Wir sind authentisch!

Es ist das Schlagwort der aktuellen Trainergeneration. Aber nicht nur das: Lebensmittel sollen authentisch sein, Häuser und sogar Zigaretten.

Wie so oft hat das Sinnvolle eine eigenartige Wende genommen. Die Trainerschwemme nimmt kein Ende, Tausende kommen und gehen. Und sie erkennen den Trend: »Wir sind authentisch.« Keine Homepage, kein Folder kommt ohne dieses Wunderwort aus. Und auch in vielen Ausschreibungen von Unternehmen ist es explizit enthalten.

Für unerfahrene Trainer ist das wahnsinnig praktisch: Wenn man nämlich sagt: »Wir sind einfach ganz wir selbst.« Dann macht das wenig Arbeit. Und noch besser: Es braucht keine Tools, es tut niemandem weh und ist unendlich sympathisch. Und für faule Seminarteilnehmer, die einen weiteren Tag in der Komfortzone verbringen wollen, ist es das Paradies auf Erden. Man lehnt sich entspannt zurück und weiß: »Das wird heute keine Arbeit.«

Authentisch?

Um sinnvoll an Authentizität zu arbeiten, müssen wir einen Blick darauf werfen. In der Naturwissenschaft ist die Sache nämlich relativ einfach: Eine Goldmünze gilt als »echt«, wenn wir sie einem chemischen Test unterzogen haben, der positiv verläuft. Ein Kunstwerk kann aufgrund des Alters und Expertenmeinung als »echt« eingestuft werden.

In der menschlichen Wahrnehmung ist die Sache aber viel komplizierter. Wikipedia bietet eine wunderbare Definition: »Als authentisch gilt ein solcher Inhalt, wenn beide Aspekte der Wahrnehmung, unmittelbarer Schein und eigentliches Sein, in Übereinstimmung befunden werden. Die Scheidung des Authentischen vom vermeintlich Echten oder Gefälschten kann als spezifisch menschliche Form der Welt- und Selbsterkenntnis gelten.«

Der springende Punkt in dieser hervorragenden Definition ist die Formulierung »in Übereinstimmung befunden werden.« Authentisch wirken heißt, dass das Dargestellte mit dem Empfundenen im Einklang steht.

Und hier müssen wir einen Bogen spannen: Wie benehmen Sie sich denn, wenn Sie mit einem kleinen Kind oder Ihrem Haustier spielen? Bestimmt authentisch. Wie sind Sie, wenn Sie mit Ihrem besten Freund reden oder Ihrer besten Freundin Ihr Herz ausschütten? Anders. Aber genauso authentisch. Und wie benehmen Sie sich, wenn Sie ein Meeting in Ihrer Firma haben? Wohl auch authentisch, aber wieder anders.

Sie sehen also: Wir spielen den ganzen Tag Rollen. Und wir können sehr wohl in verschiedenen Rollen jeweils authentisch sein.

Lösung

Wenn Sie also bewusst sprechen, muss auch eine Entscheidung fallen, welche Ihrer Rollen für die jeweilige Situation authentisch ist und damit authentisch wirkt.

Authentizität heißt also nach meiner Definition: »Die wahrgenommene Übereinstimmung aus innerem Vorgang und äußerer Darstellung der jeweiligen Situation angepasst.« Oder einfach gesagt: Sie wirken im Augenblick authentisch.

Was braucht man dazu? Ein klares Verständnis dafür, dass man verschiedene Rollen einnimmt, wie man in welcher Rolle handelt und fühlt. Und nun die wichtigste Entscheidung: Welche dieser Rollen nehmen Sie als Grundlage für Ihren Auftritt? Welchen Aspekt von sich zeigen Sie? Wie stellen Sie sich dar? Und nicht: Wie verstellen Sie sich?

Ja: Das ist Arbeit. Damit schließt sich der Kreis. Wenn Ihnen jemand sagt, es ist ganz einfach, bei einem Auftritt zu wirken, indem Sie nur einfach Sie selbst sind: Seien Sie misstrauisch!

Wenn Ihnen jemand anbietet, mit Ihnen den gewünschten Auftritt auf Basis Ihrer Wirkungen zu erarbeiten, dann ergibt das Sinn.

Denn ein Langweiler, der sich ganz authentisch auf eine Bühne stellt, ist einfach nur ein Langweiler auf einer Bühne. Und ein unsympathischer CEO auf einer Mitarbeiterversammlung, der mit seinen miesesten Eigenschaften auf eine Bühne geht, wird einfach ein übler Typ auf einer Bühne sein.

Erinnern wir uns an Steve Jobs: Wer seine Biografie gelesen hat, weiß, dass er ein außerordentlich schwieriger Mensch sein konnte. Und doch waren seine Auftritte Meilensteine in Sachen Präsentation. Denn er wusste ganz genau, welche Eigenschaften er auf die Bühne mitnimmt und welche nicht.

Sie werden nicht im Pyjama ins Büro gehen. Sie werden nicht im Meeting am Boden herumkugeln. Und so sollten Sie bitte auch nicht fad, missgelaunt oder introvertiert ins Interview, die Rede oder Ihr Verkaufsgespräch gehen. (Ich glaube fast, dass Barack Obama zu Hause auch ein wenig anders redet als in seinen großen Ansprachen.)

Es geht also um den großen Unterschied zwischen gezieltem Wirken auf Basis der eigenen Anlagen im Unterschied zum ungezielten Wirken aus Zufall.

Machen Sie den Test: Würden Sie sich so, wie Sie abends vorm Fernseher sitzen, auch ins TV-Studio setzen? Und muss aufgrund dieses professionellen Anpassens Ihre Echtheit gleich über Bord gehen? Die Antwort lautet: Nein, natürlich nicht.

Übungen

Beobachten Sie sich einige Tage lang immer wieder selbst. Wie benehme ich mich in welchem Umfeld? Wie spreche ich? Wie bewege ich mich? Welche Gestik verwende ich? Wie klingt meine Stimme? Welche Körperhaltung nehme ich ein? Noch ohne Wertung der Situation. Einfach nur entspannt beobachtend. Als würden Sie mehrmals am Tag ein Foto von sich schießen oder einen kurzen Videoclip drehen. Am besten ist, Sie notieren sich Situationen und Beobachtungen.

Wenn Sie diese Übung verfeinern wollen (das gelingt mit einiger Übung): In welcher dieser Situationen bin ich begeistert? Wann springt der Funke über? Wann hört man mir gespannt zu? Merken Sie sich Ihr Handeln in diesem Augenblick und beachten Sie, wie Sie in diesen Augenblicken wirken. Wie ist Ihre Stimme, Ihre Gestik, wenn Menschen Ihnen gebannt zuhören? Wann fühlen Sie sich in Ihrem Handeln am wohlsten?

Beachten Sie auch, welche Sprache Sie in diesen Momenten pflegen. Sprechen Sie in der Vergangenheit oder in der Gegenwart? Verwenden Sie Dialoge? Sprechen Sie szenisch oder abstrakt? Wie klingen Sie, wenn Sie ganz bei sich sind? Und wie, wenn Sie bewusst sprechen? Gibt es einen Unterschied?

Und nun entscheiden Sie: Welche meiner Wirkungen (und Sie werden unzählige finden, ein gewaltiges Spektrum, das Ihnen bisher nicht klar war) nehme ich in meine nächste bewusste Redesituation mit?

Hier liegt der Schlüssel zu Ihrer wahren Authentizität. Das Wissen um Ihre Wirkung und die bewusste Entscheidung, wann Sie welche Facette Ihrer Persönlichkeit einsetzen.

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wawschinek

Gastautor
Georg Wawschinek

ist Experte für -begeisternde Kommunikation. Sein Credo: Nur wer begeistern kann, kann bewegen.

www.wawschinek.at