarbeiter geprägt. Böse Zungen könnten die Führungskräfte als abwesend, entscheidungsscheu und Taubsteller bezeichnen. Ob ein Laissez-faire-Chef auch gleichzeitig ein wahrlich »lockerer« Chef ist, wird allerdings stark vom subjektiven Erleben der einzelnen Kollegen abhängen. Für einige Führungscharaktere wurde Coolness jedoch zur Rechtfertigung, akutem Handlungsbedarf nicht nachzugehen. Welche Fehler passieren unter dem Deckmantel der »Coolness«?
- Taubstellen: Fehlverhalten von Kollegen wird nicht abgestraft, was zu einem höchst demotivierenden Arbeitsumfeld beiträgt.
- Vertrauensbruch: Die Führungskraft ist abwesend, wenn dringend die Unterstützung gebraucht wird.
- Stress: Gefahr der Überforderung, da keine klare Entscheidungsmatrix besteht, die beschreibt, was Chefsache ist.
- Burn-out-Gefahr: Überarbeitung des Teams, weil Aufgabenbereiche nicht klar abgegrenzt sind und für Arbeitspakete Verantwortung übernommen wird, wo keine Rollenerfordernis besteht.
- (Früh-)Fluktuation: Charaktere, die klare Anweisungen, eine präsente Führungskraft und stärkere fachlich-emotionale Anleitung bevorzugen, bleiben nicht (lange) in der Organisation.
Wann Laissez-faire-Führung funktionieren kann
Was für die einen gesunder Nährboden ist, kann für andere die Job-Hölle bedeuten. Denn jedes Konzept ist nur so gut, wie es von Managern in der Praxis vorgelebt wird.
- Es braucht ein Regelwerk, welches allen zugänglich ist. Sei es ein »Code of Conduct« oder eine »Trustcharta«. Denn diesen Spielregeln kann man als Organisationsmitglied bewusst zustimmen. Sie gewährleisten auch, dass allle, jeweils innerhalb der eigenen Rolle, ihre Rechte und Pflichten kennen.
- Fairness und Ehrlichkeit von Beginn an sind hier der Schlüssel zum Erfolg. Sofern dies bereits im Recruiting und Onboarding bezüglich des Faktors der hohen Eigenverantwortung offengelegt wird, können neue Mitarbeiter eine fundierte Entscheidung treffen, ob sie sich in der Arbeitsumgebung wohlfühlen und konstruktiv schaffen können.
- Das Compensation Management erklärt, dass es für ein faires Gehaltsgefüge eine logische Korrelation zwischen Verantwortung, Teamgröße, finanziellen Entscheidungsrahmen und Führungsaufwand mit dem zugestandenen Gehalt geben soll. Denn wenn man sich ohnehin selbst führt und eigenständig Projekte mit allen Höhen und Tiefen betreuen darf, wieso braucht es da eine Person, die – auch wenn es eine flache Hierarchie ist – doch über einem steht? Die erhöhte Eigenverantwortung muss auch entsprechend abgegolten werden.
- Eine klare Entscheidungskompetenzmatrix unterstützt Mitarbeiter darin, ihre Zuständigkeitsbereiche abzugrenzen. Was dürfen die Kollegen entscheiden und wofür braucht das Teammitglied die Unterschrift der Chefs? In einer idealen Organisation gibt es für jede Position im Unternehmen einen Aufgabenkatalog, in dem Verantwortung und Entscheidungskompetenz schriftlich festgehalten sind. Dies kann auch im Dienstvertrag verankert werden. Mit diesem Konzept schafft man für die Mitarbeiter ein Umfeld nach dem Motto »Volle Freiheit in meinem Rahmen«.
- Etablierte Eskalationsstufen und struktureller Rückhalt sind Basics für ein konstruktives Zusammenarbeiten in einem selbstbestimmten, empowerten Arbeitsumfeld. Dort braucht man die Führungskraft zumeist nur, wenn es wirklich brenzlig wird. In flachen Hierarchien gibt es meistens drei Stufen: die Mitarbeiterschaft, die Teamleitung und die Geschäftsführung. Als Eskalationsstufe vor der Geschäftsführung muss die Teamleitung den Teammitgliedern den Rücken stärken und die richtig harten Fälle handhaben und moderieren. Denn ohne diesen Service an die eigenen Teammitglieder entzieht sich die Führungskraft selbst die Daseinsberechtigung.
Oftmals besteht die Urban Legend, dass flache Hierarchien und Disziplinarmaßnahmen nicht zusammenpassen. Dabei ist es eigentlich ein logisches Paar. Flache Hierarchien brauchen transparente Rahmenbedingungen, damit sich die Mitarbeiter in der Organisation wohlfühlen. Diese müssen top-down von der Führungsebene vorgelebt und praktiziert werden, um ein faires Miteinander gestalten zu können. Teil davon ist, dass Fehlverhalten sanktioniert wird. Das ist nur fair gegenüber jenen Mitarbeitern, die sich korrekt und integer verhalten. Die Disziplinarmaßnahmen sollten entsprechend der Unternehmenskultur gelebt werden.
Kompromisse als Erfolgsrezept
Das Problem sind also nicht die flache Hierarchie oder der Laissez-fair-Führungsstil. Beides hat sein Potenzial, welches es auszuschöpfen gilt. Ungesühntes Fehlverhalten ist in jeder Organisationsform und im Rahmen jedes Führungsstils ein Synergienkiller. Es führt dazu, dass Kollegen frustriert sind oder gar die Organisation verlassen. Der Knackpunkt liegt daher in der Führungspersönlichkeit. Wahrlich »coole« Chefs können nämlich beides: Auf der einen Seite sehr wohl menschennahe mit Humor führen, Ebenbürtigkeit vorleben, laissez-faire-basiert Freiräume und Empowerment zulassen und auf der anderen Seite weisen sie dennoch Fehlverhalten zurecht und stehen den Teammitgliedern im Ernstfall mit Rat und Tat zur Seite.