Um gute Lehrlinge zu finden und zu halten, müssen sich Unternehmen einiges einfallen lassen. Eine Stellenausschreibung alleine ist hier zu wenig. TRAiNiNG hat zu diesem Thema recherchiert und mit zwei Experten aus der Branche gesprochen.
In Österreich gab es laut WKO im Jahr 2020 108 416 Lehrlinge und circa 28 700 Lehrbetriebe. Beide Zahlen sanken vor dem Hintergrund der Corona-Pandemie leicht (-0,6 %) gegenüber dem Vorjahr. Auf dem Stellenmarkt erhöhte sich die Zahl der unversorgten Lehrstellensuchenden auf durchschnittlich etwa 8 160, während sich die der gemeldeten offenen Lehrstellen auf gut 6 020 verringerte. Die daraus entstehende rechnerische Lehrstellenlücke war somit größer als im Jahr davor.
Die drei häufigsten Lehrberufe für Mädchen waren 2020: Einzelhandel, Bürokauffrau und Friseurin (Stylistin). Die drei häufigsten Lehrberufe bei Burschen waren 2020: Metalltechnik, Elektrotechnik, Kraftfahrzeugtechnik.
Quelle: WKO (Lehrlingsstatistik)
Viele Betriebe klagen darüber, dass es in den letzten Jahren um einiges schwieriger geworden ist, passende Lehrlinge zu finden. Besonders in ländlichen Gegenden müssen sich Unternehmen einiges einfallen lassen, um genügend Bewerbungen für Lehrstellen zu erhalten. TRAiNiNG hat bei zwei Experten nachgefragt, wie und wo Unternehmen derzeit am besten zu geeigneten Kandidaten kommen.
Markus Pollhamer (Gründer und CEO von Innoviduum): »Wie so oft, gibt es nicht den einen richtigen Weg, wie Unternehmen zu guten Nachwuchskräften kommen können. Um die Chance zu erhöhen, den passenden Lehrling für den eigenen Betrieb zu finden, empfehlen wir eine Kombination an unterschiedlichen Maßnahmen. Ganz konkrete Möglichkeiten, um auf die eigene Lehrlingsausbildung aufmerksam zu machen, sind:
- Zusammenarbeit mit Schulen (Laden Sie Klassen ins Unternehmen ein und informieren Sie über Berufschancen und Weiterbildungsmöglichkeiten, bieten Sie berufspraktische Tage oder Betriebsbesichtigungen an, nehmen Sie an Elternabenden teil).
- Veranstalten Sie einen Tag der offenen Tür bzw. einen Lehrlingsinfotag.
- Nehmen Sie an Berufsinformationsmessen, Branchenmessen oder Aktionstagen (z. B. Girls Day, Zukunftstage etc.) teil.
- Suchen Sie nach Kooperationen mit der Berufs- und Bildungsberatung oder dem AMS.
- Schreiben Sie Lehrstellen proaktiv aus und achten Sie dabei auf die Bedürfnisse der Zielgruppe.
Eine der wichtigsten Maßnahmen könnte man wie folgt beschrieben: ›Tun Sie Gutes und reden Sie darüber.‹ Bewerben Sie Ihren Betrieb und Ihre Lehrlingsausbildung. Zeigen Sie, was Sie zu bieten haben und holen Sie, wenn möglich, Ihre eigenen Lehrlinge vor den Vorhang. Info- und Werbematerialien, positive Medienberichte sowie eine eigene Lehrlingswebsite oder Postings auf Social Media können Sie zusätzlich unterstützen, Lehrlinge zu finden.«
Robert Frasch (Gründer lehrlingspower.at) hat noch einen weiteren, wichtigen Ratschlag auf Lager: »Am besten findet man Bewerber im direkten Umfeld der eigenen Lehrlinge und Mitarbeiter. Geben Sie diesen die Möglichkeiten, einfach über die Ausbildung in Ihrem Unternehmen zu informieren. Dabei reicht es, auf die Möglichkeit selbst aufmerksam zu machen, Details braucht es hier wenig. Da kann ein A6-Folder reichen, eine Postkarte oder Ähnliches. Und vergessen Sie nicht auf Ihre Pensionisten, informieren Sie auch sie über die Ausbildung in Ihrem Betrieb. Bei all diesen Möglichkeiten müssen Sie nicht in Konkurrenz zu allen anderen treten und die potenziellen Bewerber haben einen persönlichen Bezug zu Ihnen.«
Anforderungen von Lehrlingen
Wenn Sie sich im Internet umsehen und Google danach fragen, welche Anforderungen Lehrlinge an Unternehmen haben, werden Sie nicht viel finden. Eher wird genannt, welche Anforderungen an Lehrlinge gestellt werden. Das ist recht spannend, offensichtlich hat sich das Netz, und somit auch viele Unternehmen, damit noch gar nicht so richtig auseinandergesetzt – und das, obwohl wie unten beschrieben, es eine Herausforderung darstellt, Lehrlinge zu finden. Fachkräfte fehlen, und dieser Trend zeichnet sich auch in Zukunft noch mehr ab. Also müssen Betriebe dazu übergehen, diese selbst »heranzuzüchten«.
Um sich als Arbeitgeber, bzw. als Ausbildungsbetrieb für junge Erwachsene attraktiv zu machen, ist einiges zu beachten.
Robert Frasch: »Jugendliche leben nicht mehr, um zu arbeiten, sondern arbeiten, um zu leben. Sie erwarten ehrliches Interesse an ihrer Person, einen persönlichen Ansprechpartner und Stabilität, beispielsweise durch eine hohe Übernahmequote. Für sie gibt es nicht ›Arbeit‹ und ›Freizeit‹, beides ist Teil eines Ganzen. Das hat gar nicht nur mit ›chillen‹ zu tun, denn viele Jugendliche engagieren sich in ihrer Freizeit in Sportvereinen, Feuerwehr & Co. Und diese Einstellung wird verständlicher, wenn wir bedenken, dass unser Vorbild für sie nicht überragend war. Denn sie waren es, die aufgrund unserer Überstunden und ›zuerst die Arbeit, dann das Vergnügen‹ wenig von uns hatten.«
Generell lässt sich dieses Thema nicht pauschal beantworten. Keine zwei Lehrlinge sind gleich. Zu viele Einflussfaktoren (Persönlichkeit, Sozialisierung, Branche etc.) bestimmen die individuellen Anforderungen der Arbeits- und Führungskräfte von morgen. Auch Generationen-Modelle helfen nur bedingt, die Bedürfnisse und Anforderungen junger Arbeitnehmer zu eruieren.
Markus Pollhamer: »Gewisse Muster lassen sich in der Zusammenarbeit mit Jugendlichen durchaus erkennen. Während vor 15 bis 20 Jahren ›Flexibilität und Individualismus‹ (Work-Life-Balance, Selbstverwirklichung, Unternehmertum etc.) als Werte hoch im Kurs lagen, orientiert sich heute wohl die Mehrheit der Lehrlinge an den Leitwerten einer eher traditionellen Arbeitswelt: Sicherheit, Stabilität, Kontinuität und eine klare Trennung von Beruf und Privatleben sind von großer Bedeutung. Die Anforderung an den Ausbildungsbetrieb könnte deshalb lauten: ›Planbares und sicheres Normalarbeitsverhältnis sowie Unterstützung durch den Betrieb in der Familienarbeit.‹ Was beinahe alle jungen Arbeitnehmer als ›neues‹ gemeinsames Bedürfnis haben, ist die Digitalisierung. Die digitale Technik wird als selbstverständliche Erweiterung der eigenen Person und der eigenen Möglichkeiten wahrgenommen. Eines hat sich nicht geändert: Die Lehrlinge wollen einen Arbeitgeber, der sie als ganzen Menschen sieht und nicht nur als Arbeitskraft behandelt und der auf ihre individuellen Bedürfnisse und Probleme eingeht.«
Halten von Lehrlingen
Die Lehrabbruchquote lag 2019 in Österreich bei 19,7 %, also nahezu ein Fünftel der Lehrlinge haben ihr Lehre nicht abgeschlossen. Die Gründe für einen Lehrabbruch sind mannigfaltig. Für manche ist der zunächst gewählte Beruf dann doch nicht so interessant und sie entscheiden sich für einen anderen, für andere ist zwar das Thema spannend, aber der Arbeitgeber passt nicht zu ihnen.
Robert Frasch: »Um Lehrlinge langfristig zu halten und glücklich zu machen, ist es wichtig, die oben genannten Anforderungen zu erfüllen und Wege nach der Lehre möglich und sichtbar zu machen. Damit ist nicht der Vorstandsjob oder die Generaldirektion gemeint, sondern die Fachkarriere, denn nicht jeder Mensch will Führungskraft werden. Und die Möglichkeit muss für alle bestehen, sich nach der Lehrlingsausbildung weiterbilden zu können. Als Option, nicht als Muss. Dazu gehört dann noch die Möglichkeit, selbst gestalten zu können und mit den eigenen Innovationen gehört zu werden. Aber auch hier nicht als Muss, denn viele Lehrlinge suchen eher nach Sicherheit und nicht so sehr nach Selbstverwirklichung.«
Markus Pollhamer: »Lehrlinge, die heute in die Arbeitswelt eintreten, haben eines gemeinsam: Sie sind in einer digitalisierten Welt aufgewachsen und sind es gewohnt, eine Flut von digitalen Informationen zu verarbeiten und für sich zu nutzen. Handy, Notebook und soziale Medien gehören zum Leben dazu. Gibt es das am Arbeitsplatz nicht, wird es schwierig mit langfristigem Glück und Erfüllung. Abgesehen von ›digitalen Grundbedürfnissen‹ stehen folgende Punkte ganz oben auf der Wunschliste: Karrieremöglichkeiten, persönliche Entwicklung und Weiterbildung, spannende Aufgaben, wertschätzender Umgang im Team.«
Speziell der letzte Punkt – der Umgang im Team – scheint Lehrlingen ein großes Anliegen zu sein. Nette Kollegen ganz allgemein, aber auch die gegenseitige Anerkennung von Leistung, Wertschätzung und respektvoller Umgang, werden immer wieder genannt.
Markus Pollhammer ergänzt: »Dabei geht es den jungen Arbeitnehmern aber keinesfalls um eine reine Wohlfühlumgebung, sondern um eine Umgebung der Sicherheit, in der zwischenmenschliche Risiken eingegangen werden können. Beispielsweise, Hilfe zu erbitten, Ideen einzubringen, ohne ausgelacht zu werden, einen Fehler zuzugeben oder ein Projekt auch einmal kritisieren zu dürfen. Auszubildende werden sich für ihren Beruf und das Unternehmen begeistern, wenn sie erfahren, dass sie ernst genommen werden, ihre Meinung zählt und sie Verantwortung übernehmen dürfen. Unternehmen müssen demnach in die Entwicklung von Teams und die Verbesserung der Zusammenarbeit investieren, um Lehrlinge auch langfristig zu halten.«
Auch Mentoring und Buddy-Programme sind besonders im ersten Lehrjahr für junge Erwachsene eine sehr große Erleichterung und können die Wahrscheinlichkeit erhöhen, dass ein Lehrling auch bis zum Abschluss der Ausbildung und vielleicht sogar darüber hinaus im Betrieb bleibt.
Weiterbildung und Gehalt
Laut Statista lag das durchschnittliche Bruttojahreseinkommen von Lehrlingen in Österreich 2019 bei rund 10.700,– €. In einer Ende 2018/Anfang 2019 durchgeführten Umfrage waren 62 % der befragten Lehrlinge mit ihren Ausbildungsbedingungen insgesamt zufrieden. Das ist kein sonderlich hoher Prozentsatz. Eine Möglichkeit, um die Rahmenbedingungen attraktiver zu machen, ist ein Weiterbildungsangebot, z. B. in Form eines »trialen Ausbildungssystems«: Zusätzlich zur Ausbildung im Lehrbetrieb und in der Berufsschule (duales Ausbildungssystem) verbringen Lehrlinge einige Wochen mit privaten Bildungsanbietern. Dort erlernen sie Fähigkeiten wie Kommunikation, Verkauf, Betriebswirtschaft etc. Das erweitert die Ausbildung um wichtige Soft Skills.
Markus Pollhamer: »Viele Lehrlinge wollen etwas Sinnvolles tun bzw. einen Sinn in ihrer Arbeit erkennen. Sinn ist ja bekanntlich nichts, was man am Straßenrand finden kann, sondern Sinn muss ›entwickelt‹ werden. Das gelingt nur, wenn Lehrlinge ihre Stärken erkennen und am Arbeitsplatz auch einsetzen können, Interesse oder im besten Fall sogar Leidenschaft für den Beruf entwickeln und wenn sie dann für ihre Arbeit auch Anerkennung bekommen. Lehrbetriebe, die mit ihren Lehrlingen über ihre Stärken reflektieren, eine gute Feedbackkultur leben und die jungen Menschen bei ihrer persönlichen Entwicklung unterstützen, profitieren auf mehreren Ebenen. Die Lehrlinge gehen motivierter an ihre Aufgaben heran und lernen, mit anderen auch in schwierigen Situationen bewusst und wertschätzend umzugehen. Persönliche Weiterentwicklung ist demnach für viele junge Menschen ein fixer Bestandteil der Ausbildung. Gerade auf digitalem Wege können Ausbildungsbetriebe ihren Lehrlingen Möglichkeiten bieten, Persönlichkeitsentwicklung und Stärkenorientierung zu fördern.«
Robert Frasch zum Thema Entlohnung: »Gehalt ist auch für junge Menschen nicht mehr das Thema, das es einmal war. Die heutige Jugendgeneration kann ihre Basisbedürfnisse im Normalfall decken. Natürlich ist das Gehalt nach wie vor ein Hygienefaktor, aber nicht der einzige. Sonst würde Friseur nicht immer noch zu den meistgewählten Berufen zählen und der Bau müsste von Bewerbern überrannt werden. Arbeitsbedingungen, das schon oben zitierte Wahrgenommen-Werden und die Sicherheit, auch nach der Lehre einen längerfristigen Job zu haben, zählen mindestens so viel, wie das reine Gehalt. Die Weiterbildung ist abhängig vom Typ und wie sie intern ›verkauft‹ wird. Wenn es eine Muss-Option wird (alle müssen sich weiterentwickeln), dann erschreckt sich ein Lehrling eher. Persönlichkeitsentwicklung kommt meist sehr gut an, da geht es ja wieder um die eigene Person und als solche wahrgenommen zu werden.«
Fazit
Wie auch bei anderen Fachkräfte-Positionen ist bei Lehrlingen der Kampf um die besten jungen Mitarbeiter ausgebrochen. Unternehmen können besonders mit einem umfangreichen Weiterbildungsprogramm, spannenden Tätigkeiten und einem guten Verhältnis innerhalb des Teams und zu den Vorgesetzten punkten.